Das Waisenhaus [2007]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 10. Januar 2011
Genre: Horror / DramaOriginaltitel: El orfanato
Laufzeit: 105 min.
Produktionsland: Spanien / Mexiko
Produktionsjahr: 2007
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren
Regie: Juan Antonio Bayona
Musik: Fernando Velázquez
Darsteller: Belén Rueda, Fernando Cayo, Roger Príncep, Mabel Rivera, Montserrat Carulla, Andrés Gertrúdix, Edgar Vivar , Óscar Casas, Mireia Renau, Geraldine Chaplin
Kurzinhalt:
Laura (Belén Rueda) kehrt mit ihrem Mann Carlos (Fernando Cayo) und ihrem Sohn Simón (Roger Príncep) in jenes Waisenhaus zurück, in dem sie früher einmal gelebt hat. Inzwischen ist das Gebäude verlassen, Laura und Carlos wollen es als Kinderheim neu eröffnen. Simón findet auch hier schnell neue Freunde, wie seine beiden bisherigen, sind des imaginäre. Bei der Eröffnung des Heims wird Laura von einem Kind, das einen beängstigenden Sack über dem Gesicht trägt, verletzt und Simón verschwindet.
Eine Suche bleibt erfolglos, auch wenn Laura der Meinung ist, die Anwesenheit von Simóns imaginären Freunden zu spüren. Das Medium Aurora (Geraldine Chaplin) rät Laura, sie soll denen, die mit ihr im Haus sind, zuhören – doch es verbindet sie viel mehr als nur Simóns Verschwinden mit dem alten Waisenhaus ...
Kritik:
Das Waisenhaus ist ein hervorragendes Beispiel für einen Gruselfilm, der sich auf die Wurzeln des Genres bezieht und erfreulich und überraschend blutleer daher kommt. Wenn solche Filme dann in bestimmten Momenten durch laute Geräusche erschrecken, das plötzliche Verstummen jeglicher Tiergeräusche außerhalb des Hauses etwas Unheilvolles heraufbeschwört oder Fahrzeuge aus dem Nichts auftauchen und Figuren dahinraffen, nennt man das gerne einen billigen Schockeffekt. In Juan Antonio Bayonas wundervoll fotografiertem Film ist das ebenso der Fall, nur erscheinen diese Szenen nicht billig, sondern wachsen aus der grundsätzlich düsteren und bedrohlichen Atmosphäre heraus.
Diese beginnt bereits mit der ersten Einstellung, die Kinder eines Waisenhauses beim Spielen zeigt. Darunter ist auch die kleine Laura, die wenig später adoptiert wird. Viele Jahre später kehrt sie mit ihrem Ehemann Carlos und ihrem ebenfalls adoptierten Sohn Simón zurück in jenes Gebäude, um daraus ein Kinderheim zu machen. Alte, am Meer gelegene Häuser mit einem Leuchtturm in der Nähe besitzen von Grund auf eine beunruhigende Atmosphäre. Die vielen, leerstehenden Zimmer, die knarrenden Dielen und die Erinnerung an die Vergangenheit des Hauses verstärken diesen Eindruck noch. Wer schon einmal in einem solchen Haus gewesen ist, wird sich an Flecken auf den Spiegeln erinnern, die sich nicht mehr entfernen lassen, oder an Holztüren, die der Wind zuschlägt, wenn er durch die undichten Fenster zieht. Es reichen bei Das Waisenhaus meist schon Andeutungen dessen, was passieren könnte, um zusammen mit den sorgfältig ausgewählten Bildern, den Perspektiven, aus denen man beobachtet werden könnte, ein ungutes Gefühl zu erzeugen. Treffen dann die zukünftigen Bewohner des Kinderheims ein und beginnt für Laura und Carlos ihre tragische Odyssee um den verschwundenen Simón, ist man als Zuschauer schon zum Zerreißen angespannt.
Die Eltern des vermissten Kindes tun alles, was in ihrer Macht steht, sie hängen Plakate aus, informieren die Behörden und als Laura das Gefühl nicht los wird, als wären die unsichtbaren Spielkameraden Simóns immer noch mit ihnen im Haus, suchen sie sogar ein Medium auf. Was folgt erinnert im ersten Moment ein wenig an Poltergeist [1982], doch deuten Regisseur Bayona und Produzent Guillermo del Toro diese Hommage nur an, um die Geschichte in eine andere Richtung zu führen. So ergeht es auch einigen der bekannten, billigen Schockmomenten, die zwar wie aus dem Genre vertraute Einstellungen wirken, jedoch geschickt mit den Erwartungen des Publikums spielen, um es zu überraschen.
Ohne Hauptdarstellerin Belén Rueda, deren verzweifelte Suche nach ihrem Sohn das Herzstück des Films darstellt, würde Das Waisenhaus nicht funktionieren. Sie erweckt eine Figur zum Leben, der man selbst die schwersten Entscheidungen abnimmt. Fernando Cayo unterstützt sie hierbei, ist jedoch bei weitem nicht so sehr gefordert. Auch Roger Príncep sorgt als Simón für beunruhigende Momente. Drehbuchautor Sergio G. Sánchez, der die Vorlage bereits Mitte der 1990er Jahre schrieb, verliert trotz der außergewöhnlichen Situation nie seine Figuren aus dem Blick und macht ihre Entscheidungen immer greifbar. So kann man Laura auf ihrem Pfad folgen, ohne sich vor den Kopf gestoßen zu fühlen.
Es gibt einige wenige brutale Szenen in Das Waisenhaus, von denen glücklicherweise keine gegen die Kinder gerichtet ist. Die schlimmsten Grausamkeiten spielen sich im Kopf der Zuschauer ab, ebenso, wie gefährlich die Bedrohung für Laura und Carlos sein kann. Was das Publikum jedoch mehr beschäftigt ist eine Furcht einflößende Atmosphäre, die sich aus der Umgebung, den Bildern und der grundsätzlichen Stimmung ergibt. Juan Antonio Bayonas Film schockt nicht nur mit blutrünstigen Einstellungen, sondern packt mit einem generellen Gefühl des Unwohlseins, das auch nachwirkt, wenn der Film bereits zu Ende ist. Fans oberflächlicher Splatterfilme werden enttäuscht werden.
Fazit:
Wird man als Zuseher im Vorfeld informiert, dass das Ende eines Films überraschend ist, ist die Überraschung meist dahin. Bei Das Waisenhaus ist der Ausgang nicht nur unvorhergesehen, sondern auch sehr überlegt und einfallsreich. Es stellt den Film in einem anderen Licht dar, als man erwartet hätte.
Regisseur Juan Antonio Bayona kleidet den atmosphärisch beunruhigenden Horrorfilm in ausgewählte und hervorragende Bilder, die mit einer gelungenen Geräuschkulisse für Gänsehaut sorgen, auch wenn noch nichts geschehen ist. Die beunruhigende Stimmung wirkt stärker als billige Gewaltphantasien und dank der ausgezeichneten Darsteller bleiben die Entscheidungen der Figuren immer nachvollziehbar. Das Ergebnis ist ein sehr guter, gruseliger Horrorfilm, der sich an ein ruhiges Publikum richtet, und der die Erkenntnisse und Überlegungen der Charaktere nicht vorkaut, sondern Mitdenken erfordert.