Der seidene Faden [2017]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 9. Januar 2018
Genre: Drama / Liebesfilm

Originaltitel: Phantom Thread
Laufzeit: 130 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2017
FSK-Freigabe: noch nicht bekannt

Regie: Paul Thomas Anderson
Musik: Jonny Greenwood
Darsteller: Daniel Day-Lewis, Vicky Krieps, Lesley Manville, Brian Gleeson, Sue Clark, Harriet Sansom Harris, Lujza Richter, Julia Davis, Ian Harrod, Gina McKee


Kurzinhalt:

England in den 1950er-Jahren. Reynolds Woodcock (Daniel Day-Lewis) ist der unangefochtene Meister der Mode und Schneiderkunst. Zusammen mit seiner Schwester Cyril (Lesley Manville) leitet er ein Modehaus, das Adelige aus allen Ländern, Monarchen, Stars und die High Society einkleidet. Doch Reynolds, der ewige Junggeselle, ist ein schwieriger Charakter, verletzend, überheblich und maßlos von sich selbst überzeugt. Immer wieder dienen ihm seine Liebschaften als Inspiration und als er die junge Alma (Vicky Krieps) kennenlernt, wird sie seine Muse. Doch mit ihrem starken Willen lässt sie sich nicht in sein wohl geplantes Leben integrieren und je länger ihre Beziehung andauert, umso deutlicher wird es, dass einer von beiden wird nachgeben müssen. Entweder passt Alma sich dem Meister an, oder Reynolds fügt sich dem für ihn chaotischen Einfluss, welches das ungewohnte Gefühl der Liebe in ihm auslöst …


Kritik:
Noch bevor Paul Thomas Andersons Der seidene Faden in die Kinos kam, machte die Produktion damit Schlagzeilen, dass die Rolle des fiktiven Modeschöpfers Reynolds Woodcock im London der 1950er-Jahre wohl Daniel Day-Lewis’ letzte sein würde. Der mehrfache Oscarpreisträger entschied sich, seine Karriere zu beenden. Dass er einer der begnadetsten – nicht nur seiner Generation – ist, beweist er auch hier. Und auch Regisseur Anderson bleibt sich treu, denn sein Liebesdrama eignet sich nur für ein sehr spezielles Publikum.

Hauptfigur ist der bereits genannte Reynolds Woodcock, dessen Modehaus im an sich wirtschaftlich strauchelnden London der Nachkriegszeit floriert. Zu ihm kommen Adelige aus In- und Ausland, Prominente und all diejenigen, die es sich leisten können. Er selbst sich sich mehr als Künstler und ist für die gefragten Kollektionen und Einzelanfertigungen verantwortlich, während seine Schwester Cyril für die Organisation des Hauses verantwortlich ist. Reynolds ist arrogant, selbstbezogen, ein unverbesserlicher, herrischer Pedant. Doch dann trifft er die in ihrer Erscheinung schlichte Alma, die als Bedienung arbeitet. In ihr findet er seine neue Muse. Reynolds Schwester weiß bereits aus Erfahrung, dass die Musen ihres begabten Bruders nie lange bleiben dürfen.
Es ist faszinierend, wie der Modeschöpfer aufblüht, die Anspannung von ihm abfällt, als er Alma trifft. Sie blickt hinter seine unnahbare und schroffe Fassade und beschreibt treffend seine Gabe, nämlich dass sich die Menschen in seinen Kleidern schöner, sicherer und vollkommener fühlen als ohne sie.

Doch die Leichtigkeit, die Alma in ihm auslöst, hält nur so lange, bis die Arbeit wieder in den Mittelpunkt rückt. Der Wechsel, den Reynolds in der ersten Hälfte von Der seidene Faden durchmacht, offenbart sich gerade hinsichtlich seiner Rückkehr zu seinem „alten“ selbst, erst auf den zweiten Blick. Alma will ihn ändern, will von ihm gebraucht werden wie bei ihrem ersten Treffen, als sie seine Muse sein durfte, nicht erkennend, dass die Flamme, die sie in ihm erweckt hat, ohne ihr Zutun ungestörter brennen kann. In ihrer Verzweiflung, eine Bestätigung für Ihre Liebe zu erhalten, greift sie dafür sogar zu drastischen Maßnahmen. Wie sich die Dynamik zwischen den beiden Hauptfiguren ändert, bringt auch Komponist Jonny Greenwood zum Ausdruck, dessen Klänge und Themen zunehmend disharmonischer werden.

Letztlich erzählt Filmemacher Anderson, der wie gewohnt auch das Skript schrieb, wie diese zwei so unterschiedlichen Persönlichkeiten ihre gemeinsame Beziehung in entgegengesetzte Richtungen zu ziehen versuchen. Die charakterstarke Alma lässt sich Reynolds’ Auffassungen nicht aufzwingen und bietet so den Gegenpol, den er im Grunde dringend braucht. Dabei muss sie erkennen, dass sie Reynolds nie für sich haben wird. Nicht nur, dass die Arbeit für ihn an erster Stelle kommt, Cyrils Wort wiegt immer schwerer als ihres. Sie sind wie zwei Seiten einer Münze und deshalb schon untrennbar.

So erweckt Der seidene Faden in einigen Momenten den Eindruck, als würde das Drama von einer Dreiecksbeziehung erzählen und in vielen Szenen schwebt eine dritte Präsenz im Raum, selbst wenn nur zwei Figuren körperlich vertreten sind. Diese Atmosphäre gelingt Paul Thomas Anderson überaus gut. Sowohl Daniel Day-Lewis als auch Vicky Krieps erwecken ihre Figuren auf packende Weise zum Leben. Der Rhythmus, mit dem der Filmemacher gewisse Teile strukturiert, ist toll gelungen und die erste große Konfrontation des Paares bei einem misslungenen Überraschungsabendessen, das Alma für Reynolds ausrichtet, hervorragend gespielt. Nur insgesamt lässt einen die langsame Erzählung bedauerlicherweise kalt. Ehe Alma ihre folgenschwere Entscheidung trifft, vergeht zu viel Zeit, worüber die vielen positiven Aspekte schon deshalb nicht hinwegtrösten, weil sie allein nicht fesseln. So profan es am Ende klingt, Der seidene Faden ist ein beeindruckender Film, den anzusehen sich nur für ein kleines Publikum lohnen wird.


Fazit:
Der seidene Faden ist ein Film, den man für sein Handwerk, darunter Kostümbild, Ausstattung, Kamera, Schnitt oder Darstellerleistungen, nur bewundern kann. Hierfür versammelt der Filmemacher bekannte wie neue Talente sowohl vor- als auch hinter der Kamera und spornt sie alle zu Bestleistungen an. Daniel Day-Lewis erweckt seine Figur auf eine Weise zum Leben, dass der Darsteller vollkommen in den Hintergrund tritt. Insofern werden Fans von Regisseur Paul Thomas Anderson auch auf ihre Kosten kommen. Doch der Filmemacher braucht viel zu lange für eine Liebesgeschichte, dessen Porträt weder so neuartig, noch so innovativ dargebracht ist, als dass der bedächtig beschrittene Weg der Erzählung hier fesseln würde. Für ein spezielles Publikum ist das durchaus empfehlenswert und in vielerlei Hinsicht auch preisverdächtig. Aber fesselnd oder unterhaltsam ist es leider nie.