Das Parfüm - Die Geschichte eines Mörders [2006]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 05. Oktober 2006
Genre: Unterhaltung / Fantasy

Laufzeit: 147 min.
Produktionsland: Frankreich / Spanien / Deutschland
Produktionsjahr: 2006
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Tom Tykwer
Musik: Reinhold Heil, Johnny Klimek, Tom Tykwer
Darsteller: Ben Whishaw, Dustin Hoffman, Alan Rickman, Rachel Hurd-Wood, Andrés Herrera, Simon Chandler, David Calder, Richard Felix, Birgit Minichmayr, Reg Wilson, Sian Thomas, Alvaro Roque


Kurzinhalt:
Im 18. Jahrhundert wird an einem der abscheulichsten und stinkendsten Orte der Welt – auf dem Fischmarkt von Paris – Jean-Baptiste Grenouille (Ben Whishaw) geboren, der mit seiner Gabe jenes Gebiet erkunden kann, das vielen Menschen in jener Epoche verborgen bleibt. Mit seiner Nase ist er im Stande, die feinsten Gerüche zu erfassen, sie meilenweit zu riechen, aufzuschlüsseln und neu zusammen zu setzen.
So führt ihn sein Weg zum Parfumeur Giuseppe Baldini (Dustin Hoffman), der ihn in die Kunst der Parfüme einweiht. Fortan ist es Grenouilles Bestreben, das perfekte Parfüm zu destillieren, wozu er sich jenes einzigartigen und unvergleichlichen Duftes bemächtigt, den junge Frauen versprühen.
Um an ihren Geruch zu kommen, müssen die jungen Frauen allerdings ihr Leben lassen, was den edlen Geschäftsmann Richis (Alan Rickman) dazu veranlasst, seine Tochter Laura (Rachel Hurd-Wood) noch stärker als sonst zu beschützen, denn die wohl schönste junge Frau in ganz Frankreich wird ebenfalls auf der Liste jenes grausamen Mörders stehen. Doch egal, wie sehr Richis sein Kleinod auch bewacht, Grenouille macht bei seinem Vorhaben vor nichts halt – und ist selbst im Dunkel in der Lage, seinen Weg zu Laura zu finden ...


Kritik:
Das Parfüm als "teuersten deutschen Film" aller Zeiten zu bezeichnen ist, sieht man sich die tatsächliche Beteiligung an, an sich arg vermessen, denn auch wenn hinter der Kamera viele einheimische Namen zu lesen sind, auf der Leinwand sieht man nur sehr wenige deutsche Mimen, selbst die vier wichtigsten Hauptrollen werden von englischsprachigen Akteuren und Aktricen verkörpert.
Zweifelsohne handelt es sich bei Das Parfum [1985] um einen der beliebtesten, meistgelesenen und auch international meist diskutierten Romane der Neuzeit, der auch schon lange in den Köpfen verschiedenster Filmemacher spukte. Regisseure wie Ridley Scott, Martin Scorsese oder Tim Burton waren daran interessiert, auch der inzwischen verstorbene Stanley Kubrick hatte sich interessiert geäußert, verwarf die Idee allerdings mit der Begründung, das Buch sei unverfilmbar. Dass es geht, bewies der deutsche Regisseur Tom Tykwer, der mit Winterschläfer [1997] sein Gespür für Emotionen unter Beweis stellte, anschließend mit Lola rennt [1998] sein Talent für interessante Optik untermauerte, um mit Der Krieger und die Kaiserin [2000] beides zu kombinieren.
In ihm fand Produzent Bernd Eichinger, der sich schon seit Jahren um die Filmrechte des Romans bemühte (Autor Patrick Süskind sträubte sich lange Zeit erfolgreich dagegen, konnte bei einer Ablösesumme von zehn Millionen Euro aber schließlich nicht mehr ablehnen), einen Filmemacher, der mit derselben Begeisterung an den Stoff heranging, wie er selbst. Herausgekommen ist ein Bilderreigen, der in der Tat seines gleichen sucht, der die Zuschauer im optischen Sinne berauscht, wie Hauptfigur Grenouille im Reich der Gerüche berauscht wird. Dabei halten sich die Macher streng an die Vorlage und liefern damit Fans der Vorlage eine überraschend treue Romanadaption – wem das Buch allerdings nicht gefällt, wird eben dieselben Kritikpunkte im Film wiederfinden.

