Der kleine Nick erzählt vom Glück [2022]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 12. November 2022
Genre: Animation

Originaltitel: Le petit Nicolas: Qu’est-ce qu’on attend pour être heureux?
Laufzeit: 86 min.
Produktionsland: Frankreich / Luxemburg
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung

Regie: Amandine Fredon, Benjamin Massoubre
Musik: Ludovic Bource
Stimmen: Simon Faliu, Alain Chabat, Laurent Lafitte, Elisa Bardeau, Octave Bossuet, Maud Collomb, Nicolas Chupin, Aurélien de Branche, Claire Dumas, Serge Faliu


Kurzinhalt:

Bei einem Treffen der beiden bereits befreundeten Künstler in Paris im Jahr 1955 entdeckt René Goscinny (Alain Chabat) in den Unterlagen von Jean-Jacques Sempé (Laurent Lafitte) die Zeichnung eines kleinen Jungen. Gemeinsam entwickeln sie daraus die Figur des „kleinen Nick“ (Simon Faliu), die nach Veröffentlichungen in Zeitungen auch in illustrierten Büchern erscheint. Sie ist international ebenfalls ein Erfolg und beschreibt den Alltag des Protagonisten, der zur Schule geht, Unsinn mit Freunden anstellt und Abenteuer erlebt. Beide Künstler haben zu der Figur eine ganz eigene Beziehung, sprechen mit ihr, sehen sie, während sie sich neue Geschichten und Zeichnungen überlegen und lassen so Vieles von sich selbst in sie einfließen. Doch wie künstlerische Arbeit in aller Regel, durchlebt auch die Freundschaft von Goscinny und Sempé Höhen und Tiefen Und findet ein jähes Ende …


Kritik:
Der kleine Nick erzählt vom Glück ist kein Animationsfilm im klassischen Sinn, wonach die Filmschaffenden Amandine Fredon und Benjamin Massoubre eine Geschichte der Titelfigur erzählen würden. Nichtsdestotrotz steht die aus französischen Kinderbüchern bekannte Hauptfigur gleichermaßen im Zentrum. Die tragenden Personen sind jedoch seine Erfinder, Autor René Goscinny und Illustrator Jean-Jacques Sempé, die gemeinsam weit über 200 Geschichten um den kleinen Nick erzählten. Dies ist gewissermaßen ihre eigene.

Sie beginnt im Jahr 1955, als sich die befreundeten Künstler Goscinny und Sempé in Paris treffen. Sempé, dessen Zeichnungen regelmäßig in Zeitungen erscheinen, hat eine neue Figur ersonnen, einen kleinen Jungen. Zusammen mit Goscinny entwickelt er daraus den „kleinen Nick“, ein Junge aus der Pariser Vorstadt, dessen Alltag in den gezeichneten Geschichten aus seiner Sicht und nicht aus der von Erwachsenen geschildert werden soll. In die Geschichten und das Umfeld von Nick fließen eigene Lebenserfahrungen von Goscinny und Sempé gleichermaßen. Die Figur entwickelt sowohl in den Augen des Autors wie auch des Illustrators ein Eigenleben, so dass sie sich mit ihm unterhalten, während sich der kleine Nick sowohl an das Publikum wie auch an seine Erfinder richtet. Er hüpft förmlich von dem Blatt Papier auf Sempés Pult, sitzt auf Goscinnys Schulter und unterhält sich mit seinen Schöpfern, während sie neue Figuren in Nicks Leben erfinden, seine Welt weiter ausschmücken.

Auf diese Weise erzählt Der kleine Nick erzählt vom Glück mehrere Geschichten auf einmal. Zum einen die Rahmenhandlung um René Goscinny und Jean-Jacques Sempé, und drei darin eingebettete, kurze Geschichten von Nick selbst. In denen trifft er auf seine Großmutter, verbringt Zeit in der Schule, lernt das Nachbarsmädchen Marie-Edwige kennen und erlebt bei einem Sommercamp große Abenteuer. Aber es ist gerade die Erzählweise, die nach Nicks erster Geschichte in die Rahmenhandlung wechselt und dort ins Jahr 1977 springt, ehe sie wieder in die 1950er- bzw. 1960er-Jahre zurückkehrt, die es bereits einem älteren Publikum schwierig macht, sich auf die Erzählung einzulassen. 1977 starb René Goscinny und hinterließ als Person des öffentlichen Lebens neben einer fassungslosen Nation und einer trauernden Fangemeinde auch einen am Boden zerstörten Sempé. Hierzu kehrt der Animationsfilm später auch zurück, stellt bis dahin jedoch vor, was diese beiden Künstler verband.

