Der Mauretanier [2021]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 15. November 2021
Genre: Drama

Originaltitel: The Mauritanian
Laufzeit: 129 min.
Produktionsland: Großbritannien / USA
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Kevin Macdonald
Musik: Tom Hodge
Besetzung: Tahar Rahim, Jodie Foster, Shailene Woodley, Benedict Cumberbatch, Zachary Levi, Saamer Usmani, Corey Johnson, Denis Menochet, David Fynn


Kurzinhalt:

Als die Anwältin Nancy Hollander (Jodie Foster) auf den in Guantanamo Bay inhaftierten Mohamedou Ould Slahi (Tahar Rahim) aufmerksam gemacht wird, sitzt dieser bereits mehr als drei Jahre dort ein, ohne dass Anklage erhoben worden wäre, oder die Möglichkeit, überhaupt einen Rechtsbeistand zu Rate zu ziehen. Kurz nach den Anschlägen des 11. September 2001 in seiner Heimat Mauretanien verhaftet, vermuten die amerikanischen Geheimdienste, Slahi wäre einer der Drahtzieher der Terroranschläge. Nun soll Lt. Colonel Stuart Couch (Benedict Cumberbatch) die Anklage führen und die Todesstrafe für Slahi erwirken. Doch als Couch die Akten prüft, um handfeste Beweise für Slahis Schuld zu finden, stößt er auf Mauern in den eigenen Reihen. Zusammen mit ihrer Mitarbeiterin Teri (Shailene Woodley) fällt es auch Nancy schwer, nachzuvollziehen, welche Beweise die Regierung für Slahis Beteiligung vorweisen kann und nur zögerlich offenbart der Beschuldigte, was ihm in US-Gefangenschaft angetan wurde …


Kritik:
Es scheint wie ein absurder Widerspruch, ein militärisches Gefängnis zu errichten, das sich nicht nur nicht auf dem Grund und Boden des Landes befindet, das es betreibt, sondern das auch explizit nicht dessen Gerichtsbarkeit unterliegt. Doch blickt Filmemacher Kevin Macdonald in seinem auf Tatsachen basierenden Drama Der Mauretanier hinter den Stacheldraht, wird klar, weshalb dies so ist. Er erzählt die Geschichte von Mohamedou Ould Slahi, der mehr als 14 Jahre im Gefangenenlager der Guantanamo Bay Naval Base festgehalten wurde. Dass seine Erlebnisse überhaupt bekannt wurden, könnte als ein Sieg für den Rechtsstaat gewertet werden, doch was ihm widerfahren ist, sollte alle, die dieser Rechtsstaat repräsentiert, beschämen.

Im November 2001, wenige Monate nach den Terroranschlägen des 11. September, wird Slahi, der seit Jahren in Deutschland lebt, in seiner Heimat, dem im Nordwesten Afrikas gelegenen Mauretanien, verhaftet. Es heißt, amerikanische Behörden wollten sich mit ihm unterhalten. Mehr als drei Jahre später gibt es ein erstes Lebenszeichen von ihm, als die Anwältin Nancy Hollander auf den Fall von Mohamedou Ould Slahi aufmerksam wird. Auslöser war ein deutscher Zeitungsbericht, auf den hin die Familie sich über öffentliche Kanäle nach dem Verbleib ihres verschollenen Sohnes erkundigt hatte. Während Lt. Colonel Stuart Couch für die US-Regierung eine Anklage Slahis vorbereitet, mit dem Ziel, ihn als einer der Drahtzieher der Terroranschläge zum Tode zu verurteilen, nimmt sich Nancy als Anwältin des in der Augen der Anklage bereits verurteilten Gefangenen an. Nicht, weil sie an seine Unschuld glaubt, sondern weil sie der Überzeugung ist, dass niemand weggesperrt werden darf, ohne dass dieser Person rechtliches Gehör geschenkt wird.

Inwieweit Mohamedou Ould Slahi tatsächlich in die Anschläge des 11. September verwickelt ist, ist der US-Regierung dabei offenbar weit weniger wichtig, als überhaupt jemanden für den Terrorakt zur Rechenschaft ziehen zu können. In dieser Beziehung greift Der Mauretanier zwar bekannt Aspekte auf, doch präsentiert Filmemacher Macdonald sie aus zwei interessanten Blickwinkeln. Er versetzt das Publikum gleichermaßen auf die Anklägerbank neben Colonel Couch wie auch an die Seite von Slahis Rechtsvertretung, angeführt von Nancy Hollander und ihrer Mitarbeiterin Teri Duncan. Wahrt Hollander von Beginn an eine professionelle Distanz und ist weniger an der Schuldfrage interessiert als an einem fairen Prozess, ist Teri emotional stärker involviert. Slahi auf der anderen Seite, sieht sich als Gefangener in den beiden Frauen Personen gegenüber, deren Verantwortlichkeiten er nicht kennt und in Anbetracht dessen, was ihm widerfahren ist, ist er entsprechend vorsichtig, seine Erlebnisse jemandem mitzuteilen, aus der Angst heraus, es könnte auf ihn zurückfallen.

