Black Widow [2021]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 1. Juli 2021
Genre: Action / Thriller / Science Fiction

Originaltitel: Black Widow
Laufzeit: 133 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Cate Shortland
Musik: Lorne Balfe
Besetzung: Scarlett Johansson, Florence Pugh, Rachel Weisz, David Harbour, O-T Fagbenle, William Hurt, Ray Winstone, Olga Kurylenko


Kurzinhalt:

Nach dem Inkrafttreten der sogenannten „Sokovia Accords“ sind die Superhelden der Avengers nicht nur zersplittert, einige von ihnen sind untergetaucht. Natasha Romanoff (Scarlett Johansson), auch bekannt als Black Widow, hat sich in Norwegen zurückgezogen, bis sie von dem unbesiegbaren Taskmaster angegriffen wird. Dessen Ziel sind Phiolen, deren Inhalt Romanoff nicht einmal kennt und die aus Budapest stammen. Auf der Suche nach deren Ursprung trifft Natasha auf Yelena (Florence Pugh), die während einer Mission vor 20 Jahren als ihre Schwester fungierte, mit den sowjetischen Agenten Alexei (David Harbour) als ihr Vater und Melina (Rachel Weisz) als ihre Mutter. Yelenas Ziel ist, dem Leiter des „Red Room“, Dreykov (Ray Winstone), das Handwerk zu legen. Dessen Programm hat die Black Widows als besttrainierte Attentäterinnen erschaffen und ist nun noch einen Schritt weiter gegangen. Doch um den „Red Room“ zu finden, benötigen Natasha und Yelena die Hilfe des inhaftierten Alexei. Das heißt jedoch auch, dass sie sich einer Familie stellen müssen, die sie mehr geprägt hat, als sie sich eingestehen wollen – und auf die sie sich verlassen können müssen, wenn sie all dies überleben wollen …


Kritik:
Nicht nur, dass die Pause zwischen dem letzten Film der dritten Phase des Marvel Cinematic Universe (kurz: MCU) und Black Widow länger ausgefallen ist, als geplant, sie ist tatsächlich länger, als irgendeine Pause zwischen zwei Filmen der seit 2008 laufenden Reihe. Dabei unterstreicht Filmemacherin Cate Shortland hier, wovon viele Fans der Figur der russischen Attentäterin Natasha Romanoff, die zu den Helden wechselt, seit langem überzeugt waren. Nämlich dass der Charakter facettenreich und stark genug ist, ihre eigene Geschichte zu tragen, anstatt nur in Nebenmissionen der Avengers eingesetzt zu werden. Während Thor oder Captain America gar mehrere alleinstehende Abenteuer bestreiten durften, wird diese in der Vergangenheit angesiedelte Geschichte der Titelfigur vermutlich die einzige bleiben. Und sie ändert auch nicht ,was mit dem Charakter im MCU geschehen wird. Interessanterweise ist ihr später Solo-Film gerade dann am besten, wenn er sich von der Formel des üblichen Superheldenfilms löst.

Die Geschichte beginnt im Jahr 1995 in Ohio, wo die Familie Romanoff eines Abends unerwartet aufbrechen und das Land verlassen muss. Ihre Mission, wenigstens diejenigen der „Eltern“ Alexei und Melina, ist abgeschlossen. Die beiden Mädchen Natasha und Yelena müssen mit ihnen gehen, auch wenn sie die USA als ihr Zuhause ansehen. Was die Mission der russischen Agenten gewesen ist, klärt das Drehbuch im späteren Verlauf auf, der 21 Jahre später ansetzt, nach den Geschehnissen von The First Avenger: Civil War [2016], in dem die Avengers auseinanderbrechen. Natasha versteckt sich in Norwegen, Yelena ist ebenfalls eine Agentin des Widow-Programms, eine Attentäterin, der die Augen geöffnet werden über das, was der hochrangige sowjetische Militär Dreykov ihr vielen anderen jungen Frauen angetan hat. Nachdem Natasha von einem maskierten Attentäter angegriffen wird, trifft sie in Budapest auf ihre „Schwester“ und findet sich wider Willen mit ihr auf einer gemeinsamen Mission wieder, für die jedoch die gesamte „Familie“ zusammenkommen muss, wenn es ihnen gelingen soll, Dreykov aufzuhalten.

