Der Fall Collini [2019]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 22. März 2019
Genre: DramaOriginaltitel: Der Fall Collini
Laufzeit: 122 min.
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2019
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Marco Kreuzpaintner
Musik: Ben Lukas Boysen
Darsteller: Elyas M’Barek, Alexandra Maria Lara, Franco Nero, Heiner Lauterbach, Manfred Zapatka, Jannis Niewöhner, Rainer Bock, Catrin Striebeck, Pia Stutzenstein, Peter Prager, Hannes Wegener
Kurzinhalt:
Es ist der erste Fall des jungen Rechtsanwalts Caspar Leinen (Elyas M’Barek), er lässt sich durch den Haftrichter sogar als Pflichtverteidiger bestellen, nicht wissend, dass der italienische Staatsbürger Fabrizio Collini (Franco Nero) nicht irgendjemanden getötet hat, sondern den Mann, der für Leinen selbst wie ein Vater war. Hans Meyer (Manfred Zapatka) war nicht nur Besitzer eines Firmenimperiums, sondern eine angesehene Säule der Gesellschaft. Was also hat Collini bewogen, diesen Mann zu ermorden? Der Täter schweigt, selbst im Prozess. Während Leinen hin und hergerissen ist, wie weit er sich für seinen Mandanten engagieren soll, kommt er nicht nur Meyers Enkelin Johanna (Alexandra Maria Lara), mit der er früher bereits zusammen war, näher. Er sieht sich mit Richard Mattinger (Heiner Lauterbach) einem gegnerischen Anwalt gegenüber, der eine Koryphäe auf dem Gebiet des Strafrechts ist. Als eine Verurteilung wegen Mordes unausweichlich scheint, fällt Leinen ein Detail an der Tatwaffe auf, das einen Stein ins Rollen – und was er bislang zu wissen glaubte ins Wanken bringt …
Kritik:
Der Fall Collini ist ein guter Film, der mühelos hätte sehr gut sein können und in Anbetracht des Themas auch hätte sein müssen. Um ihn zu einem sehr guten Film zu machen, müsste man keine Szene neu drehen – man müsste sie lediglich in einer anderen Reihenfolge anordnen. Filmemacher Marco Kreuzpaintner versteift sich aber so sehr auf eine moderne Optik und den Hauptdarsteller, dass er zu übersehen scheint, welch eigentliche Geschichte in dem Drama schlummert.
Basierend auf dem gleichnamigen Roman aus dem Jahr 2011 von Autor Ferdinand von Schirach beginnt Der Fall Collini mit einer Sequenz im Jahr 2001 in Berlin. Die Szenen wechseln zwischen einem boxenden Elyas M’Barek alias Rechtsanwalt Caspar Leinen und dem von Franco Nero fantastisch und schweigsam gespielten Fabrizio Collini, der in der Präsidentensuite des Hotel Circle auf den Industriellen Jean-Baptiste „Hans“ Meyer trifft und ihm drei Mal in den Kopf schießt. Die Frage, die Filmemacher Kreuzpaintner daraufhin stellt ist, was den pensionierten, alleinstehenden Mann dazu gebracht hat. Leinen, der erst seit drei Monaten Anwalt ist, übernimmt mit Collini seinen ersten Fall, nicht ahnend, dass das Opfer der Hans Meyer ist, der wie ein Ziehvater für ihn war.
Der unerfahrene, junge Anwalt wird so mit einem Dilemma konfrontiert: Caspar ist in der Familie Meyer groß geworden und hat miterlebt, welche Tragödie die Familie verkraften musste. Mit Hans’ Enkelin Johanna, die nun die Leitung der Maschinenfabrik übernehmen wird, verbindet Caspar eine gemeinsame Vergangenheit. Dennoch bleibt er Collinis Pflichtverteidiger und gibt sein Mandat nicht auf. Auch auf Grund der Empfehlung seines ehemaligen Jura-Professors Richard Mattinger. Dass dieser gleichzeitig als Anwalt der Nebenklägerin – Johanna – ein persönliches Interesse an dem Fall hat, sollte den jungen Verteidiger an sich stutzig machen.
Schon früh fällt auf, dass Der Fall Collini an den schwergewichtigen Themen nicht vollends interessiert ist. Leinens Bedenken hinsichtlich seiner eigenen Befangenheit werden in einem Nebensatz abgehandelt. Dass er mit Johanna eine Affäre beginnt, was sein Urteilsvermögen umso mehr beeinträchtigt, wird gar nie hinterfragt. Ebenso nicht, dass sie eigentlich verheiratet ist. Selbst die Beziehung zu Caspars eigenem Vater greift das Drehbuch auf, doch sie bleibt so oberflächlich, dass es kaum der Rede wert ist.
