Chinatown [1974]

Wertung: 6 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 20. Juni 2024
Genre: Krimi / Drama

Originaltitel: Chinatown
Laufzeit: 130 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 1974
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Roman Polanski
Musik: Jerry Goldsmith
Besetzung: Jack Nicholson, Faye Dunaway, John Huston, Perry Lopez, John Hillerman, Darrell Zwerling, Diane Ladd, Roy Jenson, Roman Polanski, Dick Bakalyan, Joe Mantell, Bruce Glover, Nandu Hinds, James O’Reare, James Hong, Beulah Quo, Jerry Fujikawa, Belinda Palmer, Burt Young


Kurzinhalt:

Im Jahr 1937 wird Los Angeles von einer Hitzewelle heimgesucht. Während die Wasserwerke die Trinkwasserreserven für die Stadtbevölkerung zurückhalten, wird den Bauern im Tal kein Wasser für die Bewässerung zur Verfügung gestellt. Die Stimmung heizt sich umso mehr auf, als bekannt wird, dass die Wasserwerke einen weiteren Staudamm bauen sollen, obwohl sich dessen Chefingenieur Hollis Mulwray (Darrell Zwerling) weigert. Auf ihn wird Privatdetektiv Jake Gittes (Jack Nicholson) angesetzt, da Mulwrays Frau vermutet, er habe eine Affäre. Gittes liefert auch scheinbar kompromittierende Fotos, die – nicht durch seine Hand – den Weg in die Presse finden. Kurz darauf wird Mulwray tot aufgefunden, doch als sich seine Witwe bei Gittes meldet, muss der private Ermittler erkennen, dass die Frau, die ihn angeheuert hat, nicht Mulwrays Ehefrau Evelyn (Faye Dunaway) war. Offenbar sollte der Name von Mulwray in den Schmutz gezogen werden und Gittes, dessen Ruf ihm vorauseilt, wurde hierfür benutzt. Deshalb ermittelt Gittes weiter und kommt einer Intrige auf die Spur, die nicht nur in die einflussreichen Kreise von Noah Cross (John Huston) reicht, sondern deren Beteiligte vor Mord nicht zurückschrecken, um ihre Machenschaften verdeckt zu halten …


Kritik:
Roman Polanskis Chinatown ist ein überraschend zeitloser und doch im besten Sinne klassischer Neo-Noir-Krimi, der das Genre seit einem halben Jahrhundert prägt und definiert. Angesiedelt in den späten 1930er-Jahren, ist die Geschichte aus der Perspektive des wenig zimperlichen, aber doch nicht skrupellosen Privatdetektivs J. J. „Jake“ Gittes erzählt, der in eine Intrige verwickelt wird, die weit über das hinausgeht, was er überblicken kann. Erstklassig gespielt und mit einer geradezu unnachahmlichen Authentizität gefilmt, ist das ein Meilenstein des Genres.

Dabei ist es durchaus wörtlich zu verstehend, dass Regisseur Polanski das Geschehen aus Gittes’ Sicht schildert. Es gibt keine Szene ohne ihn, wir entdecken die verschiedenen Facetten des Falls ausschließlich aus seiner Warte. Nur was er hört und sieht ist bekannt, in vielen Situationen sehen wir ihm buchstäblich über die Schulter. Das hat nicht nur zur Folge, dass wir mit ihm zusammen die unterschiedlichen Informationen zusammensetzen können, wir können ihn buchstäblich dabei beobachten, wie er selbst die Hinweise zu einem Gesamtbild zusammenzufügen versucht. Zu Beginn wird Gittes von einer Frau beauftragt, ihren Mann zu beschatten, von dem sie vermutet, dass er eine Affäre hat. Gittes versucht noch, sie von dem Auftrag abzubringen, doch es gelingt ihm nicht. Das Pikante daran: ihr Mann ist Hollis Mulwray, Chefingenieur der Wasserwerke von Los Angeles, der nicht nur wegen eines gebauten Staudamms in der Kritik steht, sondern der sich aktuell weigert, einen weiteren Damm zu bauen, mit dem das in Los Angeles und Umgebung ohnehin knappe Wasser bestimmten Regionen zugute kommen soll, während die Bauern im Umland außen vor bleiben. Gittes fotografiert Mulwray mit einer jungen Frau, ohne die Zusammenhänge zu kennen, und das Foto findet auch den Weg in die Zeitungen. Kurz darauf wird Mulwray tot aufgefunden und als wenig später seine Witwe vor ihm steht, um ihn zu verklagen, traut Gittes seinen Augen nicht, denn Evelyn Mulwray ist nicht die Frau, die ihn angeheuert hat.

