Das Erwachen der Jägerin [2023]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 25. Januar 2024
Genre: Drama / ThrillerOriginaltitel: The Marsh King’s Daughter
Laufzeit: 109 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Neil Burger
Musik: Adam Janota Bzowski
Besetzung: Daisy Ridley, Ben Mendelsohn, Brooklynn Prince, Gil Birmingham, Garrett Hedlund, Joey Carson, Caren Pistorius, Yanna McIntosh
Kurzinhalt:
Dass Helena (Brooklynn Prince) mit ihrem Vater Jacob (Ben Mendelsohn) und Mutter Beth (Caren Pistorius) für sich ganz allein und abgeschieden im Wald aufwächst, ist für das Mädchen nichts besonderes. Mit ihrem Vater sorgt sie durch die Jagd für genügend Essen und in der Hütte wohnen sie zu dritt. Doch als ihre Mutter mit ihr flieht, Helena zum ersten Mal eine Stadt und die vielen Menschen sieht, dämmert es ihr, dass nicht alles normal war. 20 Jahre später hat Helena (Daisy Ridley) mit Ehemann Stephen (Garrett Hedlund) und Tochter Marigold (Joey Carson) nicht nur eine eigene Familie, sie weiß, dass ihr Vater, von dem sie niemandem, nicht einmal Stephen erzählt, ein Krimineller ist, der ihre Mutter entführt hatte und im Gefängnis sitzt. Doch dann erreicht Helena die Nachricht, dass Jacob geflohen ist und sie ahnt, dass sie sich und auch ihre Tochter vor ihm nicht verstecken kann. So tut sie das, was ihr Vater sie gelehrt hat und bereitet sich auf einen Kampf in der Umgebung vor, die sie am besten kennt: Der Wildnis …
Kritik:
Neil Burgers Das Erwachen der Jägerin ist nicht die Art Film, den die Inhaltsangabe oder die Vorschau verheißt. Anstatt eines packenden Überlebensthrillers, in dem sich eine erwachsene Tochter gegen ihren gewalttätigen Vater stellt, erwartet das Publikum weit überwiegend ein Charakterdrama, das eine der beiden Figuren beinahe vollständig ausblendet. Vor toller Kulisse widersetzt sich die Geschichte damit zwar den Erwartungen, gerät aber auch nie so packend, wie erhofft.
Das liegt teilweise auch an der Erzählstruktur, derentwegen die Story lange braucht, ehe sie diejenige Figur vorstellt, mit der man mitfiebern soll, und noch länger, ehe die Konfrontation in den Mittelpunkt gerückt wird, auf die die Beteiligten hinarbeiten. Es beginnt damit, dass Jacob Holbrook mit seiner noch nicht einmal zwölfjährigen Tochter Helena im Wald auf der Jagd ist. Er hat ihr das Fährtenlesen beigebracht, die Liebe zur Natur – und die Jagd. Wenn Helena das Reh nicht erlegt, gibt es kein warmes Abendessen für sie, ihren Vater und ihre Mutter Beth. Die Wegstationen ihrer Entwicklung, ihre Erfolge und Misserfolge, tätowiert Jacob seiner Tochter auf die Haut, auf dass sie sie nie vergisst. Doch was wie wie ein idyllisches Leben einer naturbezogenen Familie anmutet, ist das genaue Gegenteil. Als Beth die Chance hat zu fliehen, ergreift sie sie und Helena, die nicht versteht, dass ihre Mutter gegen ihren Willen von Jacob im Wald festgehalten wurde, muss mitansehen, wie dieser verhaftet wird. 20 Jahre später hat Helena selbst eine Tochter und ist verheiratet. Nicht einmal ihr Mann Stephen weiß um ihre Vergangenheit. Doch als die Polizei in ihrem Haus steht und ihnen mitteilt, dass Jacob aus der Haft geflohen ist, gibt es keine Ausflüchte mehr. Zumal Helena weiß, dass ihr Vater nach ihr suchen wird.
