Der Sturm [2000]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 09. Oktober 2003
Genre: Drama / ActionOriginaltitel: The Perfect Storm
Laufzeit: 129 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2000
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Wolfgang Petersen
Musik: James Horner
Darsteller: George Clooney, Mark Wahlberg, Diane Lane, Karen Allen, William Fichtner, Bob Gunton, John C. Reilly, Mary Elizabeth Mastrantonio, Allen Payne, John Hawkes, Dash Mihok, Josh Hopkins, Michael Ironside
Kurzinhalt:
Im Herbst 1991 verließ der Schwertfischkutter Andrea Gail den Hafen von Gloucester, um im Nordatlantik nochmals auf Fischfang zu gehen. Unter dem Kommando von Kapitän Billy Tyne (George Clooney) folgte ihm eine zusammengewürfelte Crew.
Doch der erfahrene Seemann unterschätzte einen gewaltigen Sturm, der sich aus einem kleineren und einem Hurrikan zusammenbraute und eine nie dagewesene Wetterzone schuf. Das war zwei Wochen nach Auslaufen der Andrea Gail – von Schiff und Crew fehlt noch heute jede Spur.
Dies ist ihre Geschichte.
Kritik:
Regisseur Wolfgang Petersen machte sich bereits mit seinem monumentalen Meisterwerk Das Boot [1981] einen Namen in Hollywood; mit der Unendlichen Geschichte [1984] bestritt er einen ersten Erfolg im internationalen Filmgeschäft, der mit dem unterschätzten Enemy Mine – Geliebter Feind [1985] fast wieder in Vergessenheit geriet. Auch der Tod im Spiegel [1991] konnte die Zuschauer nicht so recht überzeugen, doch mit Clint Eastwood in der Hauptrolle und In the Line of Fire – Eine zweite Chance [1993] gelang dem gebürtigen Niedersachsen der große Wurf. Dabei munkelt man heute noch, dass Eastwood einen Teil des Films inszenierte, weil ihm Petersens Stil nicht gefiel.
Seither hat Wolfgang Petersen nicht viele Filme in der Traumfabrik gedreht. Der Sturm war eines seiner Lieblingsprojekte, stützt sich die Geschichte doch auf Tatsachen. Als Zuschauer wird man an dieser Stelle aber hellhörig: wie kann ein Film auf Tatsachen beruhen, wenn die Beteiligten bis heute verschollen sind?
An dieser Stelle greift Hollywood zu einem beliebten Trick, denn auch wenn am Ende "based on a true story" steht, so heißt das nur, dass es die Personen im Film gab, und dass der Ausgang in etwa derselbe war. Doch von dem Moment an, da die Andrea Gail den Hafen verließ, sind die Ereignisse nicht viel mehr als eine Geschichte, die sich Drehbuchautor Sebastian Junger und Romanautor William D. Wittliff (auf dessen Roman das Drehbuch basiert) als würdigen und heldenhaften Abgang einer beliebten Schiffscrew gewünscht hätten.
Die einfache Grundgeschichte um einen Schiffskutter, der von einer Fangfahrt nicht mehr heimkehrte, wird dadurch interessanter gemacht, dass das Skript sich gleichsam auf die Rettungsmannschaften konzentriert, die ihrerseits nicht bis zur Andrea Gail vordringen können, und beleuchtet dabei auch, welche Umstände die Rettung selbst verhindern.
Wirklich angeboten hätte sich das Szenario natürlich, um die Figuren auf dem Schwertfischkutter näher zu beleuchten und sich an eine detail- und facettenreiche Charakterisierung zu wagen, doch genau hier versagt das Skript. Die Personen im Film bleiben flach und eindimensional, eine richtige Wandlung macht keiner von ihnen durch, George Clooney seinerseits hat dabei mit am wenigsten zu tun, obwohl er der Hauptdarsteller des Films ist.
Am ehesten gefordert ist zweifelsohne Mark Wahlberg, abgesehen von den Hinterbliebenen, denen in Der Sturm sehr viel Zeit gewidmet wird; das ist zwar verständlich und nachvollziehbar, da man ja nicht mit Sicherheit sagen kann, wie es sich an Bord der Andrea Gail letztendlich zutrug, mehr gewünscht hätte man sich dennoch.
Die Darstellerriege ist gut ausgesucht, Mary Elizabeth Mastrantonio spielt hier einmal mehr sehr gut und leidenschaftlich, George Clooney steht der Bart und der Overall auch sehr gut, in der Rolle fühlt er sich offensichtlich wohl, auf Grund des fehlenden Hintergrunds wirkt er allerdings unterfordert und farblos.
