Curveball - Wir machen die Wahrheit [2020]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 28. August 2021
Genre: Komödie / Krimi / Thriller

Laufzeit: 108 min.
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Johannes Naber
Musik: Johannes Naber
Besetzung: Sebastian Blomberg, Dar Salim, Virginia Kull, Thorsten Merten, Michael Wittenborn, Franziska Brandmeier, Marcus Calvin, Simon Kerrison


Kurzinhalt:

Ende der 1990er-Jahre wird der Biowaffenexperte des BND, Dr. Wolf (Sebastian Blomberg), vom Vorgesetzten Schatz (Thorsten Merten) angesprochen. Wolfs Expertise sei gefragt, da dieser zuvor drei Jahre im Irak damit zugebracht hatte, nach Beweisen für die Produktion von Massenvernichtungswaffen zu suchen. Wolf soll den Quellenführer Retzlaff (Michael Wittenborn) unterstützen, der im Asylbewerber Rafid Alwan (Dar Salim) jemanden gefunden zu haben glaubt, der an Saddam Husseins Biowaffenprogramm mitgewirkt hat. Rafid sagt seine Mitarbeit zu, im Gegenzug für Schutz und einen deutschen Pass. Die Befragungen ziehen sich hin und obwohl noch Zweifel bestehen, informiert der BND stolz andere Geheimdienste, sie hätten eine Quelle mit Informationen aus erster Hand. Gerade als sich bei Wolf die anfängliche Skepsis gelegt hat, tauchen Hinweise auf, dass Rafid doch ein Hochstapler sein könnte …


Kritik:
So absurd die Geschehnisse in Johannes Nabers Politsatire Curveball - Wir machen die Wahrheit scheinen mögen, sie basieren, wie der Film zu Beginn feststellt, auf Tatsachen. Entsprechend bleibt dem Publikum zunehmend das Lachen im Halse stecken, wobei dies keine ausgesprochene Komödie ist. Doch kann man nicht anders, als angesichts der beinahe grotesken Entwicklungen und der gelungenen Situationskomik immer wieder zu lachen. Dabei sind die Auswirkungen des Gezeigten im Grunde mehr als traurig.

Die Erzählung beginnt im Jahr 1997, als der Biowaffenexperte des Bundesnachrichtendienstes, Dr. Wolf, im Irak an einer Mission teilnimmt, die klären soll, ob Präsident Saddam Hussein über biochemische Waffen verfügt. Die Einsatzkräfte werden nicht fündig und Wolf kehrt schließlich unverrichteter Dinge zurück nach Deutschland, immer noch fest überzeugt, dass sie nur nicht gründlich genug gesucht haben. Zwei Jahre später wird er von dem hochrangigen BND-Beamten Schatz als Irak-Experte zu einer laufenden Operation hinzugezogen. Der Quellenführer Retzlaff wurde in einem Asylbewerberheim auf den Iraker Rafid Alwan aufmerksam, der behauptet, am Biowaffenprogramm von Hussein beteiligt gewesen zu sein. Schatz entscheidet, dass Wolf Rafid als „Quelle“ erschließen soll. Nach ersten Gesprächen wird dieser aus dem Heim in eine Wohnung gebracht und erzählt Wolf, er habe im Irak mit hochgefährlichen Anthrax-Erregern (Milzbrand) gearbeitet. Beweise liefert Rafid dafür nicht und während Wolf eingangs noch skeptisch ist, wittert man beim BND, mit dem Informanten Rafid, der später den Titel gebenden Decknamen „Curveball“ erhält, einen großen Fisch an der Angel zu haben. Darum legitimiert der BND die Quelle gewissermaßen selbst, als ein von Wolf geschriebener Bericht über die Art der irakischen Massenvernichtungswaffen und ihre Lagerung mit Bezug auf den Informanten an andere Geheimdienste gesandt werden. Zu welcher Posse sich dies entwickelt, als sich die Hinweise verdichten, dass Rafid in Wirklichkeit nicht verlässlich ist, sollte das Publikum für sich entdecken.

