Der Leuchtturm [2019]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 22. November 2019
Genre: Drama / Fantasy / Horror

Originaltitel: The Lighthouse
Laufzeit: 109 min.
Produktionsland: Kanada / USA
Produktionsjahr: 2019
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Robert Eggers
Musik: Mark Korven
Besetzung: Willem Dafoe, Robert Pattinson, Valeriia Karaman


Kurzinhalt:

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts werden zwei Männer mit einem Boot zu einer abgelegenen Insel gebracht. Für vier Wochen sollen sie sich um den dortigen Leuchtturm kümmern. Der erfahrene Leuchtturmwärter Thomas Wake (Willem Dafoe) beansprucht den Zugang zur Lampe an der Spitze des Turms für sich. Ephraim Winslow (Robert Pattinson), sein Gehilfe, wird von ihm getriezt und soll die anstrengenden Arbeiten übernehmen. Während die Tage verstreichen, beobachtet Ephraim, wie Thomas der Lampe und was immer er darin sieht, regelrecht verfallen ist. Doch auch er selbst beginnt in der Abgeschiedenheit, Dinge zu sehen und glaubt, wiederholt von einer einäugigen Möwe heimgesucht zu werden. Als ein Sturm aufzieht, der die beiden Männer auf der einsamen Insel strandet, fällt es Ephraim zunehmend schwer, einen klaren Verstand zu bewahren – sofern was er sieht oder glaubt, zu sehen, überhaupt real ist …


Kritik:
Der Leuchtturm ist ohne Zweifel der ungewöhnlichste Film, der von einem großen Studio dieses Jahr veröffentlicht wird. Es ist aber auch ein Film, der sich für ein so seltenes Publikum eignet, wie das Talent selten ist, das hier vor und hinter der Kamera vereint ist. Regisseur Robert Eggers erzählt in unwirklichen Bildern vom Abstieg in den blanken Wahnsinn. Er tut dies in einer Art und Weise, dass man nicht weiß, was wirklich ist und was nicht. Und dass es in der Tat schwerfällt, das Gesehene am Ende einzuordnen.

Es ist das späte 19. Jahrhundert, über raue See fahren zwei Leuchtturmwärter, der erfahrene Thomas Wake und sein neuer Gehilfe, Ephraim Winslow, zu einer abgelegenen Insel, die bis auf den darauf befindlichen Leuchtturm sowie das im ungezügelten Wetter bereits verwitterte, kleine Haus, in dem sie die nächsten vier Wochen essen und schlafen werden, verlassen ist. Dass diese Wochen nicht einfach werden, bemerkt Ephraim bereits zu Beginn an dem scharfen Ton, mit dem ihn der wettergegerbte Thomas kommandiert. Er nennt seinen jüngeren Kollegen nur „Junge“, hält ihn ständig dazu an, seine Pflichten nicht zu vernachlässigen und trägt ihm alle körperlich kräftezehrenden Aufgaben auf. In seiner Matratze findet Ephraim die Schmuckfigur einer Meerjungfrau und schnell scheint es ihm, dass mit Thomas etwas nicht stimmt. Der will nicht, dass Ephraim überhaupt in die Nähe der Lampe oben im Leuchtturm kommt.

In gewisser Weise ist Der Leuchtturm eine Geistergeschichte, in mehrfacher Hinsicht. Einerseits der Geister derjenigen, die vor den beiden Männern auf der Insel gewesen sind, und derjenigen, die sie selbst mitgebracht haben. Thomas erzählt davon, dass er ein Seemann gewesen sei, den ein gebrochenes Bein an Land gefesselt habe. Auch erzählt er Ephraim stets Geschichten von seinen Erlebnissen, wobei er sich in Widersprüche verstrickt. Ephraim auf der anderen Seite wird von Alpträumen geplagt und beginnt Dinge zu sehen, die es an sich nicht geben dürfte. Die betreffen ebenso Thomas bei der Lampe des Leuchtturms. Es ist beinahe, als wäre er ihrem Leuchten verfallen. Oder was immer sich darin befindet.
Regisseur Robert Eggers erzählt seinen Dialogfilm auf eine Art und Weise, dass es sich anfühlt, als würden die Figuren träumen. Dazu trägt auch die Präsentation bei, welche makellos die Zeit widerspiegelt, in der der Film angesiedelt ist. Bereits die Logos des Verleihs bzw. des Studios sind in schwarz-weiß gehalten und mit dem ungewöhnlichen, beinahe quadratischen Bildformat von 1.19:1 erzeugt er eine noch klaustrophobischere Stimmung auf dieser Insel, von der es kein Entkommen gibt.

Überraschend schnell steuert die Geschichte auf die vermeintlich letzte Nacht der beiden Männer zu, ehe sie abgelöst werden sollen. Aber kann man dem eigenen Zeitgefühl an einem solchen Ort trauen? Die zunehmende Frage, was wirklich ist und was nicht, in Verbindung damit, wie viel die Männer überhaupt voneinander wissen, verleiht Der Leuchtturm eine beklemmende Atmosphäre, die durch das ständige Dröhnen des Nebelhorns nur noch bedrohlicher wird. Darüber, was mit ihnen tatsächlich geschieht, sollte man nicht mehr verraten – ganz zu schweigen davon, dass es sich kaum beschreiben lässt.
Beide Hauptdarsteller sind beinahe bis zur Schmerzgrenze gefordert. Nicht nur, dass man ihnen die zermürbende Aussichtslosigkeit zunehmend ansieht, die Bandbreite von Robert Pattinson, der von ruhig und schüchtern bis hysterisch und vollkommen entfesselt vor Raserei spielt, ist preiswürdig. Willem Dafoe steht dem in nichts nach. Ihr Abstieg in den Wahnsinn ist packend verkörpert und auf eine surreale Weise erzählt, dass man dem Drehbuch die Einflüsse von weltbekannten Literaturwerken jener Zeit durchweg anmerkt. Auch dadurch ist der Film spürbar schwieriger zugänglich. Das ist aber kein Kritikpunkt – nur eine Warnung für das interessierte Publikum.


Fazit:
In mitunter hypnotisierenden Bildern, unterlegt durch eine Klangwelt bestehend aus Musik, dem Meeresrauschen, dem Kreischen der Möwen und dem Nebelhorn, das zunehmend innere Unruhe erzeugt, legt Filmemacher Robert Eggers eine Decke um sein Publikum, die im Laufe der Erzählung immer enger zu werden scheint. Die Optik ist hervorragend, nutzt Perspektiven, Licht und Schatten in einer Art und Weise, dass man eine jede Einstellung in eine Fotografie verwandeln könnte, die aus jener Zeit zu stammen scheinen würde. Mitanzusehen, wie die beiden Männer auf jener Insel sich selbst überlassen, zunehmend wahnsinnig werden, ist faszinierend, weil fantastisch gefilmt, überragend gespielt und mit einer selbstsicheren Hand abseits aller Konventionen umgesetzt, dass es Anerkennung verdient. Es ist aber auch sehr schwer zugänglich und offenbart abgesehen von den symbolträchtigen Bildern keine erkennbare, dahinter liegende, erzählerische Ebene, die dem Gezeigten eine zusätzliche Bedeutung verleiht. Einen Film wie Der Leuchtturm in dieser Weise zu präsentieren, offenbart ein filmemacherisches Talent und Geschick, das beeindruckt und auch von Seiten eines großen Studios Mut verlangt, dies in der heutigen Zeit ins Kino zu bringen. Gerade weil nur ein spezielles Publikum hier angesprochen wird. Das hat dieses Jahr aber nichts Vergleichbares gesehen.