Das Ende ist mein Anfang [2010]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 04. Oktober 2010
Genre: DramaLaufzeit: 98 min.
Produktionsland: Deutschland / Italien
Produktionsjahr: 2010
FSK-Freigabe: ohne Altersbegrenzung
Regie: Jo Baier
Musik: Ludovico Einaudi
Darsteller: Bruno Ganz, Elio Germano, Erika Pluhar, Andrea Osvárt, Nicolò Fitz-William Lay
Kurzinhalt:
Tiziano Terzani (Bruno Ganz) ist einer der bekanntesten Journalisten der westlichen Welt. Er bot Einblicke in das asiatische Reich, als dieses für den Rest der Welt Großteils verschlossen blieb. Von schwerer Krankheit gezeichnet, weiß der 65jährige Terzani, dass sein Ende nahe ist. So telegrafiert er seinem Sohn Folco (Elio Germano), der ihn neben seiner Mutter Angela (Erika Pluhar) bis zum Ende begleiten soll. Dabei entwickelt sich zwischen Vater und Sohn ein Dialog, den Folco in einem Buch verarbeiten soll.
Darin erzählt Terzani von seinen Erlebnissen in Asien, wie ihn jenes Land veränderte und wie er auf der Suche nach sich selbst auch einen neuen Bezug zur Welt und dem Leben selbst fand. Und auch zum Sterben, dem letzten großen Abenteuer ...
Kritik:
Sobald eine Geschichte von den Weisheiten des Lebens und viel wichtiger des Sterbens handelt, sei es nun in Buch- oder Filmform, wird derjenige, der die Geschichte in sich aufnimmt, sie nach seinen eigenen Erfahrungen und Ansichten bewerten und beurteilen. Das Ende ist mein Anfang ist ein effektvoll aufgebautes Drama, das die letzten Tage und Wochen des italienischen Spiegel-Korrespondenten Tiziano Terzani behandelt, dessen Berichterstattung aus Asien von 1972 bis 1997 schon deshalb für Aufsehen sorgte, weil er einer der wenigen westlichen Journalisten überhaupt war, der Zugang zu jenem fernen Reich hatte. Wie sehr ihn seine Zeit dort beeinflusste, wird auch in Das Ende ist mein Anfang deutlich, immerhin handelt das erste Drittel beinahe ausschließlich von seinen Erzählungen jener Zeit.
Jo Baiers Drama ist so effektiv wie berechnend und selbst wenn man den autobiografischen Hintergrund des Filmes in Betracht zieht, kann man nicht umhin, die Person Terzani auf Grund seiner Aussagen in irgendeiner Form zu beurteilen. Den in Florenz als Sohn von armen Eltern geborene Terzani zog es nach seinem Jurastudium in den Osten und seine Erkenntnisse von Spiritualität oder den erstrebenswerten Grundsätzen des Kommunismus tut er ebenso kund wie seine Verachtung des Krieges, des Kapitalismus und des Materialismus. Dies, obwohl er durch seine Arbeiten als Kriegsreporter die (finanzielle) Unabhängigkeit erlangte, sein Leben in Hong Kong, Bangkok, Indien und anderen Ländern der Erde zu führen und seinen Lebensabend vor einer malerischen Landschaft in der Toskana zu bestreiten. Auch sein Sohn, der weit mehr bereiste als Kalkutta und die USA, genoss ein privilegiertes Leben, das für seine Zuhörer als Maßstab herzunehmen einfach nicht angemessen scheint. Insofern ist seine Aufforderung, seinem Beispiel zu folgen schlicht utopisch. Dafür müsste ein jeder dieselben Voraussetzungen gegeben haben.
Eine weitere Idealisierung betrifft die Darstellung des Sterbens im Allgemeinen. Es ist leider selten der Fall, dass man genügend Zeit mit den Menschen hat, die einem wichtig sind. Dass alle Aussprachen stattfinden, oder dass diejenigen Menschen überhaupt bis in die letzten Tage geistig so agil sind, um ihre Umgebung wahrzunehmen. Geschweige denn, dass sie sich minutiös an Einzelheiten und Details aus ihrem Leben erinnern können. Tiziano Terzani hat keine Angst vor dem Sterben, er hat ein erfülltes Leben gelebt. Auch das kann nicht jeder sagen und sein kurzer Anflug von Zweifel in dieser Überzeugung, er habe genügend Zeit gehabt, zerstreut so schnell, dass unaufmerksame Zuseher ihn gar nicht bemerkten werden.