Scheint der Fall zu Beginn somit einfach gelagert, muss sich Gittes kurz darauf eingestehen, dass er gar nichts weiß und schlimmer noch, er benutzt wurde, ohne zu wissen, durch wen. Auch wenn Evelyn ihn bittet, die Sache auf sich bewenden zu lassen und ihn sogar für seinen Aufwand bezahlen will, entschließt sich der Privatdetektiv, herauszufinden, wer Mulwray schaden wollte und ihn selbst vor den Karren gespannt hat. Durch wortlose Beobachtungen und viele Gespräche, indem er kleinen Hinweisen folgt und so sein Bild von Hollis Mulwray ebenso vervollständigt wie das von Evelyn, kommt Gittes einer Intrige auf die Spur, in der es um Macht und Einfluss, aber auch viel Geld und familiäre Angelegenheiten geht. Die Geschichte von Chinatown entwickelt sich langsam, es gibt keine Figur, die Privatdetektiv Gittes sämtliche Informationen auf dem Silbertablett serviert. Vielmehr nimmt er die wenigen Informationen, die er hat, selbst wenn es nur Vermutungen sind, und wirft sie seinem Gegenüber in toll geschriebenen Dialogen an den Kopf, um Reaktionen zu provozieren und zu sehen, womit er richtig lag.

Zusammen mit der stets komplexer werdenden Hintergrundgeschichte, bei der politische Verwicklungen ebenso zum Tragen kommen wie die finstersten menschlichen Abgründe, ist dies eine Form des Geschichtenerzählens, wie sie heute bedauerlicherweise nicht mehr zu finden ist. Auch wenn die Bedrohung für Gittes selbst immer persönlicher wird, sobald er den Mächtigen zu nahe kommt, bleibt die Erzählung ruhig und geerdet, konzentriert sich darauf, die Figuren zu definieren und die facettenreichen Verstrickungen zu vertiefen. Sich in diesem Sumpf aus Korruption und Machtgier fallen zu lassen, ist ein einnehmenden Erlebnis. Kleine Worte machen hier den Unterschied, Gesten und Blicke sind verräterisch. Bei alledem ist jede Figur wichtig und es überrascht kaum, wenn Chinatown am Ende selbst diejenige Person wieder aufgreift, die zu allererst zu sehen ist. Kaum ein Ort wird nur einmal besucht und erst beim zweiten Blick ergeben sich Details, die man zuvor nicht wahrgenommen hat.

Dass all dies so hervorragend funktioniert, ist nicht nur dem mit dem Oscar prämierten Drehbuch von Robert Towne zu verdanken, das eine Komplexität aufweist, als sei es von einer Romanvorlage adaptiert. Auch die Besetzung trägt maßgeblich dazu bei, allen voran Jack Nicholson als Privatdetektiv Gittes, der nicht nur mit einer geradezu entwaffnend zynischen Süffisanz und Arroganz auftritt, sondern seine Kombinationsgabe mit einem vorschnellen Mundwerk kombiniert, das ihn zunehmend in Schwierigkeiten bringt. Der Charakter verkörpert den Archetyp eines privaten Ermittlers, der sich einerseits der Schmutzigkeit seines Berufes bewusst, gleichzeitig aber darum bemüht ist, sich selbst zu legitimieren und mit seinen als Fakten vorgetragenen Vermutungen ein Scheinbild seines Wissensstandes vor sich herträgt, dessen Zerbrechlichkeit er sich immer gewahr bleibt. An seiner Seite gelingt Faye Dunaway eine Darbietung, die vom ersten Auftritt an eine ebenso tragische wie eingeweihte Aura umgibt. Dass sie mehr weiß, als sie sagt, ist ebenso erkennbar, wie dass sie in irgendeiner Art und Weise wenigstens auch ein Opfer der Intrige ist.

Wie die meisten Noir-Krimis, entblättert Filmemacher Roman Polanski die scheinbar makellose Welt der Einflussreichen und Unberührbaren. Eingefangen in einer fantastisch authentischen Optik und herausragend ausgestattet, ist das ein von seiner Geschichte vorangetriebener Krimi, der, je länger er dauert, nur mehr Schichten und Abgründe offenlegt. Mehr kann man sich von dem Genre kaum erhoffen.


