Das Leben ein Tanz [2022]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 30. August 2022
Genre: Drama / Unterhaltung

Originaltitel: En corps
Laufzeit: 118 min.
Produktionsland: Frankreich / Belgien
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Cédric Klapisch
Musik: Thomas Bangalter, Hofesh Shechter
Besetzung: Marion Barbeau, Hofesh Shechter, Denis Podalydès, Muriel Robin, Pio Marmaï, François Civil, Souheila Yacoub, Mehdi Baki, Alexia Giordano, Marion Gautier de Charnacé


Kurzinhalt:

Ihr ganzes Leben hat die junge Élise (Marion Barbeau) in Paris dem Ballett gewidmet. Bei einem ihrer größten Auftritte knickt sie um und die Diagnose der Ärztin würde ihre Karriere an sich beenden. Jahrelang soll sie aussetzen und sich schonen. Nachdem auch ihre Beziehung ein jähes Ende gefunden hat und ihr Physiotherapeut Yann (François Civil) für eine gewisse Zeit ins Ausland geht, schließt sich Élise der temperamentvollen Sabrina (Souheila Yacoub) an, die mit dem Koch Loïc (Pio Marmaï) auf dem Anwesen von Josiane (Muriel Robin) in der Bretagne Künstlerinnen und Künstler bewirtet. Kurz nach ihrer Ankunft erscheint eine Tanzgruppe um den bekannten Choreografen Hofesh (Hofesh Shechter), der ein Stück für zeitgenössischen Tanz einstudiert. Von Élises bisheriger Karriere sehr angetan, lädt er sie ein, sich der Gruppe anzuschließen, aber Élise befürchtet, sich nur erneut zu verletzen. Dank Tänzer Mehdi (Mehdi Baki) und nicht zuletzt Josiane bietet sich Élise auf dem Land die Möglichkeit der Erneuerung – auch in Bezug auf die kühle Verbindung zu ihrem Vater Henri (Denis Podalydès) …


Kritik:
Wie die klassischen Ballettstücke, die er vorstellt, steht in Cédric Klapischs Das Leben ein Tanz nicht das Ziel der Reise seiner Hauptfigur im Zentrum, sondern die Reise selbst. Entsprechend sollte es nicht verwundern, dass die Tänzerin Élise, die hier im Zentrum steht, am Ende der zwei Stunden an einem ähnlichen Punkt angekommen ist, wie ganz zu Beginn. Entscheidend sind die Erfahrungen, die sie gemacht hat. Dabei wird das Publikum mehr davon wieder entdecken, was es selbst mitbringt, als ihm vorgegeben wird.

Die Geschichte erzählt aus dem Leben der 26jährigen, erfolgreichen Balletttänzerin Élise Gautier, die, nachdem sie unmittelbar vor der Vorstellung mitansieht, wie ihr Freund sie betrügt, am Ende auf der Bühne umknickt. Die Diagnose Bänderriss wäre bereits erschütternd genug, doch die Ärztin teilt ihr zudem mit, dass sie eine vorige Verletzung nicht auskurierte. Wenn sie überhaupt je wieder tanzen will, muss sie zwei Jahre pausieren. Ihre Schwestern ermuntern Élise zwar, doch der fehlende Rückhalt ihres Vaters Henri, dessen Beziehung zu ihr unterkühlt ist, belastet sie sehr. So schließt sich Élise der ehemaligen Tänzerin Sabrina an, die ebenfalls verletzungsbedingt ausgeschieden war und mit ihrem Freund Loïc, einem Koch, das Catering auf dem Landsitz von Josiane übernimmt. Dort trifft die Tanz-Kompanie um den berühmten Choreografen Hofesh ein, der ein Stück zeitgenössischen Tanzes einstudiert. Seine Einladung, sich der Gruppe anzuschließen, schlägt Élise zuerst aus, doch findet sie dort nicht nur einen Weg zurück in ein Leben, das vom Tanz geprägt wird, sondern auch eine neue Liebe.

