Bones and All [2022]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 21. November 2022
Genre: Liebesfilm / Horror / DramaOriginaltitel: Bones and All
Laufzeit: 130 min.
Produktionsland: Italien / USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren
Regie: Luca Guadagnino
Musik: Trent Reznor, Atticus Ross
Besetzung: Taylor Russell, Timothée Chalamet, Mark Rylance, Michael Stuhlbarg, André Holland, Chloë Sevigny, David Gordon Green, Jessica Harper, Jake Horowitz, Anna Cobb, Kendle Coffey, Adam Sandler
Kurzinhalt:
Nach einem weiteren Zwischenfall bei dem ein anderer Mensch zu Schaden kommt, verlässt Frank (André Holland) seine gerade volljährig gewordene Tochter Maren (Taylor Russell), die ihre Mutter nie kennengelernt hat. Auf sich allein gestellt, findet Maren ein Tonband, das Frank aufgenommen hat, und ihre Geburtsurkunde, aus der der Name und Aufenthaltsort ihrer Mutter hervorgeht. So macht sich Maren auf, ihre Mutter zu suchen und trifft in dem älteren Sully (Mark Rylance) jemanden, der ihr ähnlich ist – sie beide sind Kannibalen und immer wieder überkommt es Maren, dass sie menschliches Fleisch braucht. Sully zeigt ihr, dass sie nicht allein sind und wie sie sich gegenseitig erkennen können. Aber auch wenn Sully offenbar eine längere Gesellschaft möchte, Maren will weiterziehen und begegnet Lee (Timothée Chalamet), der so jung ist wie sie selbst. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach Marens Mutter und stellen auf der Reise fest, dass was sie von anderen Menschen unterscheidet, sie umso mehr aneinander bindet …
Kritik:
Die letzten Momente des Liebesdramas Bones and All, das Filmemacher Luca Guadagnino mit dem Hauptdarsteller seines Call Me by Your Name [2017], Timothée Chalamet, wiedervereint, können als Sinnbild für unbändige, bedingungslose Liebe interpretiert werden, bei der man die andere Person vollständig, mit Haut und Haaren der eigenen Leidenschaft verschlingt. Für ein Großteil des Publikums wird dies aus dem einfachen Grund problematisch sein, weil der Vorgang hier wortwörtlich zu verstehen ist. Zudem geht dieser Moment ins Leere, wenn man sich auf die Prämisse nicht einlassen kann, die eingebettet in eine Story voll abscheulicher Momente eine an sich zärtliche Liebesgeschichte präsentiert.
In deren Zentrum steht die junge Maren, die neu an der Schule ist und mit ihrem Vater in offenbar ärmlichen Verhältnissen außerhalb der Stadt wohnt. Eines Abends schleicht sie sich aus dem Haus, um ihn bei Schulfreundinnen zu verbringen. Doch was harmlos beginnt, endet für eine der Beteiligten in einer Schreckensnacht, denn Maren ist eine Kannibalin. Immer wieder verlangt es ihr nach menschlichem Fleisch und wenn es sie überkommt, geschehen grausame Dinge, auf Grund derer sie mit ihrem Vater oft umziehen musste. Er hat sie bislang gedeckt, aber nach dem letzten Vorfall verlässt er sie und hinterlässt ein Tonband und ihre Geburtsurkunde. Mit deren Hilfe macht sich Maren auf die Suche nach ihrer Mutter, die sie nie kennengelernt hat, während ihr Vater in der Tonaufnahme von Ereignissen spricht, an die Maren sich nicht erinnern kann. Auf dem Weg durch das Land lernt sie Sully kennen, undurchschaubar gespielt von Mark Rylance. Er ist wie Maren ein Kannibale und zeigt ihr, wie sie Ihresgleichen erkennen können. Zum ersten Mal hat Maren das Gefühl, nicht allein zu sein, so unheimlich ihr Sully auch ist. So macht sie sich allein weiter auf den Weg und trifft auf Lee, der so orientierungslos und ein Ziel suchend ist wie sie selbst.
