Dark Blue [2003]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 25. Juni 2003
Genre: Thriller / Drama

Originaltitel: Dark Blue
Laufzeit: 118 min.
Produktionsland: USA / Deutschland
Produktionsjahr: 2002
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Ron Shelton
Musik: Terence Blanchard
Darsteller: Kurt Russell, Scott Speedman, Michael Michele, Brendan Gleeson, Ving Rhames, Kurupt, Dash Mihok, Lolita Davidovich


Kurzinhalt:
Los Angeles im Jahr 1992: Als Mitglied der LAPD-Eliteeinheit SIS steht Eldon Perry (Kurt Russell) nicht oft vor verschlossenen Türen. Seine Fälle löst der desillusionierte Cop allerdings auf eine recht unkonventionelle Art: Er nimmt sich das Recht heraus, Richter zu spielen, oder auch einmal einen anderen Verbrecher für das aktuelle Verbrechen verantwortlich zu machen. Zudem ist er korrupt und nicht wirklich zimperlich, wenn es um Gewaltanwendung geht.
Das muss sein neuer Partner Bobby Keough (Scott Speedman), Neffe von Perrys Vorgesetztem Jack Van Meter (Brendan Gleeson) sehr schnell erkennen, doch er scheint bereit, sich in das "Cowboy-Spiel" einzufügen.
Arthur Holland (Ving Rhames) sind die zwielichtigen Machenschaften von Van Meter und Perry schon lange ein Dorn im Auge. Doch bislang konnte er seine Vermutungen nicht beweisen. Er beauftragt seine Mitarbeiterin Beth Williamson (Michael Michele), mehr über Eldon Perry und Bobby Keough herauszufinden. Für Beth wird die Situation kompliziert, als sie feststellt, dass es Bobby ist, mit dem sie sich seit kurzem trifft.
Als Perry und Keough auf einen brutalen Mord angesetzt werden, hat Perry Gary Sidwell (Dash Mihok) und Darryl Orchard (Kurupt) in Verdacht, doch die werden von Van Meter beschützt. Als Perry auf eigene Faust dennoch gegen die beiden ermittelt, verstrickt er sich immer tiefer in einem Netz aus Täuschungen und Gewalt. Dabei sitzen ihm nicht nur ein intrigierender Van Meter und der ermittelnde Holland im Nacken, sondern auch das Urteil im Rodney King-Prozess droht wie ein Schatten über Los Angeles.


Kritik:
Es war am 3. März 1991, als Rodney King mit 160 Stundenkilometern knapp acht Meilen in Los Angeles, Kalifornien fuhr, bevor er von der Polizei angehalten wurde. Den vielfachen Befehlen der Beamten, den Wagen zum Stehen zu bringen, war er nicht nachgekommen. Die vier weißen Polizisten zogen den afro-amerikanischen Fahrer aus dem Wagen und versetzten ihm 56 Schläge mit ihren Schlagstöcken, sowie sechs Fußtritte – und das über einen Zeitraum von zwei Minuten. King erlitt elf Schädelfrakturen, einen Gehirntrauma und einen Nierenschaden.
Was die Polizisten nicht wussten, war, dass ein Mann auf einem benachbarten Balkon den Vorfall mit einer Videokamera festgehalten hatte, und der 81-sekündige Film bereits am 4. März weltweit in den Nachrichten zu sehen war. Schlimmer noch, die Polizeibeamten gaben später auch noch gefälschte Berichte ab, in denen von Verletzungen nichts berichtet wurde.
Am 14. März 1991 wurden sie verhaftet und des "Angriffs mit einer tödlichen Waffe, sowie Gebrauchs übertriebener Gewalt" angeklagt. Der Gerichtsprozess wurde aus Los Angeles hinaus nach Simi Valley in Ventura County verlegt, trotz des Einspruchs von Seiten der Staatsanwaltschaft. Die Jury wurde aus Menschen ausgewählt, die Freunde oder Verwandte im Polizeidienst hatten – doch ein Vorwurf der Voreingenommenheit wurde vom Gericht abgewiesen. Erst am 5. März 1992 begann der Prozess und am 29. April wurden die Angeklagten von der weißen Jury freigesprochen.
Was dann folgte, ist in den Geschichtsbüchern zu lesen: In wenigen Stunden brachen in Los Angeles und anderen Städten der USA Unruhen aus, die allein in der "Stadt der Engel" 54 Menschen das Leben kostete.
Sechs Tage lang dauerten die Ausschreitungen und erst die Nationalgarde konnte den bürgerkriegsähnlichen Zuständen Einhalt gebieten.
Mindestens 2300 Verletzte, 13.000 Verhaftungen und ein geschätzter Sachschaden in Höhe von 700 Millionen Dollar, so die erschütternde Bilanz. Dazu der zerstörte Traum, dass die Klippe zwischen schwarzer und weißer Bevölkerung bald überwunden wäre.