Mark Wahlberg zeigt hier eine um Längen bessere Darbietung, als in Planet der Affen [2001] und verkörpert zweifelsohne den wichtigsten Sympathiecharakter – ihn übertrifft Diane Lane allerdings trotzdem. Ihre Rolle wird nicht nur glaubwürdig gespielt, sondern wirklich ergreifend, ihr Dilemma, ihr persönliches Drama wird gut zum Ausdruck gebracht. Allerdings ist sie auf die Zeit gerechnet, in der sie zu sehen ist, dennoch nur eine Nebendarstellerin.
Der eigentliche Hauptakteur ist zweifelsohne der Sturm selbst, und auch wenn einen hier manche Bilder wirklich schlucken lassen, ist ein computergenerierter Sturm schlicht und ergreifend nicht so abwechslungsreich, wie die Dinosaurier von Jurassic Park [1993].
Insofern wirkt der Cast unterfordert und nicht einmal annähernd so gut eingesetzt, wie in dem damaligen "Konkurrenzfilm" von Roland Emmerich, Der Patriot [2000], der beinahe alle Darsteller fordert.
Kamera und Schnitt bewegen sich eindeutig auf hohem Niveau; wie man bei Wolfgang Petersen erhofft, präsentiert sich die Inszenierung großteils fehlerfrei. Es gibt zahlreiche wundervolle Wasserlandschaftsaufnahmen und einige wirklich imposante Sturm-Aufnahmen. Doch neben der guten Fotografie und dem ordentlichen Schnitt bekommt man immer wieder das Gefühl, als würden Teile des Films fehlen, was insbesondere bei der Nebenhandlung mit dem Segelboot Mistral auftritt.
So sieht man dort in einer Szene lange Zeit, wie ein Rettungshubschrauber einen Anflug versucht, und wenig später, dass die zu Rettenden bereits im Hubschrauber sitzen – wie sie hochgezogen werden, hat man allerdings nicht zu sehen bekommen, als hätten die Macher Kosten sparen wollen.
Trotz der guten Inszenierung mangelt es dem Sturm aber an einem: einer Dramaturgie. Das Geschehen mäandriert die erste Stunde ohne erkennbare Grundstory vor sich hin, ehe es dann auf See geht. Davor bekommt man zwar das Privatleben der Seemänner zu sehen, doch die Art und Weise, wie es gezeigt wird, und wie wenig die Personen jeweils im Mittelpunkt stehen, macht es unmöglich, sich in sie hinein zu versetzen, oder gar eine Verbindung zu ihnen aufzubauen. Man sieht ihr privates Zusammenleben, kann daran aber nicht teilhaben.
Anschließend läuft die Andrea Gail aus und es folgt (als wäre es in irgendeinem anderen Film der Art je anders gewesen) die bekannte Durststrecke, in der die Crew nichts fängt. Wenn dann aber endlich der Sturm beginnt, braust der Kutter durch die See, ohne einen Höhepunkt zu erleben. Das Boot wird hin und her geworfen, bis die Story um die Andrea Gail urplötzlich ihr Ende findet – und das auch noch in einem Moment, in dem man damit nicht gerechnet hätte. Ein richtiges Finale gibt es nicht, es gibt keinen wirklichen Überlebenskampf, vielmehr müssen sich die Schwertfischer verkriechen, bis sie dann wieder nach draußen wollen, um vom untergehenden Schiff zu fliehen.
Die Gefahr wird in dieser Zeit aber nicht spürbar, und da man zuvor schon keinen Zugang zu den meisten Filmfiguren gefunden hat, berührt ihr Schicksal nicht, wie es für sie angemessen wäre.
Eine saubere Umsetzung garantiert somit leider nicht für einen gut strukturierten und mitreißenden Filmaufbau. Obwohl am Handwerk kaum etwas bemängelt werden kann, ist es der fehlenden Dramaturgie zu verdanken, dass in Sachen Unterhaltungswert und Spannung bei Der Sturm leider Ebbe angesagt ist.
Einen nicht unwesentlichen Beitrag hierzu leistet James Horner mit seiner Musik, die zwar allein gesehen sehr gut hörbar ist und eine richtige Hymne besitzt, im Film aber dafür völlig falsch platziert wurde. In ansich spannenden Sequenzen trompetet Horner in Ruhe vor sich hin, als wäre ihm nicht klar, dass die Crew auf der Leinwand um ihr Leben kämpft.