Es scheint bei Das Parfum nur zwei Sorten von Lesern zu geben, diejenigen, die von dem Kult-Roman begeistert sind und diejenigen, die sich eher unangenehm an dessen Lektüre erinnern. Grund hierfür ist zweifelsohne die Story selbst, die auch im Film einen sehr uneinheitlichen Eindruck macht.
Zwar gelingt es den Autoren, die sarkastischen und ironischen Anleihen ebenso auf die Leinwand zu retten, wie das Sittenbild im Frankreich des 18. Jahrhunderts. Auch die bösartigen Seitenhiebe und die Gesellschaftssatire findet sich problemlos wieder, auch wenn die große Frage offen bleibt, weswegen man sich als Zuseher oder Leser für eine Geschichte interessieren sollte, deren Hauptfigur gänzlich unsympathisch und abstoßend bösartig geraten ist.
Zwar wurde Grenouille für die Kinoauswertung deutlich verträglicher gestaltet, seine Entstellungen ebenso unter den Tisch gekehrt, wie seine letztliche Motivation am Schluss des Films abgewandelt, um ihn zwar nicht sympathischer, aber doch nachvollziehbarer erscheinen zu lassen – doch ist dies im Endeffekt nur ein Tropfen auf den heißen Stein, denn woran es Das Parfüm wie seiner Vorlage fehlt ist ein richtiger Spannungsbogen. Als Zuseher fesselt zu Beginn die ungewöhnliche Erzählweise der Geschichte und auch die Anmerkungen des sprichwörtlichen Erzählers vermögen zu unterhalten, doch stellt sich im Mittelbereich des immerhin zweieinhalb Stunden langen Films die Frage ein, wohin sich die Story denn entwickeln wird, und wer eigentlich als Gegenpol zu Grenouille geschaffen werden soll. Doch hier muss man ernüchternd feststellen, dass es niemanden gibt, der sich dem bösartigen Protagonisten in den Weg stellen würde.
Gesteigert wird dies beim Finale durch ein plötzlich auftretendes, beinahe unfreiwillig komisches Fantasy-Element, das derart übertrieben und abgehoben erscheint, dass man sich beim Beginn des Abspanns fragen muss, ob die Filmemacher das letzte Drittel des ansonsten immerhin interessanten Werks Ernst gemeint haben – dass eben jener Knick bereits in der Vorlage enthalten ist, entschuldigt die Umsetzung dabei nicht wirklich, vielmehr erscheint die Entwicklung, wenn man sie auf die Lauflänge begrenzt sieht, noch unglaubwürdiger und vor allem unnötiger, als im Roman.
Den Autoren ist damit zwar eine gute Adaption des Buches gelungen, die aber auf Grund der Romantreue viel Potential ungenützt lässt und im Rückblick auch nicht durchgehend schlüssig erscheint.