Fazit:
Während Thriller und Krimis seit jeher mit Wendungen oder Überraschungen aufwarten, die das Geschehen in einen neuen Kontext rücken, wählt Filmemacher Roman Polanski eine andere Herangehensweise. Früh muss Hauptfigur Jake Gittes, der kein Held im eigentlichen Sinne ist und sich auch nicht als solcher begreift, erkennen, dass er die Zusammenhänge des Falles, den er viel einfacher vermutet hat, nicht versteht. Je länger er ermittelt, umso mehr wird er zum Spielball der Mächtigen und erblickt doch nur immer ein Puzzlestück einer Intrige um Macht und Ländereien einer Stadt, die sich für die Zukunft rüstet. Die klassische Ermittlungsarbeit mit Befragungen und Beobachtungen, Kombinationen und Dialogen, erfordert auch vom Publikum, das nicht mehr Informationen als der Protagonist erhält, viel Aufmerksamkeit und zahlt sich gerade deshalb aus. Grandios ausgestattet und hervorragend besetzt, ist Chinatown ein klassischer und stets an Komplexität gewinnender Krimi, in dem kein Hinweis umsonst eingestreut wird. Die Geschichte einzig aus Sicht des Detektivs zu schildern, trägt ungemein dazu bei, dass man wie er versucht, einen Sinn aus alledem zu machen. Wer hier eintaucht und sich auf die aus heutiger Sicht ruhige Erzählung einlässt, kann sich ganz in jener Welt fallen lassen. Ein Meisterwerk und ein Meilenstein des Genres.



Features der 4K Ultra-HD bzw. Blu-ray
  4K Ultra-HD-Disc Blu-ray-Disc (Angaben lt. Vertrieb)
Tonspuren Englisch 5.1 Dolby TrueHD, Englisch restauriert Mono Dolby Digital, Deutsch, Spanisch (Spanien), Französisch, Italienisch je Mono Dolby Digital Englisch 5.1 Dolby TrueHD, Deutsch, Spanisch (Spanien), Französisch, Italienisch je Mono Dolby Digital
Untertitel Englisch, Englisch für Hörgeschädigte, Dänisch, Deutsch, Spanisch (Spanien), Französisch, Italienisch, Japanisch, Koreanisch, Niederländisch, Norwegisch, Finnisch, Schwedisch Englisch, Dänisch, Deutsch, Spanisch (Spanien), Französisch, Italienisch, Japanisch, Niederländisch, Norwegisch, Finnisch, Schwedisch
Extras  • Kommentar von Drehbuchautor Robert Towne und David Fincher*
 • Ein Seelenzustand: Autor Sam Wasson über Chinatown (ca. 16 min.)
 • Chinatown Erinnerungen (ca. 6 min.)
 • Die Trilogie, die es nie gab (ca. 2 min.)
 • Wasser und Strom:
    ▸ Der Aquädukt (ca. 30 min.)
    ▸ Die Folgen (ca. 26 min.)
    ▸ Der Fluss & darüber hinaus (ca. 22 min.)
 • Chinatown: Eine Würdigung (ca. 26 min.)
 • Chinatown: Der Anfang und das Ende (ca. 19 min.)
 • Chinatown: Filmaufnahmen (ca. 26 min.)
 • Chinatown: Das Vermächtnis (ca. 10 min.)
 • Original Kinotrailer (ca. 3 min.)

* Untertitel verfügbar in Englisch, Deutsch, Spanisch (Spanien), Französisch, Italienisch, Japanisch, Koreanisch
keine