Vor dem Hintergrund der letzten Tage vor dem Bekanntwerden des Urteils und der Ausschreitungen selbst spielt Dark Blue und zeigt dabei vielen US-Bürgern, was sie gar nicht sehen wollen. Der Film basiert dabei auf einem Roman von James Ellroy, der schon die Vorlage zum brillianten L.A. Confidential [1997] geliefert hat.
Die Korruption innerhalb von Polizeikreisen, sowie der halb-öffentlich praktizierte Rassismus innerhalb von Behörden ist seit jeher zwar ein brisantes, vor allem aber ein wichtiges Thema, das diskutiert werden muss – schonungslos wird dies in Ron Sheltons Film präsentiert, und dürfte somit schon durch die vulgäre Ausdrucksweise seiner Protagonisten viele Zuschauer vor den Kopf stoßen. Doch das bemerkenswerte Thrillerdrama bemüht sich um Objektivität, und es ist nicht zuletzt der hervorragenden Darstellerleistung von Kurt Russell zu verdanken, dass man die Romanverfilmung von Dark Blue gesehen haben sollte.

Bereits am Anfang kommt der erste Schock für die Zuschauer. Denn zu sehen, mit welcher Leichtigkeit zwei Verbrecher Menschenleben auslöschen und das Ganze als nebensächlich abhaken, ist in der Tat ein Tritt in die Magengrube des Zuschauers, der schon rein inhaltlich erst einmal verarbeitet werden will. Man ist erschüttert und buchstäblich sprachlos.
Doch wenn wenig später die Polizisten, also die vermeintlich Guten, ebenso über Leben und Tod entscheiden, als würden sie eine Mahlzeit im Restaurant bestellen, und vor allem, wie sie diese Todesurteile vor sich und anderen legitimieren, dann hat man als "naiver Normalsterblicher" doch erste Probleme, das alles zu verdauen.
Rassismus ist sicherlich heute genauso ein Problem, wie vor 50 Jahren, nur dass er heute versteckter gehandhabt und zum Tabu erhoben wird. Damit nicht genug: Im Polizeipräsidium sind noch ganz andere Dinge an der Tagesordnung: Korruption, Erpressung – angesichts dieser Themen, die hier direkt angesprochen werden, ist man perplex und vielleicht auch ein wenig verängstigt, denn so abwegig, wie man denken könnte, erscheint die Handlung des Films nicht, im Gegenteil. Und genau daraus leitet sich der Titel des Films, Dark Blue, als Anspielung auf das dunkle Blau der Polizei-Uniformen von Los Angeles ab.

