Crisis [2021]

Wertung: 3 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 13. Juli 2021
Genre: Drama / Thriller

Originaltitel: Crisis
Laufzeit: 118 min.
Produktionsland: Kanada / Belgien
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Nicholas Jarecki
Musik: Raphael Reed
Besetzung: Gary Oldman, Armie Hammer, Evangeline Lilly, Greg Kinnear, Michelle Rodriguez, Luke Evans, Lily-Rose Depp, Guy Nadon, Veronica Ferres, Kid Cudi, Indira Varma, Martin Donovan


Kurzinhalt:

Nach Jahren verdeckter Ermittlungen hat Drogenfahnder Jake Kelly (Armie Hammer) inzwischen Verbindung zu einem einflussreichen Drogenbaron herstellen können, der aus Kanada Opioide in die Vereinigten Staaten bringt. Jenseits der Grenze wird die alleinerziehende Claire (Evangeline Lilly) in tiefe Verzweiflung gestürzt, als ihr Sohn tot aufgefunden wird. Er soll eine Überdosis genommen haben, aber während Claire selbst in der Vergangenheit von Schmerzmitteln abhängig war, ist sie davon überzeugt, dass ihr Sohn keine Drogen genommen hat. So beginnt sie, Nachforschungen anzustellen und findet eine Spur, die sie nach Kanada führt. Unterdessen gerät der Wissenschaftler Dr. Tyrone Brower (Gary Oldman) unter Druck, der seit Jahren Studien für einen großen Pharmakonzern durchführt, in Anbetracht der Markteinführung eines neuen, angeblich weniger süchtig machenden Schmerzmittels jedoch in einen Gewissenskonflikt gerät. Seine Studiendaten zeigen das genaue Gegenteil, ein Mittel, das bedeutend abhängiger machen kann. Es sind Erkenntnisse, die die Verantwortlichen Dr. Holmes (Veronica Ferres) und Dr. Simons (Luke Evans) unter allen Umständen geheimhalten wollen …


Kritik:
Am Ende entpuppt sich Nicholas Jareckis Thrillerdrama Crisis bedauerlicherweise als Betrug am Publikum. Dabei würde der Film, der vor dem Hintergrund der in den Vereinigten Staaten wütenden Opioidkrise spielt, alle Zutaten für eine packende und hochaktuelle Erzählung mitbringen. Doch wenn der Filmemacher bereits zu Beginn damit wirbt, dass seine Geschichte auf wahren Begebenheiten beruht, erwartet man am Ende zurecht mehr, als die langatmige, mit klischeehaften Dialogen beladene und teils grob geschnittene Umsetzung, die allenfalls von der Realität inspiriert ist.

Dabei scheint die Story durchaus bemüht, mehrere Handlungsfäden zu spinnen, die sich mit demselben Thema beschäftigen. Angesiedelt irgendwann zwischen 2017 und heute, haben die Menschen in den USA mit einer wahren Drogenschwemme zu kämpfen, ausgelöst durch die Verschreibung von extrem abhängig machenden Schmerzmitteln seit den späten 1990er-Jahren mit dem Wirkstoff Oxycodon. Mit dem bekanntesten Mittel, Oxycontin – meist nur „Oxy“ abgekürzt – wurde auch die alleinerziehende Architektin Claire behandelt und abhängig davon. Inzwischen wieder drogenfrei, ist die Versuchung jeden Tag gleich groß, zu den in jeder Apotheke auf Rezept erhältlichen Tabletten zu greifen. Als ihr Sohn überraschend tot aufgefunden wird und Verbindungen in das Drogenmilieu reichen, macht sie sich auf die Suche nach der Wahrheit und kreuzt irgendwann den Weg des verdeckten Drogenfahnders Jake, der versucht, einen paranoiden Drogenbaron in Kanada dingfest zu machen und gleichzeitig andere Drogensyndikate aufzudecken. Der dritte Erzählstrang handelt von dem Dozenten und Wissenschaftler Dr. Tyrone Brower, der Studien für einen der größten Pharmakonzerne des Landes durchführt. Dessen neues Mittel soll weniger süchtig machen, als Oxycontin, doch Browers Studien deuten in eine andere Richtung, woraufhin Brower zum Schweigen verpflichtet werden soll und unter Druck gesetzt wird.

Zusammen mit der einleitenden Bemerkung des Films würde man nun vermuten, dass Crisis von wirklichen Ereignissen erzählt, von der tatsächlichen Einführung eines neuen Schmerzmedikaments, an dessen Versprechungen die Forschung zweifelt, oder von einer Operation, die einen großen Drogenlieferanten von Kanada in die Vereinigten Staaten aufdecken soll. Belege für irgendetwas liefert Nicholas Jarecki nicht und lässt Texttafeln am Ende verlauten, dass das gezeigte Medikament so nicht existiert oder eingeführt wurde, aber dass es andere gäbe und die Opioidkrise in zwei Jahren mehr Todesopfer forderte, als der Vietnamkrieg. Das ist zweifelsohne richtig und auch die Art und Weise, wie Drogendealer hier mit schnell ausgestellten Rezepten Oxycontin in Massen erwarben, um es dann wieder auf der Straße zu verkaufen, mag stimmen, nur gerät Crisis so weniger zu einer dramatisierten Nacherzählung wahrer Ereignisse, als zu einer fiktiven Erzählung vor einem realen Hintergrund.