Der Mauretanier nimmt sich Zeit, diese verschiedenen Perspektiven vorzustellen und so gestaltet sich vor allem die erste Filmhälfte weniger packend, als vor allem die Filmvorschau vermuten lässt. Zwar erwähnt Mohamedou Ould Slahi immer wieder, dass er Angst habe, was ihm widerfahren könne, wenn er die Wahrheit darüber erzählt, wie mit ihm umgegangen wurde, doch was dies ist, hält Kevin Macdonald lange zurück. Zusehends verlagert sich die Erzählung an Slahis Seite, wenn er beginnt, seine Gefangenschaft zu erzählen. Dann ändert der Film auch das Bildformat, präsentiert sich größer, dichter an seinem Protagonisten in dieser kleinen Zelle. Es ist ein Stilmittel, dessen Effekt umso spürbarer wird, wenn die stundenlangen Befragungen von Slahi dem weichen, was seit Langem aus Gefangenenlagern wie Guantanamo Bay berichtet wird. Auch wenn der Filmemacher grafische Details der körperlichen wie seelischen Folter weitgehend im Dunkeln belässt, was er zeigt, ist schockierend genug und würde insbesondere in Anbetracht der Auswirkungen eine höhere Altersfreigabe rechtfertigen. Was Mohamedou Ould Slahi – wie vielen anderen – im Namen der Freiheit und der Rechtsstaatlichkeit angetan wurde und vermutlich wird, ist so erschreckend wie beschämend und wenn überhaupt, kann man den Filmschaffenden hier zugutehalten, dass es ihnen gelingt, dies zu veranschaulichen, ohne die Würde der dabei entwürdigten Person noch einmal zu beschädigen.

So beginnt Der Mauretanier zwar sehr ruhig, doch wenn immer mehr in den Fokus rückt, was Mohamedou Ould Slahi widerfahren ist und gleichzeitig Colonel Stuart Couch erfährt, dass einerseits die Anschuldigungen, die er gegen ihn vorbringen soll, so nicht in den Akten stehen oder die vermeintlichen Beweise nicht haltbar sind, entwickelt das Drama einen emotionalen Zug, der einen regelrecht ohnmächtig zurücklässt. Ohnmächtig gegen eine so große Nation, die ihre Gefangenen auslagert, um ihre eigene Integrität augenscheinlich bewahren zu können. Regisseur Kevin Macdonald gestaltet sein Drama weniger anklagend gegenüber den Mächtigen als gegenüber denen, die von den Geschehnissen wissen und sich nicht empören. Trotz der zurückhaltenden Erzählweise merkt man dem Film auf Grund seiner zunehmend aufwühlenden Geschichte seine Lauflänge kaum an und wer am Ende einen großen Prozess mit heroischen Plädoyers erwartet, wird enttäuscht werden. Doch das macht Mohamedou Ould Slahis Geschichte nicht weniger wichtig – oder packend.


Fazit:
Weiß man um das grundsätzliche Thema des Films, ist der Beginn von Kevin Macdonalds Drama geradezu überraschend. Treffen Anwältin Nancy und ihre Mitarbeiterin Teri zum ersten Mal auf den in Guantanamo Bay, Kuba, inhaftierten Mohamedou Ould Slahi, scheint dies beinahe wie ein gewöhnliches Mandantentreffen in einem Gefängnis. Die Wärter vor Ort gehen human mit ihm um und er scheint zumindest auf den ersten Blick nicht misshandelt zu werden. Doch je mehr er seiner Anwältin vertraut und beginnt, seine Erlebnisse zu erzählen, umso mehr Schichten trägt das Drama ab und blickt hinter ein menschenverachtendes System, dessen entmenschlichende Grausamkeit jeden rechtschaffenen Menschen fassungslos machen sollte. Behutsam baut Macdonald eine Beziehung zwischen Slahi und dem Publikum auf und versetzt die Zuschauerinnen und Zuschauer an seine Seite, wenn ihm dies angetan wird. Das ist, wenn diese Schilderungen beginnen, nur schwer erträglich. Doch als Drama ist Der Mauretanier von allen Beteiligten, allen voran Tahar Rahim, erstklassig gespielt. Den anscheinenden Thriller, wenn sich Colonel Couch einer Mauer des Schweigens in den eigenen Reihen gegenübersieht, baut der Film nicht weiter aus, doch wäre dies inhaltlich auch der falsche Weg. Überhaupt werden die zusätzlichen Figuren wie er oder auch Nancy Hollander kaum bzw. gar nicht entwickelt und so erscheint das Drama inhaltlich unschlüssiger, als es hätte sein müssen. Handwerklich tadellos und dicht an den Figuren, zeichnet insbesondere der Blickwinkel aus Slahis Sicht diesen Film aus. Er sollte ein Weckruf sein.