Drehbuchautor David Ayer, der James Ellroys Roman adaptierte, gelang das Kunststück, eine komplexe Handlung kompakt zu erzählen, ohne dass in der Geschichte Lücken oder Sprünge auftauchen.
Ein weitaus größeres Problem war es dennoch, einen Hauptcharakter vorzustellen, der ansich überhaupt nichts Sympathisches an sich hat. Die Gefahr war hier sehr groß, den verbrecherischen Polizisten zu glorifizieren, oder gar seine Handlungen zu rechtfertigen. Glücklicherweise ist das nicht der Fall, denn Ayer bemühte sich darum, die Schwarz-Weiß-Malerei durch eine durchdachte und vielschichte Charakterisierung zu vermeiden. Offenbar werden Perrys Eigenarten (und wie er zu dem wurde, was er ist) an seinem neuen Partner Keough, der wohl bewusst wie eine jüngere Version Perrys erscheint. Keough steht vor denselben Entscheidungen, die Perry früher zu fällen hatte. Welchen Weg wird Keough gehen? Wie wird er sich entscheiden? Hat er überhaupt eine Wahl?
Ebenfalls interessant und erfreulicherweise nicht aufgesetzt, wirkt die Nebenhandlung mit Perrys Ehefrau, gespielt von Lolita Davidovich. Sie darf den vielleicht treffendsten Satz im Film aussprechen, in dem Sie zu ihrem Ehegatten meint: "Ich habe Dich in die Hölle hinabsteigen sehen und immer gewartet, dass Du wieder hochkommen würdest." Wer jetzt allerdings eine klischeehafte gebrochene Ehe befürchtet, die sich zum Schluss hin kitten lässt, irrt! – Die Story geht mit den Charakteren schonungslos in den Kampf und legt bei ihnen so einige Nerven blank.
Was dem Drehbuch und der Geschichte allerdings fehlt, das soll nicht verschwiegen werden, ist die Überraschung. Thriller- und Krimikenner wissen relativ früh, wie sich alles entwickeln wird und erleben somit keine Aha-Effekte, auch wenn der eine oder andere Storyhaken durchaus unerwartet kommt. Alles in allem ist der Verlauf des Skripts vielleicht etwas zu vorhersehbar, was die Spannung der einzelnen Szenen aber nicht trübt.
Anhand der zahllosen Details, der Hintergründe der Charaktere und vieler kleiner Gespräche, kann man die Komplexität der Romanvorlage wohl nur erahnen. Die Story im Film wirkt auf alle Fälle stimmig, wenngleich man zu Anfang etwas schneller zum Thema hätte kommen können.

Was Dark Blue aber neben der schonungslosen Präsentation der Handlung weit über den Thriller-Durchschnitt hinaus hebt – denn Cop-Thriller gab es ebenfalls schon genug, darunter ebenfalls gelungene wie zum Beispiel Internal Affairs - Trau' ihm, er ist ein Cop [1990] –, sind die Darsteller.
Allen voran Kurt Russell, der hier möglicherweise besser spielt, als je zuvor. Zwar liegt seine letzte darstellerische Glanzleistung in Breakdown [1997] noch nicht so lange zurück, doch derart real, beklemmend und in einigen Sequenzen auch furchteinflößend hat man ihn noch nie gesehen.
Demgegenüber verblasst sein Kollege Scott Speedman verständlicherweise, aber auch er gibt sich trotz des milchgesichtigen Eindrucks durchaus erfolgreich Mühe, seiner Rolle gerecht zu werden.
Ving Rhames bekleidet hier zwar nur mehr oder weniger eine Nebenrolle, doch die füllt er mit der von ihm gewohnten Präsenz hervorragend aus und man sieht ihm an, dass ihm die Rolle am Herzen lag.
Ebenfalls beunruhigend überzeugend verkörpert Brendan Gleeson (Mission: Impossible II [2000]) den korrupten Van Meter.
Eine kleine Überraschung war die aus e.r. - Emergency Room [seit 1994] bekannte Darstellerin Michael Michele, die von 1999 bis 2001 bei der Ärzte-Serie auftrat, allerdings leider nur eine Nebenrolle spielen durfte. Hier ist sie zwar etwas mehr gefordert, überragend war jedoch ihr darstellerisches Können in zwei bestimmten Szenen, besonders in ihrer letzten. Wer Zweifel hatte, ob sie einer Hauptrolle gewachsen wäre, sollte spätestens jetzt eines Besseren belehrt worden sein – man kann ihr nur gratulieren.
Selbiges gilt für Lolita Davidovich, die zwar nur kurz zu sehen ist, in ihrer Abschiedsszene aber mehr glänzen kann, als manche anderen Darsteller in zwei Stunden Leinwandpräsenz.
Alles in allem ist der Darstellerstab sehr gut ausgewählt worden, obwohl man viele davon nicht unbedingt zu den Top-Schauspielern zählen würde, was jedoch ansich nur so viel heißt wie, "sie bekommen keine 20 Millionen Dollar pro Film". Für Dark Blue hätte man sich keine anderen Akteure wünschen können.