Es mag sich wie Haarspalterei anhören, nur hat dies gerade dann unmittelbare Auswirkungen, wenn man sich mit diesem Wissen ansieht, was Regisseur und Drehbuchautor Jarecki aus der Ausgangslage entwickelt. Der Handlungsstrang um Dr. Brower trifft sich beispielsweise nie mit den anderen beiden und hat am Ende auch keinerlei Auswirkungen. Sieht man hier Entscheidungen offizieller Stellen, die für Kopfschütteln sorgen und fußen diese offenbar nicht auf wahren Geschehnissen, kann man nicht sicher sein, ob dies tatsächlich so geschehen würde. Bezieht man dann noch die langgezogene Erzählung mit ein, möchte man fragen, weshalb der Filmemacher den gesamten Handlungsstrang um den Dozenten, der sich mit einem Pharmariesen anlegt, nicht vollständig aus der Story gestrichen hat, wenn er offenbar schon keine Auswirkung auf die anderen entfaltet. Es wäre schade um die Auftritte von Gary Oldman, die zu den besten des Films zählen, nur sind sie für die restliche Story eben ohne Belang.
Auf der anderen Seite steht der Ermittler Jake, der seinem Ziel zwar immer dichter kommt, die Drogenoperation auffliegen lassen zu können, der aber nicht nur mit seiner drogenabhängigen Schwester zu kämpfen hat – ein weiterer Handlungsstrang, der nirgendwo hinführt –, sondern auch mit seiner Vorgesetzten, die schnell Ergebnisse sehen will. In der Rolle ist Michelle Rodriguez nicht nur vollkommen verschenkt, sie agiert ebenso lustlos, wie die Figur mit ihren klischeehaften Dialogen angelegt ist.

Schade ist es am Ende vor allem um die sichtlich engagierte und aus der TV-Serie Lost [2004-2010] bekannte Evangeline Lilly als trauernde Mutter, deren Geschichte schließlich auch einfach aufhört, ohne einen Abschluss zu finden. Bis dahin ist Crisis gespickt mit vielen Einstellungen, in denen Figuren aus dem Off sprechen, während die Bilder zeigen, wie sie sich mit den anderen Personen erst noch zum Gespräch treffen, als wollte der Regisseur visuelle Übergänge schaffen, obwohl diese Zwischenschritte gar nicht notwendig sind. In Dialogen werden die unbeteiligten Gesichter von Personen gezeigt, die gerade nicht sprechen, aber auch nicht mimisch auf das Gesagte reagieren und Privatdetektive wissen hier offenbar mehr als die Drogenfahndung oder die Polizei. Das ergibt am Ende inhaltlich so wenig Sinn, bleibt hinsichtlich des Dozenten, der um seinen guten Ruf gebracht wird, seltsamerweise ohne wirkliche Konsequenzen und wächst nie über das hinaus, was man in anderen Filmen bereits bedeutend besser ausgearbeitet gesehen hat, dass es schlicht enttäuschend ist.


Fazit:
Ähnlich wie bei seinem vorigen Film Arbitrage [2012], versucht Regisseur Nicholas Jarecki, eine Thrillerstory wie ein Drama zu erzählen. Das klingt wie ein falscher Ansatz und tatsächlich wird dies hier dadurch verstärkt, dass zu dem Thrilleraspekt um den verdeckt ermittelnden Drogenfahnder gleich zwei Erzählstränge treten, die das Drama der Figuren in den Mittelpunkt rücken. Derjenige um Dr. Brower löst sich letztendlich in Luft und Wohlgefallen auf, während der andere um die trauernde Mutter Claire mit ihrem Verhalten nur wenig greifbar wird. All dies erscheint trotz des realen und erschreckenden Hintergrunds einer durch Opioide ausgelösten Epidemie in den USA ebenso oberflächlich wie aus besseren Filmen zusammengeklaubt. Hinzu kommt eine Inszenierung, durch die Crisis wirkt, als wäre der Film mit angezogener Handbremse erzählt, mit Szenen, die allesamt zu lange sind, Schnittwechseln, die nie den Blick darauf lenken, was oder wer gerade im Zentrum stehen sollte, und Dialogen, die altbekannt klingen. So gut die Absichten der Verantwortlichen gewesen sein mögen, der Film wird weder der Besetzung, noch dem Thema bedauerlicherweise gerecht. Durch den sich selbst eingangs auferlegten Anspruch erst recht nicht.