Das Mädchen mit den goldenen Händen [2021]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 9. Oktober 2021
Genre: DramaLaufzeit: 104 min.
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Katharina Marie Schubert
Musik: Marvin Miller
Besetzung: Corinna Harfouch, Birte Schnöink, Peter René Lüdicke, Jörg Schüttauf, Gabriela Maria Schmeide, Ulrike Krumbiegel, Stephan Bissmeier, Imogen Kogge, Christian Koerner
Kurzinhalt:
Kurz vor dem Jahrtausendwechsel in einem kleinen Ort Ostdeutschlands, bereitet die Lehrerin Gudrun (Corinna Harfouch) die Feier ihres 60. Geburtstags vor. Als Veranstaltungsort hat sie das baufällige Herrenhaus ausgesucht, das zu DDR-Zeiten ein Kinderheim war, in dem sie selbst aufgewachsen ist. Ihre Tochter Lara (Birte Schnöink), die nach der Wende nach Berlin gegangen ist, ist angereist und auch Gudruns Lebensgefährte Werner (Peter René Lüdicke) ist auf die zahlreichen Gäste vorbereitet. Doch dann erfährt Gudrun, dass der Bürgermeister (Jörg Schüttauf) das Heim verkaufen will und Investoren dort ein Hotel errichten sollen. Sie ist erschüttert und macht sich auf, den Verkauf zu verhindern. Je weiter sich Gudrun abkapselt, umso mehr versucht Lara, mehr über ihre Mutter zu erfahren. Hinweise führen Lara auf einen Pfad, auf dem sie vielleicht erfahren könnte, wer ihr leiblicher Vater und weshalb ihre Mutter eine so unnachgiebige Person geworden ist …
Kritik:
Das Spielfilmregiedebüt von Katharina Marie Schubert, Das Mädchen mit den goldenen Händen, legt den Finger in eine Wunde der Gesellschaft, die nie verheilt ist und deren Auswirkungen immer spürbarer werden. Interessanterweise spiegelt die Filmemacherin dies – wie es sich in Wirklichkeit auch an der Wahlurne bemerkbar macht – an mehreren Generationen wider. Doch so gelungen das zentrale Charakterporträt und so treffend die Analogien, es gibt hier zahlreiche Elemente, die nicht weiterverfolgt werden und die Figuren sind so schweigsam, dass die daraus erwachsenden Konflikte stark forciert erscheinen.
Angesiedelt kurz vor der Jahrtausendwende und damit 10 Jahre nach dem Mauerfall, erzählt der Film von Gudrun, die ihren 60. Geburtstag plant. Die Feier soll, wie das Publikum später erfährt, an dem Ort stattfinden, wo sie aufgewachsen ist, dem ehemaligen Kinderheim, das inzwischen verlassen ist und mehr einer Bauruine gleicht. Ob Gudrun den Osten Deutschlands je verlassen hat, wird nicht erwähnt. Ihre Tochter Lara, die zu ihrem Geburtstag aus Berlin anreist, arbeitet dort bei der Oper. Bei der Zugfahrt in ihre Heimat wird Lara mit dem konfrontiert, was sie auch zuhause erwartet: Den alltäglichen Ressentiments West gegen Ost. Und ebenso Ost gegen West. Seien es Menschen aus dem Westen Deutschlands, die sich über die Art zu sprechen oder die Städtenamen in den östlichen Bundesländern lustig machen, oder Menschen aus Gudruns Umfeld, die über die Überheblichkeit der Menschen im Westen herziehen oder ihre eigene Lebensleistung nicht anerkannt sehen. Was beide Blickwinkel vereint sind das Unvermögen sowie das Unverständnis, die persönliche Perspektive zu verschieben, um eine Änderung herbeizuführen.
Für Lara ist der Besuch bei ihrer Mutter, die mit ihrem Stiefvater Werner zusammenlebt, eine Reise in eine Vergangenheit, der sie entkommen wollte. Für Gudrun ist der Ort ihres Geburtstags ebenfalls eine Reise in ihre Vergangenheit, die mit einer Nachricht für sie zusammenbricht: Der Bürgermeister hat vor, das Kinderheim, in dem sie aufwuchs, zu verkaufen und Investoren wollen dort ein Hotel errichten. Es ist der Ausgangspunkt bei Das Mädchen mit den goldenen Händen für grundlegende, gesellschaftliche Fragen, die sich insbesondere mit der Wiedervereinigung gestellt haben, und auf die nie eine in ausreichendem Maße zufriedenstellende Antwort gefunden wurde, die den Großteil der Menschen in den damals „neuen Bundesländern“ auch erreicht hat. Was gilt es zu bewahren, was sollte man abreißen und neu machen? Sollte man an der Heimat festhalten, oder die neu gewonnene Freiheit nutzen und sich eine neue aufbauen? Der Bürgermeister scheint sich auf die Seite der kapitalistischen Investoren geschlagen zu haben und passend dazu ist auch der Finanzberater vor Ort ein westdeutscher Banker.