Dass dies schließlich auf das Aufeinandertreffen zwischen Tochter und Vater hinauslaufen wird, ist weithin absehbar. Nur verbringt der Film kaum Zeit damit, seine Figuren bis dahin zu vertiefen. Man erkennt Helena Angst davor, als die Tochter des so genannten „Moorkönigs“ erkannt zu werden, daran, dass sie an ihrem Schreibtischarbeitsplatz in der Buchhaltung selbst bei Hitze einen Rollkragenpullover trägt und ihre Tätowierungen überschminkt. Aber selbst wenn sie ihrer Tochter Marigold im Park die Namen der Bäume und Vögel erklärt, ob sie überhaupt und auch in ihrer Ehe mit Stephen glücklich ist, thematisiert Das Erwachen der Jägerin gar nicht. Der Umgang des Paares erscheint ebenso kühl wie derjenige Helenas zu ihrem Stiefvater. Was für seelische Wunden sie aus der traumatisierenden Erfahrung ihrer Kindheit davongetragen hat, kann man so nicht einmal erahnen. Es würde vielleicht einfacher, würde Helena durch die Flucht ihres Vaters oder bestimmte Situationen im Alltag an eben ihre Kindheit erinnert, doch Filmemacher Burger schildert ihr Aufwachsen vollständig als Prolog in den ersten 20 Minuten seines Films, ehe die Erzählung zeitlich vorspringt. Dabei blickt Hauptdarstellerin Daisy Ridley durchaus in Gedanken versunken oftmals an der Kamera vorbei, als würde Helena in Erinnerungen hineingezogen, die sie nie losgelassen haben.
Ein weiterer Nebeneffekt, die Vorgeschichte am Stück zu erzählen, ist dass Jacob im gesamten Mittelteil keine Rolle spielt und so gut wie nicht auftritt. Was diesen Mann überhaupt angetrieben hat, sich ein Leben in der Wildnis aufzubauen mit einer Frau, die er entführte und festhielt, wird nie deutlich. Man kann sich zwar ausmalen, dass Helena bei seiner Verhaftung damals über alle Maßen erschüttert sein musste, immerhin wurde ihr wiederholt gesagt, sie sei in Sicherheit, obwohl sie sich nie unsicher gefühlt hatte, doch was in ihr vorging und wie sie ins Erwachsenenalter hinein ihre Erlebnisse verarbeitet, stellt das Drehbuch nicht heraus. Es gibt kein einziges klärendes Gespräch zwischen Helena und Stephen. Oder ihr und ihrem Vater. Zwar werden Momente aus dem Prolog später in Rückblicken erweitert, scheinbar harmlose Situationen um einen Kontext ergänzt, in dem sie viel beängstigender und bedrohlicher sind, nur wenn Das Erwachen der Jägerin Helenas Rückkehr in ihre alte Heimat damit verbinden möchte, dass sie sich an die schlimmen Zeiten erinnert, die sie seither ausgeblendet hat, dann wird das nicht greifbar.
So mäandriert die Erzählung spürbar auf ein Finale hin, in dem Regisseur Burger trotz oftmals auffallend statisch eingefangener und hölzern klingender Dialoge sowie ungeachtet einer nicht nur in den Rückblicken mit einer starken Vignettierung und ausgewaschener Farbgebung durchblitzen lässt, was für eine Art Film Das Erwachen der Jägerin hätte sein können. Sowohl Daisy Ridley als auch Ben Mendelsohn sind bemüht, dem Gezeigten mehr Leben einzuhauchen, als es die Vorlage vermag und sie beide sind der beste Grund, sich auf die Geschichte einzulassen. Doch sie können nicht kaschieren, dass der Film viel Potential ungenutzt lässt und Fragen ausblendet, die man gern beantwortet sehen würde. Das ist in Anbetracht der Beteiligten überaus schade.
Fazit:
Zu sehen, wie Helena die Initiative ergreift, anstatt die Bedrohung für sich selbst und ihre Familie auf sich zukommen zu lassen, definiert sie ebenso als starke Frauenfigur, wie dass sie sich dem Mann stellt, der ihr alles über die Jagd und die Wildnis beigebracht hat, was sie weiß. Um ihn aufzuhalten, muss sie besser sein als ihr Vater und man fragt sich durchaus, wer hier die Katze und wer die Maus ist. Doch wenn Helena den Spieß endlich umdreht und Regisseur Neil Burger zeigt, was für ein Film in der Geschichte schlummert, ist das letzte Drittel längst angebrochen. Bis dahin fehlt irgendetwas, das die Figuren spürbar vorantreibt. Die Charaktere scheinen ambivalent, Helena in sich gekehrt und darunter leidend, dass sie viel von ihrem Vater besitzt, sich in keiner Welt wirklich zuhause fühlt. Doch für ein charakterbetontes Drama ergründet Das Erwachen der Jägerin seine Protagonisten zu wenig und für einen Thriller fehlt es an Spannung und Zugkraft. Vor einer tollen landschaftlichen Kulisse verleihen die beiden Stars im Zentrum der Erzählung mehr Substanz, als sie im Grunde verdient. Mit der richtigen Erwartungshaltung kann man sich von ihnen dennoch mitnehmen lassen.