Wenn man so eine Dudelei hört möchte man kaum glauben, dass derselbe Mann Titanic [1997] so meisterhaft vertonte, dass er dafür völlig zurecht den Oscar bekam. Hier allerdings liefert er eine so uninspirierte und kontraproduktive Musik ab, dass man nur unverständlich den Kopf schütteln kann. Die meisten bedrohlichen Szenen werden durch seine Bombast-Musik buchstäblich zerstört, während richtige Actionszenen mit einem pseudo-sphärischen Seiseln auskommen sollen – die drei Themen, die er für Der Sturm komponierte, wiederholen sich ohnehin ständig.
Eine schweißtreibende Spannungssteigerung wie beim Entdecken des Eisbergs in Titanic sucht man hier völlig vergebens, selbst bei den aussichtslosen Rettungsversuchen der Hubschrauberpiloten. Das ist schlicht ärgerlich.
Dem gegenüber gab sich die Spezialeffekte-Firma ILM sichtlich Mühe, um den Sturm zum Leben zu erwecken – und man kann ohne Zweifel zugeben, dass es ihnen gelungen ist. Bis damals sah computergeneriertes Wasser noch nie so gut aus, dem zuträglich ist zweifelsohne der detailreiche und bombastische Sound, der über eine Surround-Anlage verständlicherweise besonders gut zur Geltung kommt.
Doch trotz der großteils guten Effekte gibt es ein paar Einstellungen, in denen sogar ein ungeübtes Auge die Herkunft des Pixelbreis erkennen kann, meistens bei den Szenen mit dem Rettungshubschrauber – anstatt hier auf einen richtigen Hubschrauber und echte Wellen zu setzen, zog Petersen es vor, diese Szenen komplett per CGI erstellen zu lassen, und sobald man den Effekt sieht (was hier immer der Fall ist), ist seine bedrohliche Wirkung verständlicherweise dahin.
Interessant ist allerdings, dass die Wassereffekte deutlich besser aussehen, als in George Lucas Star Wars: Episode II - Angriff der Klonkrieger [2002], obwohl sie von derselben Trickeffektfirma stammen.
Drei Tage lang drehte die Filmcrew am Rand des Hurrikans Floyd, um Szenen für den Film einzufangen – beinahe wäre allerdings nicht George Clooney, sondern Nicolas Cage von den Wassermassen verschluckt worden; er musste aus dem Projekt auf Grund anderer Verpflichtungen aussteigen.
Das im Film verwendete Schiff ist übrigens die Lady Grace, die nach den Dreharbeiten von einer Restaurantkette gekauft wurde und inzwischen in Gloucester, Massachusetts als Denkmal an Fischer, die ihr Leben auf See verloren haben, patroulliert.
Wer im übrigen ganz gute Ohren hat, kann gegen Ende von Mary Elizabeth Mastrantonios Rede in der Kirche ihren Herzschlag hören, der durch das Mikrophon verstärkt wurde – Wolfgang Petersen gefiel der Effekt, darum blieb er im Film.
Nach Air Force One [1997] ist dieser Petersen-Film zwar erfreulich unpatriotischer geraten, doch alles in allem wirkt er wie ein Werbefilm.
Die Action bleibt hinter ihren Möglichkeiten und wirkt bei weitem nicht so Furcht einflößend, wie es im Trailer aussehen mag, die Story selbst wäre mit mehr Tiefgang problemlos umzusetzen gewesen, doch so fragt man sich die ersten 60 Minuten, wieso die Zeit nicht schneller vergeht, und die zweiten 60 Minuten sind so schnell vorbei, dass man sich fragt, ob man den Höhepunkt schon verpasst hat.
An die Andrea Gail werden sich die Leute sicher noch erinnern, an diesen Film aber inzwischen aber bereits kaum mehr jemand.
Fazit:
Tricktechnisch aufwändig entpuppt sich Der Sturm inhaltlich eher als ein Sturm im Wasserglas. Die Charaktere sind flach, die Story ist nicht mitreißend genug und die Sturm-Action bewegt sich ständig auf demselben Niveau, ohne Höhe- oder Tiefpunkte.
So sieht man in Wolfgang Petersens Regiearbeit viel verschenktes Potential, das hier in einem gerade noch "guten" Film zur Schau gestellt wird. Mit einem besseren Drehbuch und einer anderen Gewichtung, nämlich auf die Figuren der Andrea Gail, wäre aber problemlos mehr möglich gewesen. Sowohl in Richtung Action, als auch in Richtung Drama.