Die eigentlich zentrale Figur, der Angeklagte Collini, ist indes kaum zu sehen. Er äußert sich im Vorfeld nicht, so dass ihm eine Verurteilung wegen Mordes droht. Tatsächliche Nachforschungen stellt der Anwalt aber, der Dramaturgie geschuldet, erst an, wenn der Prozess in vollem Gange ist. Zuvor konzentriert sich der Film auf Caspar Leinen und seine Liebschaft zu Johanna Meyer, sowohl während er den Mann verteidigt, der ihren Vater erschossen hat, als auch in Rückblicken.
Dass Caspar sein eigenes Team aufbaut, das ihn bei Recherchen unterstützt, wird ebenfalls kaum erwähnt und was ein befreundeter Anwalt in den letzten Prozesstagen an seiner Seite zu suchen hat, versteht man schon deshalb nicht, weil seine Beteiligung nie angesprochen wird. Viele Abblendungen zu einem schwarzen Bild legen die Vermutung nahe, hier würde inhaltlich Einiges fehlen, oder als würden die Filmemacher die Werbeunterbrechungen der TV-Ausstrahlung schon einplanen.
Regelrecht ärgerlich ist, wie bereits erwähnt, die inhaltliche Struktur des Dramas: Mit einer Rückblende ins Jahr 1944 reißt der Filmemacher die Erzählung im ungünstigsten Moment, mitten in der Gerichtsverhandlung, auseinander und schickt das Publikum auf eine Zeitreise in eine Situation, die in dieser Ausführlichkeit gar nicht hätte geschildert werden müssen. Hätte Der Fall Collini mit einem entscheidenden Moment jener Zeit begonnen und Collini selbst dann nur aus den Augen seines Anwalts vorgestellt, wäre das Mysterium, das seine Tat umgeben soll, verständlicher gewesen und der später im Film angesiedelte Rückblick hätte nicht so verloren gewirkt.
Aber inhaltlich geben sich die Macher bedeutend weniger Mühe als bei dem Versuch, eine moderne Optik zu präsentieren:
Stylische Aufnahmen mit Gegenlicht, in denen die Darsteller nachdenklich in die Kamera blicken? Check.
Coole Zeitlupen, obwohl das Gezeigte gar keine Zeitlupen erfordert? Check.
Rückblicke, die mit Farbfiltern und grisseligem Filmkornfilter Zeitkolorit suggerieren? Check.
Collagen in den wichtigen Szenen, die mehrere Blickwinkel und Rückblicke miteinander kombinieren, um eine emotionale Verbindung zu unterstreichen? Check.
Die Befragung von Anwalt Mattinger durch Caspar Leinen ist der dramaturgische Höhepunkt und zeichnet einen letzten Akt aus, welcher Der Fall Collini nicht nur über das Niveau dessen hebt, was bis dahin zu sehen war. Es lässt einen wünschen, dass der übrige Film diesem Finale auch gewachsen wäre. In diesem Moment passt auch die Musik, die von der Art an Hans Zimmer erinnert, aber immer präsent, in aller Regel zu laut ist und die Darbietungen der Darsteller mit einer akustischen Untermalung geradezu ertränkt, die gar nicht erforderlich wäre und mehr ablenkt, als unterstützt. Schade.
Fazit:
Die letzten 30 bis 45 Minuten sind inhaltlich wie dramaturgisch so gut gelungen, dass nicht nur der unnötig kitschige allerletzte Moment vollkommen überflüssig erscheint. In den Texttafeln am Schluss greifen die Macher den eigentlichen Skandal auf. Aber statt den Mordfall und die Verhandlung nur als Aufhänger der eigentlichen Geschichte herzunehmen, suggerieren sie einen Krimi um die Motive des Täters, der nicht existiert, weil sie ohnehin vom ersten Moment an absehbar sind. Dafür konzentriert sich Regisseur Marco Kreuzpaintner darauf, seinen Hauptdarsteller in möglichst vielen nachdenklichen Posen zu zeigen. Elyas M'Barek ist in der Rolle wirklich gut, ebenso Alexandra Maria Lara, deren Zweifel aber keinen Raum bekommen und nur nachträglich angefügt klingen. Eine Überraschung ist Heiner Lauterbach in der Rolle des Anwalts Mattinger. Seine Momente zählen zu den Highlights, auch wenn sie nie das Gewicht von Jack Nicholsons Monolog in Eine Frage der Ehre [1993] erreichen, was vermutlich angestrebt wird. Doch es ist Franco Nero, der mit dem Blick eines leidenden Mannes eine gebrochen tragische Präsenz so gekonnt zur Geltung bringt, dass die übrigen Beteiligten in seinen Szenen förmlich untergehen. Nichtsdestotrotz verzettelt sich Der Fall Collini in einer Erzählstruktur, die nie weiß, wann weniger mehr ist – und wann mehr tatsächlich notwendig. Das wird der Materie und den Beteiligten nicht gerecht.