An der Besetzung gibt es indes nichts zu bemängeln, auch wenn man nur selten deutsche Gesichter auf der Leinwand zu sehen bekommt und die Rolle von Corinna Harfouch nicht als Sympathiefigur in Erinnerung bleibt – dafür überzeugt Karoline Herfurth trotz kaum Dialog durch ein eindringliches und ergreifendes Spiel.
Ein Coup ist den Machern allerdings bei der Hauptrolle, verkörpert durch Ben Whishaw gelungen, der dem Ekel Grenouille ein derart plastisches Gesicht und so harsche Konturen verleiht, dass er selbst nach wenigen Minuten vor der Kamera so undurchschaubar wie Angst einflößend erscheint. Whishaw überzeugt auf eine beängstigende Art und Weise und fügt der Figur sogar Facetten hinzu – wie beispielsweise beim Finale – die ihr im Roman gänzlich fehlen, sie hier aber merklich interessanter erscheinen lassen.
Dass angesichts seiner Präsenz die übrigen Beteiligten merklich blasser erscheinen, ist verständlich, auch wenn sich Hollywoods stille Stars Dustin Hoffman und Alan Rickman merklich Mühe geben, ihre Figuren zur Geltung kommen zu lassen. Dies gelingt beiden in ihren alleinigen Szenen auch ganz gut, nur sobald sie mit Whishaw vor der Kamera stehen, verschwinden sie in seinem Schatten.
Dabei scheinen sowohl Hoffman, als auch Rickman merklich motiviert, aber gleichzeitig mit der hochtrabenden Sprache der Dialoge nicht so sehr vertraut oder umgänglich, wie manch andere Darsteller im Film, obgleich dies ein Kritikpunkt an der deutschen Synchronisation darstellen könnte und weniger an den Mimen.
Auch Rachel Hurd-Wood leistet gute Arbeit, ist aber kaum zu sehen, wohingegen von den übrigen Beteiligten kaum jemand zur Geltung kommen darf. Das Parfüm lebt ganz eindeutig von seinem Protagonisten, der durch Ben Whishaw auf meisterhafte Weise eingefangen und zum Leben erweckt wird. Ohne ihn wäre die Romanadaption schlicht nicht denkbar.

Dass Regisseur Tom Tykwer ein Talent für exquisite Bilder besitzt, hat man bereits ans Lola rennt erkennen können, auch wenn jener Experimentalfilm stilistisch kaum etwas mit Das Parfüm gemein hatte. Zusammen mit seinem Kameramann Frank Griebe und dem Cutter Alexander Berner (der unter anderem an Roland Emmerichs nächstem Hollywood-Film beteiligt sein wird) erzeugt er für die Verfilmung des Kultbuches eine sehr dynamische und doch eigenwillige Optik, die aber nichtsdestotrotz hervorragend zur Geschichte passt und durch die vielen Kamerafahrten und Detailaufnahmen eben jene Empfindungen visualisiert, die Grenouille bei seinen Streifzügen durch die Welt (und speziell durch Paris) mit der Nase aufnimmt.
So wirkt Das Parfüm in gewissem Sinne modern, aber doch klassisch umgesetzt, verzichtet auf viel Handkamera oder wackelige Einstellungen und setzt auch die zahlreichen Spezialeffekte ausschließlich dazu ein, die Geschichte zum Leben zu erwecken, ihr Rückhalt zu geben und sie mit einem kaum fassbaren Detailreichtum auszuschmücken.
Kamera und Schnitt passen hervorragend zusammen und lassen gemeinsam mit den Bauten und Kostümen, der Maskenarbeit und den Effekten jeden einzelnen Cent erkennen, der in die Produktion geflossen ist. Visuell muss sich Das Parfüm vor epischen Epochenfilmen aus dem Hause Hollywood nicht verstecken, ganz im Gegenteil – mitunter scheinen die Bilder so authentisch, dass einem allein beim Anblick der Straßen von Paris und des Fischmarktes regelrecht übel wird. Tykwer ist hier ein Meisterleistung gelungen, die hoffentlich auch bei den Preisverleihungen anerkannt werden wird.