Passend zum 50jährigen Jubiläum von Roman Polanskis für insgesamt elf Oscars nominiertem Krimi erscheint Chinatown bei Paramount Home Entertainment erstmals als 4K Ultra-HD mit Blu-ray in einer Limited Collector’s Edition mit neuem wie bereits veröffentlichtem Bonusmaterial. Sichtbar aufwändig restauriert basierend auf den originalen Kameranegativen, glänzt die für den Test bereitgestellte 4K Ultra-HD-Disc buchstäblich mit einer nie dagewesenen Bildqualität des Klassikers. Festgehalten auf 35 mm-Film von Kameramann John A. Alonzo (der ursprünglich engagierte Stanley Cortez wurde von Polanski kurz nach Drehbeginn entlassen), fasziniert Chinatown mit einem Look, der gleichermaßen träumerisch erscheint, mit unverwechselbaren Technicolor-Farben und einer die Hitze von Los Angeles ebenso wie das Setting in den 1930er-Jahren widerspiegelnden weichen Überzeichnung, wie er die Ausstattung, Landschaft und Kostüme realistisch zur Geltung bringt. Bereits bei der öffentlichen Anhörung zu Beginn ist die Bildschärfe bestechend und selbst wenn in vielen Dialogen die Gesichter einen Hauch unscharf erscheinen mögen, was wohl dem gewählten Fokus im jeweiligen Moment geschuldet ist, sind feinste Fasern oder die Struktur des Stoffes von Jack Nicholsons Jackett bzw. Faye Dunaways Bluse erkennbar, die der Kleidung eine regelrechte Haptik und ein Gefühl der Beschaffenheit verleihen. Das leichte Filmkorn fällt kaum auf, was auf den Einsatz digitaler Entrauschungsfilter schließen lässt, die jedoch keine sichtbaren Artefakte produzieren. Dropouts sind beinahe gar keine zu sehen und die warmen Farben passen zur sonnengegerbten Großstadt. Vom erweiterten Farbraum und dem höheren Kontrast der 4K Ultra-HD-Disc (die HDR-Formate Dolby Vision und HDR10 sind verfügbar) profitieren sowohl die Farben als auch die dunklen Aufnahmen bei Nacht, die allerdings nicht immer so plastisch erscheinen wie andere aktuelle Veröffentlichungen. HDR-Highlights gibt es indes selten und sie würden auch kaum zum durchgängigen Aussehen des Krimis passen. Nichtsdestotrotz ist die Restaurierung hervorragend gelungen, sodass Chinatown nie besser ausgesehen hat.

Bei den vorliegenden Tonspuren ist es bedauerlich, dass die deutsche Fassung wie auf den bisherigen Blu-ray-Discs erneut nur in Mono Dolby Digital vorliegt, während im englischen Original zusätzlich zur ebenfalls bekannten (und vermutlich zu bisherigen Veröffentlichungen identischen) 5.1 Dolby TruheHD-Tonspur auch eine neue, restaurierte Mono-Tonspur angeboten wird. Dass bei einem 50 Jahre alten Film kein dem aktuellen Stand der Technik entsprechender Surround-Mix beiliegt, ist kein Kritikpunkt, es fällt jedoch auf, dass die deutsche Synchronstimme von Jack Nicholson in manchen Momenten etwas blechern und eierig klingt, als wäre die Tonspur einer digitalen Rauschunterdrückung unterzogen worden. Einem Großteil des Publikums wird dies kaum auffallen und ob dies auch bei den bisherigen deutschen HD-Veröffentlichungen der Fall war, ist nicht bekannt, es sollte jedoch erwähnt werden.

Ein wahres Fest ist das Bonusmaterial, das unter anderem die drei bekannten Dokumentationen „Der Anfang und das Ende“, „Filmaufnahmen“ und „Das Vermächtnis“ umfasst, aber auch neue Einblicke ermöglicht. Der Audiokommentar von Drehbuchautor Robert Towne und Regisseur David Fincher ist zwar bereits bekannt, wird aber hier auch einem heimischen Publikum zugänglich gemacht. Neu hinzugekommen sind die Featurettes „ Ein Seelenzustand: Autor Sam Wasson über Chinatown“, „Chinatown Erinnerungen“ und „Die Trilogie, die es nie gab“. Alles in allem bieten die Extras die Möglichkeit, einen erhellenden Blick hinter die Kulissen des Genre prägenden Krimis zu werfen, der an sich nur der erste Teil sein sollte.

Nicht nur für Fans des Films ist die 4K Ultra-HD-Veröffentlichung von Chinatown eine hervorragende Möglichkeit, den Meilenstein des Genres neu zu entdecken. Dank der aufwändigen Restaurierung, die dem Film den Anschein verleiht, er wäre gerade erst gedreht worden, kann man Roman Polanskis Werk so entdecken, wie es seit jeher gedacht war. Erstklassig mit lebendigen und lebensnahen Farben zum Leben erweckt, unterstreicht das Jubiläum nicht nur, weshalb der Neo-Noir-Krimi das Genre so sehr geprägt hat, sondern dass die Geschichte um Macht, Korruption und um menschliche Abgründe heute ebenso aktuell und packend ist, wie damals – sofern man weiß, dass man sich auf einen Krimi und keinen Thriller einlässt. Großartig!

Wertung der 4K Ultra-HD-Disc:
6 von 6 Punkten

Chinatown-Packshot Chinatown
ist seit 20. Juni 2024 restauriert
in einer umfassenden
Limited Collector’s Edition
in 4K Ultra-HD von
Paramount Home Entertainment erhältlich!
© 1974 Long Road Productions.
Urheberrecht des Bildes liegt bei
Paramount Home Entertainment / Paramount Pictures.
Verwendet mit freundlicher Genehmigung.