Regisseurin Schubert destilliert viele gesellschaftliche Unterschiede in diesem Mikrokosmos des kleinen Ortes im Osten Deutschlands, doch will sie gleichzeitig ein Charakterporträt einer Figur zeichnen, die verschlossener und unnahbarer kaum sein könnte. Scheint Gudrun vor der verhängnisvollen Mitteilung über den Verkauf des Kinderheims noch eine lebensfreudige Frau zu sein, wird sie im Verlauf der Geschichte immer schweigsamer, introvertierter und von ihrer Familie losgelöst. Sie beweist eine Unnachgiebigkeit und eine Härte, die alle Menschen von ihr stoßen. Dies beginnt mit kleinen Unaufmerksamkeiten zu Beginn, wenn sie ihrer Tochter Pralinen schenkt, von denen sie an sich wissen sollte, dass sie ihr nicht schmecken – Gudrun aber sehr wohl. Oder wenn sie es ablehnt, dass ihre Tochter am Geburtstag ihrer Mutter eine Rede hält. Stattdessen will sie ihr vorgeben, was sie sagen soll. Es ist ein Mangel an Empathie und Einfühlungsvermögen, für den das Drama eine Ursache darin zu finden scheint, wo Gudrun aufgewachsen ist. Gleichzeitig deutet Das Mädchen mit den goldenen Händen hier andere Facetten an, wenn Lara ein Bild ihrer Mutter entdeckt und sich auf die Suche nach dem Künstler macht, der dies vor langer Zeit gemalt hat. Es rückt Gudrun in ein anderes Licht, zeigt eine junge Frau mit Ambitionen und Träumen, aber es gelingt dem Drehbuch nicht zu verdeutlichen, wann sie diese Eigenschaften verloren hat – oder sie ihr genommen wurden.
Unterteilt in drei Abschnitte, die zuerst Gudrun, dann Lara und schließlich Werner beleuchten sollen, steht erstere sicher im Zentrum und auch Lara, die ihrer Mutter nichts recht machen kann, wird beleuchtet. Doch bleiben hier viele Andeutungen offen stehen, kein Konflikt wird aufgelöst. Dass Gudrun derart abweisend gegenüber ihrer Tochter ist, dass sie nicht erkennt, dass Lara etwas Großartiges vollbracht hat, ist zwar berührend, nur findet dieser Erzählstrang im letzten Drittel keine weitere Beachtung mehr. Über Werner erfährt man so gut wie nichts, auch nicht, was ihn dazu bewegt, sich auf Gudruns Seite zu stellen, wenn diese mit einem Sitzstreik den Verkauf des Kinderheims verhindern will. Es gibt viele Ansätze für eindringliche Charaktermomente, die am Ende jedoch meist darauf hinauslaufen, dass sich die Figuren anschweigen. Darin kann man zwar viel interpretieren, aber es ist in etwa zu erfüllend wie die Tochter-Mutter-Beziehung, die hier greifbar dargestellt wird.
Fazit:
Es ist eine schwierige Balance zwischen Nostalgie und Wehmut. In welche Richtung die von Corinna Harfouch fantastisch gespielte Gudrun tendiert, wenn sie an ihre Zeit im Kinderheim in der DDR denkt, ist eindeutig und prägt ihr Handeln durch und durch. Filmemacherin Katharina Marie Schubert nähert sich einer im Grunde unnahbaren Figur und weckt dabei Sympathie für ihre Beweggründe. Was aber fehlt, sind Einblicke in ihre eigentliche Entwicklung, so dass das Drama nur freilegt, wer Gudrun im Kern ist, nicht aber, weshalb oder ob Werners Tat am Ende sie in irgendeiner Weise befreien kann. Durchweg authentisch ausgestattet und von einer starken Besetzung zum Leben erweckt, entblättert Das Mädchen mit den goldenen Händen einen Konflikt zwischen West und Ost, der sich großteils der öffentlichen Wahrnehmung – wenigstens im Westen – entzogen hat. Das ist inhaltlich wichtig und mit viel Wiedererkennungswert dargestellt, aber die Szenen und Einstellungen sind deutlich länger, als notwendig, weil die Figuren oft bewusst nicht aussprechen, was sie bewegt. Dass Handlungsstränge hier in der Luft hängen, ohne ein Ende zu finden, lässt einen ebenso verwundert zurück, wie der Umstand, dass eine Wirkung der Aussage des Endes, letztlich ausbleibt.