Was folgt, könnte ein normales Roadmovie mit zwei Außenseitern sein, die sich beinahe auf den ersten Blick ineinander verlieben, weil sie sich selbst im Gegenüber erkennen, würde Bones and All nicht von zwei Figuren erzählen, die Menschenfleisch essen. Insoweit bietet das Drama durchaus Raum für Interpretation, würde man diese Eigenschaft eben als Alleinstellungsmerkmal deuten, das wie sonstige Charakteristika dafür sorgt, dass Maren und Lee keine dauerhafte Beziehung zu anderen aufbauen können. Im anderen finden sie ein Teil von sich selbst, ohne sich verstecken zu müssen, ohne gewertet zu werden. Diese alltäglichen Themen machen die Verfilmung des gleichnamigen Romans aus dem Jahr 2015 von Autorin Camille DeAngelis in gewissem Maße zugänglich, handeln sie doch von Einsamkeit, durchaus auch Marens Emanzipation in einer Welt, der sie sich urplötzlich stellen und gegen andere behaupten muss, und die Selbstverachtung, die sowohl Maren als auch Lee in ihrem Prozess des Älterwerdens ergreift. Sie lernen, sich nicht trotz, sondern mit ihrer Besonderheit anzunehmen. Was in diesem Prozess jedoch fehlt, ist das Erfahren von Konsequenzen für ihr Handeln. Die grundlegende Schwierigkeit liegt hier bereits darin, dass weder Maren, noch Lee so etwas wie ein (schlechtes) Gewissen zu haben scheinen in Anbetracht ihrer Handlungen. Kurzzeitig deutet sich dies an, als Lee zum Stillen seines Hungers einen Menschen ermordet, der eine Familie zurücklässt. Irgendwelche Auswirkungen auf ihre Entwicklung hat das Erlebnis jedoch nicht.
Eben aus dem Grund wohnt man dem Gezeigten eher passiv bei. Die Figuren haben kein wirkliches Ziel, auf das sie zusteuern und die Hindernisse, die sie überwinden müssen, um beispielsweise zu Marens Mutter zu gelangen, lösen sich im Nu auf. Dabei sind sie, bereits auf Grund ihrer Verhaltensweisen, nicht wirklich sympathisch, da sie nicht wie Opfer ihrer Triebe erscheinen (wie oft in Vampirgeschichten der Fall) oder irgendeine Form der Reue zeigen. Es ist, als würden sie tun, was sie tun, weil sie sich so entschieden haben. Das ist inhaltlich brutal bis widerlich und auch auf Grund der grafischen Darstellung mitunter schwer auszuhalten. Fragt man sich jedoch nach dem Zweck des Ganzen, ist es schwer, eine wirkliche Antwort zu finden. Darüber hilft weder die Besetzung, noch die handwerkliche Umsetzung hinweg.
Fazit:
Im Zentrum von Luca Guadagninos unzweifelhaft eigenwilligem Drama steht eine bemerkenswert starke Darbietung von Taylor Russell, die Marens Unsicherheit auf der Suche nach ihrem Platz in der Welt und Gleichgesinnten greifbar zum Leben erweckt. Diese Entwicklung ist eingebettet in oftmals schöne Landschaftsaufnahmen und beinahe raue Eindrücke abseits glamouröser Großstädte. Viele Perspektiven wirken wohl überlegt und trotz der gezeigten Gewalt wird Vieles am Rand oder aus der Entfernung gezeigt. Doch wiegen diese Aspekte kaum auf, dass die Charaktere ungeachtet der offensichtlichen Themen nicht wirklich interessieren, weil sie weder wie Getriebene ihrer Eigenschaften erscheinen, noch sich mit ihren Taten im Nachgang wirklich beschäftigen. Die Liebesgeschichte besitzt daher berührende Momente voll Verständnis und Annäherung, aber sie löst nichts aus, wenn das Schicksal der Figuren nicht interessiert. Bones and All richtet sich auf Grund der expliziten Darstellungen bereits an ein erwachsenes Publikum und versucht sich an der Darstellung von Themen und Facetten, die wenn überhaupt, hineininterpretiert erscheinen. Das kann man für den künstlerischen Willen dahinter und die Kompromisslosigkeit bewundern. Einfacher macht es das alles aber nicht. Oder inhaltlich gehaltvoller.