Regisseur Naber zeichnet in Curveball das Bild des unmittelbar dem Bundeskanzleramt nachgeordneten Auslandsgeheimdienstes, der so sehr darum bemüht ist, aus dem Schatten anderer Nachrichtendienste zu treten, dass die Verantwortlichen selbst dann an einer falschen Information festhalten, wenn ihnen bekannt ist, dass sie eben dies ist: Falsch. Es ist ein Thema, das sich hier auch in dem von Sebastian Blomberg zurückhaltend und klasse gespielten Protagonisten Wolf widerspiegelt. Diesen lässt das Bedürfnis, biochemische Waffen im Irak zu finden, nie los und er ist mehr als nur bemüht, wieder dorthin zurückzukehren. Aus diesem Grund fallen die Geschichten, die ihm Rafid erzählt, nicht nur auf einen entsprechenden Nährboden, sein (unbestätigter) Bericht könnte ihm darüber hinaus die Türen in den Irak zurück öffnen. Wozu das auch international führen wird, war sicherlich im Jahr 2001 noch nicht absehbar, im Nachhinein jedoch ist es erschreckend offensichtlich.

Curveball schildert diese Entwicklungen nach den Ereignissen des 11. September 2001 gekonnt und nachvollziehbar. Selbst wenn die Macher in diesem Moment die dramatischen Folgen noch nicht bewerten, bleibt kein Zweifel, wie ernst die Situation ist. Und das, obwohl der trockene Umgang der Personen mit der gesamten Situation für geradezu absurd-witzige Momente sorgt. Zeichnen sich jedoch die Konsequenzen ab, die schließlich auch Menschenleben fordern, sind die berechnenden Verhaltensweisen mancher Beteiligter geradezu erschreckend.
Hinzu gesellt sich eine Ausstattung, die die Zeit um die Jahrtausendwende gelungen wiederaufleben, und eine tadellose Inszenierung, die keine Wünsche offen lässt. Dass Hauptfigur Wolf über weite Strecken distanziert wirkt, Nebenfiguren wie seine Tochter Meg nichts zur Geschichte beitragen und der Erzählfluss regelmäßig ins Stocken zu geraten droht, sind alles zutreffende Kritikpunkte. Doch sie sorgen am Ende nur dafür, dass der Film für ein breiteres Publikum nicht leicht zugänglich ist. Sie schmälern jedoch nicht die Erzählung für ein Publikum, das bereit ist, sich auf ihn einzulassen.


Fazit:
Es gibt Politsatiren, die haben sichtlich Spaß an der Materie, und unterstreichen ihre Absurdität. Regisseur Johannes Naber schlägt hingegen bereits mit dem Hinweis, dass dies „leider“ eine wahre Geschichte ist, melancholische Töne an. Aus dem Grund klingt die Story zwar wie eine Behörden-Posse und ist teils mit ebenso alltäglicher Situationskomik erzählt, doch der Kern ist bedauerlicherweise todernst. Umso fassungsloser macht die strukturierte Erzählung, die handwerklich tadellos rekonstruiert, nicht nur wie es so weit kommen konnte, sondern was die letztlichen Auswirkungen der getroffenen Entscheidungen waren. Dramaturgisch offenbaren zwar alle drei Akte spürbare Längen und insgesamt ist dies nicht in der Art zugänglich, wie es hätte sein können. Dabei auch weder übermäßig bissig und im Anprangern des Verhaltens der Behörden und Figuren sogar zu brav. Doch an der inhaltlich wichtigen und gelungenen Präsentation ändert das nichts. Curveball - Wir machen die Wahrheit zeigt mit genau der richtigen Prise trockenem Humor die Zwickmühle aus absurdem Behördenalltag und mangelnder Charaktergröße auf, die dazu führt, dass Fehler nicht eingestanden werden. Das ist nicht nur deshalb wichtig, weil manche Entscheidungsträger von damals heute immer noch in Amt und Würden sind, sondern damit sich solche Fehler und ein solches Verhalten nicht wiederholen. Klasse!