So erfährt Nick in den Gesprächen mit seinen Erfindern viel über ihre Lebensgeschichten. Wie Goscinny als Kind nach Argentinien umzog, Frankreich während der Besetzung durch die Nazis meiden musste und in die USA kam. Sempés schwierige Kindheit wird ebenfalls beleuchtet, sein von Enttäuschungen geprägter, beruflicher Werdegang und weshalb er der Figur des kleinen Nick eine solch unbeschwerte Kindheit mit auf den Weg gab, die er selbst nie hatte. Diese Hintergründe sind nicht nur interessant, sie verleihen sowohl dem kleinen Nick selbst wie auch den beiden Künstlern, die für ihn wortwörtlich verantwortlich zeichnen eine Nahbarkeit, die Künstlerinnen und Künstlern oft fehlt. Die entscheidende Frage ist, ob ein sehr junges Publikum hiervon ebenso angetan sein wird, ganz zu schweigen davon, dass es die Zusammenhänge kaum wird einordnen können. Dies wird noch deutlicher, wenn die Figuren in Der kleine Nick erzählt vom Glück im Fernsehen ein Interview mit Goscinny und Sempé sehen und Nick seinen Eltern sagt, dass sie ihn erfunden haben. Der Bezug auf diese übergeordnete Ebene ist gelinde gesagt etwas verwirrend.

Das ändert allerdings nichts daran, dass Der kleine Nick erzählt vom Glück wunderschön animiert ist, was bereits beginnt, wenn die Figur und seine Umgebung buchstäblich auf dem Papier entsteht, während sich Goscinny und Sempé darüber unterhalten. Die weichen Formen, die warme Farbgebung, die umso mehr heraussticht, wenn man sieht, dass der Bildrand, an dem sich die Zeichnungen in Nicks Welt verlieren, auch keine Farben besitzt, Figuren und Hintergründe somit erst koloriert werden, wenn sie ins Zentrum rücken, sind schlicht bezaubernd und sorgen für ein unvergleichliches Flair. Die herzliche Erzählung mit ihrer einnehmenden Stimmung gelingt auch dank der musikalischen Untermalung. So berührt dieser Tribut vor Künstlern und der Kunst an sich. Das ist so amüsant wie einfach schön, sofern sich das Publikum darauf einlässt.


Fazit:
Dass Anne Goscinny, die Tochter von Asterix-Erfinder René Goscinny, für das Drehbuch, die Umsetzung und auch die Abstimmung der Animation mit Jean-Jacques Sempé verantwortlich zeichnet, veredelt Der kleine Nick erzählt vom Glück spürbar. Durch die vielen privaten Einblicke und Details, die insbesondere nach Goscinnys Tod die vorige Unbeschwertheit von Nicks Geschichten gegen eine greifbare Melancholie austauschen, gewinnt der so witzige wie warmherzig toll animierte Film eine ungemein persönliche Note und Charme. Er ist eine Würdigung der Figur des kleinen Nick, was sie für das Publikum bedeutet, das sich damit identifizieren, sich darin verlieren und fallen lassen kann. Aber auch der Kunstschaffenden, die sich ausdrücken, sich verewigen und damit unsterblich werden können. Der kleine Nick erzählt vom Glück ist gleichzeitig eine Verbeugung vor dem Künstler Goscinny sowie eine Anerkennung von Sempés Werk. Dabei können Jung und Alt, die ganze Familie, verschiedene Aspekte entdecken, abseits der Hektik sonstiger Animationsfilme. Das erscheint auf eine erfrischende Art und Weise geerdet und ist zudem einfach schön anzusehen.