Regisseur Jo Baier erzählt sein Drama bewusst langsam, verharrt lange in statischen Bildern auf den Figuren und klammert sich dabei so sehr an sie, dass er die traumhafte Kulisse der Toskana nur am Rande mit einbindet, statt sie als Teil von Terzanis Charakter zu manifestieren. Selbst auf eine Totale auf dem Berggipfel angekommen muss man lange warten und wird zwei Mal mit demselben Bild abgespeist. Dass Das Ende ist mein Anfang als das, was es sein will dennoch funktioniert, verdankt der Film den exzellenten Darstellern. Bruno Ganz verleiht Terzani ein unbestreitbares Charisma, das aber auch nicht überdeckt, wie gewöhnlich und weltbekannt seine esoterischen Ansätze und Thesen sind. Auch seine philosophischen Erkenntnisse bergen wenig neue Einblicke, sondern wiederholen, was gemeinhin schon bekannt ist und das in Dialogen, die wie ein einstudierter, von einem Romanautor erdachten Monolog grammatikalisch korrekt und verschachtelt vorgetragen werden. Während die Synchronstimme von Elio Germano gut gewählt, aber die Dialoge nicht lippensynchron abgestimmt sind, überzeugt der gebürtige Italiener als Terzanis Sohn in allen Situationen bis auf die klischeebeladene Vater/Sohn-Konfrontation, die mit den klugen, vorhersehbaren Sätzen endet, dass der Vater sein Leben leben soll und der Sohn das seinige. Erika Pluhar ist als Terzanis Ehefrau unterfordert, auch wenn sie einen Aspekt vorbringt, der aber nicht weiter verfolgt, sondern unter den Teppich gekehrt wird. Wie grausam ist der scheinbar lockere Umgang von Todgeweihten mit dem Sterben selbst für ihre Angehörigen? Wie egoistisch ist es, wenn der Sterbende ihnen den Umstand des baldigen Ablebens immer wieder vor Augen führt und ihnen gleichzeitig die Möglichkeit der Trauer verbieten will, sie dazu auffordert, sich zu freuen und nicht zu weinen, wie Terzani es tut? Wie schmerzvoll ist es, wenn einem auch die heilende Wirkung der Trauer so vorenthalten werden soll?
Das Ende ist mein Anfang wird das Publikum in diejenigen Lager polarisieren, die darin ein Modellbeispiel für den letzten Lebensweg sehen und wie der Vater seine Weisheiten an den Sohn weiter gibt, und diejenigen, die im Leben andere Erfahrungen mit den letzten Begegnungen geliebter Menschen gemacht haben. Als Romanverfilmung mag dies werkgetreu sein, als Drama selbst ist es bis hin zum letzten Moment kalkuliert und sogar bis zur Musik auf den emotionalen Effekt abgestimmt. Dabei kommen aber trotz der sich wiederholenden Lebensweisheiten, die sich allesamt auf dem Niveau einer Sonntagnachmittagfamilienfeier bewegen, die Charaktere und ihre Hintergründe zu kurz. Dass es Regisseur Baier außerdem nicht gelingt, die Landschaft der Toskana für eine ausgiebige Bildersprache zu nutzen, ist enttäuschend.
Fazit:
Wenn Bruno Ganz von Terzanis Erlebnissen in Vietnam berichtet oder den Auswirkungen seiner Krankheit erliegt, verschwimmen die Grenzen zwischen der Rolle und der Person. Er führt einen kleinen, aber exzellenten Cast an, der den Figuren trotz der mangelnden Hintergründe Tiefe verleiht. Wie man zu den inhaltlichen, esoterisch-spirituellen Themen steht, die Das Ende ist mein Anfang anspricht, muss jeder für sich entscheiden.
Nichtsdestoweniger wiederholt sich das Drama in seiner Aussage, zieht mit allen Fäden seine Register, um eine größtmögliche Tränengarantie zu bilden und bleibt doch klischeehaft erzählt und visuell trotz der herausragenden Kulissen zu konventionell und auf die Gesichter der Darsteller fixiert. Schöner wäre gewesen, Terzanis Gefühl der eigenen Bedeutungslosigkeit, der majestätischen Überlegenheit der Natur, auch in den Bildern auszudrücken.