Das klingt durchaus, als würde Élise eine spürbare Entwicklung durchmachen, doch es sind die Nebenschauplätze, die Das Leben ein Tanz weniger eindrücklich erscheinen lassen, als der Film sein möchte. Unter anderem kristallisiert sich heraus, dass ihre früh verstorbene Mutter Élise an das Ballett herangeführt hat, sie diese Leidenschaft womöglich auch deshalb weiterverfolgt, um ihr nahe zu sein. Henri ist mit dieser Karriere, die sich stärker auf den Körper als den Verstand verlässt, nicht einverstanden. Er hätte sich gewünscht, dass Élise ihm nachkommt und Jura studiert. Doch der Konflikt zwischen Vater und Tochter ist nur ein Randnotiz, die drei Auftritte Henris rechtfertigen kaum, dass die Geschichte Élises Wandlung so stark hiervon abhängig macht.
Auch wenn sie nach dem Betrug durch ihren Freund im ersten Moment nicht an einer neuen Beziehung interessiert ist, gibt es doch gleich mehrere Interessenten. Zum einen ihren Physiotherapeuten Yann, der ebenfalls betrogen wurde und vor Élise in Tränen ausbricht, als er davon erfährt. Dass er in Élise verliebt ist, ist unübersehbar, nur sie selbst hat dafür keinen Blick. In Hofeshs Tanzgruppe ist nicht nur Robinson an ihr interessiert und versucht, ihr näher zu kommen, der ebenfalls talentierte Mehdi fühlt sich auch zu Élise hingezogen.

Dieses Liebesviereck wäre dann von Interesse, wenn es im Lauf der Story irgendeine Auswirkung hätte. Aber außer, dass Yann mit einigen beinahe peinlichen Auftritten für Auflockerung sorgt, spielt seine Figur keine wirkliche Rolle. Ebenso wenig Robinson. Dass Élise zudem in Hofesh selbst und in Josiane einen Mentor sowie eine Mentorin findet, die ihr zureden, an sich zu glauben, ist ebenfalls unnötig doppelt. Beide Figuren wären dann notwendig, würden sie einerseits Élises Karriere und dann ihre Beziehung zu ihrem Vater betreffen. Letzteres deutet Klapisch schließlich an, doch es ändert nichts daran, dass Das Leben ein Tanz viele sich wiederholende Elemente vorstellt. Die Proben für den ausdrucksstarken Auftritt der modernen Tanzgruppe würden das Publikum letztlich dann deutlich stärker einbinden, würde man erfahren, was für eine Geschichte das Stück erzählen soll – und ob es vielleicht Aspekte aus Élises Leben aufgreift.

Möglichkeiten gäbe es genug, die Geschichte in sich selbst zu verzahnen und die Besetzung wäre dem mehr als nur gewachsen. Mit Hauptdarstellerin Marion Barbeau besetzt Klapisch seine Protagonistin erstklassig. Nicht nur, dass ihr die emotionalen Aspekte tadellos gelingen, die Tanzszenen sind geradezu atemberaubend. Sie alle sind fantastisch in Szene gesetzt und entfalten eine stellenweise geradezu meditative Wirkung, indem sie verdeutlichen, was in den Tänzerinnen und Tänzern vorgeht. Nichtsdestotrotz wiederholen sich auch diese Abschnitte mitunter und sind überdies länger, als sie sein müssten. Dass die Reise von Élise in Das Leben ein Tanz kein wirkliches Ziel hat, ist insoweit kein Vorwurf. Dass sie viele Chancen überspringt hingegen schon.


Fazit:
Sagt Vater Henri über das Abendessen „ich habe nichts schlechtes [darüber] gesagt“, bringt eben diese Mentalität, kein Lob auszusprechen, das Wesen nicht nur einer Eltern-Generation auf den Punkt. Doch wandelt er sich zum Schluss, als hätte er seine Tochter Élise zum ersten Mal wirklich gesehen, ist dieser Sprung deshalb unglaubwürdig, weil man ihn nie an sich selbst zweifeln sieht. Filmemacher Cédric Klapisch scheint mäandrierend viele Aspekte anzureißen, manche gar mehrmals in unterschiedlichen Figuren vorzustellen, aber keinen davon ausloten zu wollen. Letztlich ist dies Élises Geschichte, der ihr Traum genommen wird und die sich zurück kämpft in einen leicht abgewandelten Traum. Ihr dabei zuzusehen, ist insbesondere während der starken und fantastisch choreografierten Tanzeinlagen mitreißend. Auch ist Das Leben ein Tanz durchweg gut gespielt, mit einer unterschwelligen Melancholie vieler Figuren. Doch sind ganze Nebenhandlungen für deren Entwicklung nicht notwendig und er ist auch länger, als er sein müsste. Die teilweise geradezu unpassend fremde Musik beim Vor- und Abspann mag man als Stilmittel akzeptieren können. Wenn die Geschichte insgesamt aber auf Grund der Art wie sie erzählt wird trotz der sehenswerten Darbietungen nicht entsprechend mitnimmt, ist das schlicht schade.