Auch akustisch durfte man gespannt sein, was sich das Dreigespann Reinhold Heil, Johnny Klimek und Tom Tykwer (früher bekannt als die Band Pale 3) für Das Parfüm würden einfallen lassen.
Der sehr elektronische Stil der drei Musiker, die auch Lola rennt vertonten, hat damals zweifelsohne gepasst und die "Solokarriere" von Heil und Klimek, die seither in Hollywood mit beunruhigenden, atmosphärischen Scores in Filmen wie One Hour Photo [2002] oder der Serie Without a Trace – Spurlos verschwunden [seit 2002] aufwarten, war ebenfalls ein voller Erfolg. Beide untermalten nicht zuletzt Sophie Scholl - Die letzten Tage [2005].
Der Score von Das Parfüm scheint dabei im ersten Moment durch den kraftvollen Bass und die düsteren Töne ebenfalls sehr modern, passt sich aber dem Geschehen an und wirkt rückblickend eben durch die bedrohliche Stimmung sehr effektiv. Zwar wird das Liebesthema etwas zu häufig eingespielt und die Melodien scheinen sich auch nicht so häufig abzuwechseln, wie man sich das bei einem zweieinhalb Stunden langen Film wünschen würde, dennoch bleibt die musikalische Begleitung gelungen und auch für Fans zum Hören ohne den Film interessant.

Dass jemand den Kinobesuch bei dem wohl am sehnlichsten erwarteten deutschen Film des Jahres bereuen wird, ist eigentlich kaum vorstellbar – dies aber nicht, weil Das Parfüm alle Geschmäcker zufrieden stellt, sondern vielmehr, weil sich in dem Film so viel Facetten wiederfinden, dass an sich jeder Zuschauer etwas finden sollte, was ihm oder ihr gefällt.
Fans des Romans werden sich daran erfreuen können, dass die Macher der Vorlage überwiegend treu geblieben sind, während Kritiker des Buches eben jenes bemängeln werden. Alle anderen dürfen sich auf ein sicherlich zynisches, aber vermutlich nicht weit hergeholtes Sittenporträt einstellen, das handwerklich exzellent eingefangen ist und gleichzeitig eine prinzipiell faszinierende Geschichte erzählt, die aber nach dem mitreißenden Anfang zu lange mäandriert und am Schluss den Ausweg ins Fantasy-Genre sucht, anstatt durch einen Krimi oder spannende Momente zu überzeugen.
So muss man sich auf Tykwers Verfilmung des gleichnamigen Romanstoffes einlassen – sollte aber nicht unbedingt damit rechnen, einen schimmernden Helden gezeigt zu bekommen, oder aber eine Zeit, in der man selbst gelebt haben wollte. Was Das Parfüm dann letztlich für einen selbst interessant macht, muss jeder für sich entscheiden.


Fazit:
Jahrzehntelang warteten viele auf eine Verfilmung des angeblich nicht verfilmbaren Romans von Autor Patrick Süskind, der die ewige Buhlerei um die Filmrechte seines Kultbuches so sehr verabscheute, dass er seinen Unmut sogar im Skript zu Rossini [1997] mit einwob.
Nun hat es Tom Tykwer mit einem kaum dagewesenen finanziellen Aufwand geschafft, Das Parfüm mit einer internationalen Besetzung leinwandtauglich zu machen. Gelungen ist ihm das auf jeden Fall für all diejenigen, die die Vorlage bewundern – wer an Süskinds sarkastischem und märchenlastigem Sittengemälde allerdings Kritik übt, wird dies an genau denselben Stellen im Film tun können, dessen größten Schwachpunkt die Story selbst ist. Eine Geschichte über ein verabscheuungswürdiges Wesen zu verabscheuungswürdigen Zeiten vor einer wenig malerischen Kulisse ist schlichtweg etwas, das man sich nicht zwangsläufig zweieinhalb Stunden lang ansehen möchte, zumal einem als Zuseher so etwas wie Genugtuung im Endeffekt verwehrt wird.
Dafür überzeugt Das Parfüm durch eine hervorragende Ausstattung, erstklassige und motivierte Darsteller und eine handwerkliche Umsetzung, die für vieles entschädigt, dabei so klassisch wie innovativ wirkt und doch einen europäischen Touch bewahrt. Sehenswert ist das allemal, ob letztlich aber ein "Meisterwerk", wie vielerorts angepriesen, entscheidet sich je nach Gefallen des Inhalts. Denn der ist im Gegensatz zur Umsetzung nicht unbestritten gelungen.