In Szene gesetzt wurde das Geschehen von Regisseur Ron Shelton, der bislang eigentlich eher für seichte Komödien-Unterhaltung bekannt war, darunter Weiße Jungs bringen's nicht [1992] oder Tin Cup [1996]. Für das Thriller-Thema suchte er sich einen passenden Dokumentarstil aus, der mit vielen Farbfiltern und einem grieseligen Handkamera-verwackelten Bild sicherlich nicht jedermanns Geschmack ist. Allerdings gewöhnt man sich schnell an die optische Präsentation und spätestens, wenn in Los Angeles die Unruhen ausbrechen, passt die Optik hervorragend zum Inhalt.
Auch die Actionszenen sind übersichtlich gehalten, einige Sequenzen immens spannend inszeniert, Dialogszenen vermitteln dahingegen eine wohltuende Ruhe, ohne unnötige Hektik, die dennoch die innere Dramatik spüren lassen.
Zwar sind Kamera und Schnitt nicht oscarverdächtig eingesetzt, gelungen sind sie aber allemal.

Nicht ganz so gut sieht es hingegen mit der Musik von Terence Blanchard aus. Die Melodien klingen bisweilen ungewollt komisch – und das ist der Film eindeutig nicht.
In manchen Szenen passt sie hervorragend und man fühlt sich beinahe an den Score von Graeme Revell für Spuren von Rot [1992] erinnert, doch insgesamt ist der Soundtrack von Dark Blue eindeutig der Schwachpunkt des Films und die Produzenten wären mit einem stimmungsvolleren Score besser beraten gewesen – einige Passagen hätten zumindest komplett gestrichen werden sollen.

Eine unangenehme Herausforderung war zweifelsohne die deutsche Synchronisation, die hier jedoch erfreulich gut gelungen ist. Man hat sich offensichtlich bemüht, der Geschichte Rechnung zu tragen und viele der Schimpfwörter und Kraftausdrücke im Film zu belassen, was für den Zuschauer im ersten Moment sicher eine Umstellung ist.
Bislang wurden vulgäre Ausdrücke meistens entschärft, doch eben bei diesem Thema hätte das nicht funktioniert. So sprudeln Beschimpfungen und Genitalbezeichnungen aus dem Lautsprecher, dass manch Zuschauer/-in beinahe rot werden würde – im englischen Original ist es zwar mit Sicherheit derber, doch da fällt es eben nicht so stark auf. Interessenten seien also vor zahlreichen unverblümten Ausdrücken gewarnt, die in diesem Film jedoch sein müssen.
Dass Kurt Russell seine bekannte Synchronstimme hat, ebenso wie Ving Rhames ist sehr erfreulich – auch die restlichen Charaktere wurden gut ins Deutsche gebracht. Lediglich die beiden jungen Cracksüchtigen Orchard und Sidwell haben unpassende Stimmen und klingen einfach – falsch. Wenn sie fluchen, hört sich das mehr wie die Karikatur eines richtigen Verbrechers an.

Schon bei der Eröffnungssequenz wird klar, dass sich Ron Sheltons Film nicht gerade an zartbesaitete richtet. Sowohl visuell, als auch inhaltlich sollte man sich auf einiges gefasst machen, denn sobald die Ausschreitungen in Los Angeles loslegen, bekommt man einiges zu sehen.
Ob es bei aller verständlicher Wut gerechtfertigt war, dass in den Straßen von Los Angeles so randaliert wurde, seit dahingestellt. Immerhin entsprach man damit genau dem Vorurteil, das die weiße Bevölkerung von vorne herein hatte. Zudem litten unzählige Unschuldige unter den Krawallen.
Dass man Dark Blue gesehen haben sollte, steht indes außer Frage. Der deutschen InterMedia Produktionsgesellschaft sollte man schon für den Mut zu einem solchen Projekt danken, leider wurde der 15 Millionen Dollar teure Film kein Erfolg in den USA.


Fazit:
Ganz ohne Zweifel reicht der Film nicht an die Klasse von L.A. Confidential heran, auch wenn er thematisch ähnlich gelagert ist.
Dennoch überzeugt Dark Blue als außergewöhnlich gutes Thrillerdrama, das viele Züge einer Charakterstudie enthält und auf überflüssige Actioneinlagen verzichtet.
Spannend, schockierend und erschütternd sind hervorragende Darsteller zu sehen, die vor hochexplosiver Kulisse in einer Story agieren, die auch elf Jahre nach den realen Ereignissen gar nicht so weit hergeholt scheint.
Sehenswert für erwachsene und nervenstarke Zuschauer.