Insoweit ist die Geschichte von Black Widow im Grundsatz überaus ernst und tatsächlich erleben hier mehr Figuren den Abspann nicht, als man erwarten würde. Doch bereits bei dem Angriff auf Natasha in Norwegen zeigt sich ein typisches Problem dieser Art Filme, das im Verlauf nur größer wird. Während die Flucht der Romanoffs in dem erfreulich langen Teaser spannend inszeniert ist, wirkt was geschieht durchaus glaubhaft und greifbar. Sicher, was Alexei hier tut, spottet jeder Physik, doch erklärt dies der Films später damit, dass er als „Red Guardian“ der erste sowjetische Superheld gewesen ist und über entsprechende Fähigkeiten verfügt. Wenig später jedoch fliegen Figuren nach Explosionen oder Tritten wie Puppen durch die Luft und Handkämpfe sind in einem Tempo dargebracht, dass man nicht nur die Unterstützung durch computergenerierte Eindrücke deutlich erkennt, sondern das Geschehen auch nicht mehr echt wirkt. Walzt kurz darauf ein computergenerierter Truck in Verfolgung eines computergenerierten Motorrads in Budapest computergenerierte Autos nieder, stellt sich das Gefühl ein, man würde hier ein Computerspiel beobachten.

Dies liegt nicht notwendigerweise am Budget des Films, sondern einfach daran, dass die Charaktere hier oftmals Dinge tun, die physikalisch einfach nicht möglich sind und entsprechend nicht „echt“ aussehen. Dabei sind sowohl Natasha als auch Yelena einige der wenigen menschlichen Figuren des MCU ohne Superkräfte. Und beide sind um Grunde tragische Persönlichkeiten, die mit dem, was ihnen widerfahren ist, unterschiedlich umgehen. Gerade deshalb gewinnen die ruhigen Momente wie das „Familientreffen“, bei dem ein Blick Yelenas mehr aussagt als ein ganzer Monolog, so spürbar an Bedeutung. Sie verleihen den Charakteren spürbar Profil und stellen für Fans das Highlight der Geschichte dar. Auch wenn es was das persönliche Engagement anbelangt an sich das schwächste Element ist, kommen all diejenigen, die einen typischen Marvel-Film erwarten, beim überlebensgroßen Finale auf ihre Superhelden-Kosten. Das wird zuvor bereits angedeutet, wenn Natasha einen bestimmten James Bond-Film mit Roger Moore ansieht. Dass das Drehbuch die Idee eines Agententhrillers nur anfangs beginnt, aber nicht bis zum Ende durchhält, ist schade. Bei einer Spionin als Hauptfigur hätte sich dies angeboten.

Für die Humoreinlagen sorgt dabei neben den charmanten Kabbeleien der beiden Schwestern um Natashas Superheldenpose (ein Klassiker) der brachiale Alexei mit seiner eingebildeten Fehde mit Captain America als Hommage an den Ost-West-Konflikt. Manches hiervon ist überaus gelungen, in anderen Momenten würde man sich wünschen, die ernsthaften Figuren bekämen mehr Zeit zugeschrieben. Doch zu sehen, wie die Familie am Ende zusammenarbeiten muss, jede und jeder einen Teil dazu beiträgt, ist geradezu unerwartet mitreißend. Fans, deren Herz ohnehin bereits höher schlägt, wenn das Marvel-Logo zu Beginn nach all der Zeit wieder auf der Leinwand zu sehen ist, werden diese Momente ebenso zu schätzen wissen wie die Szene nach dem Abspann, die andeutet, welche Story in der Disney+-Serie Hawkeye [2021] weitergesponnen werden wird. Diese vielen kleinen und großen Verknüpfungen mit dem Rest des filmischen Universums sind es, die den Reiz dieses erzählerischen Kosmos ausmachen. Auch diesen Aspekt fängt Regisseurin Cate Shortland treffend ein. Bedauerlich ist dabei, dass im Verlauf Natashas eigentliche Geschichte zusehends aus dem Auge verloren wird.


Fazit:
Nach einem ebenso persönlichen wie temporeichen Start pendelt die Erzählung zwischen den beobachtenden Momenten um Natasha Romanoff und groß angelegten Actionszenen, aus denen die Figuren in aller Regel ohne Blessuren hervorgehen. Dabei tut gerade die geerdete Geschichte um die Titelfigur nicht nur ihr wirklich gut. In der Rolle ist Scarlett Johansson weiter fantastisch besetzt. Ihr gelingt der Spagat zwischen Actionikone und gerade auf Grund ihrer Schattenseiten verletzlicher Heldin ausgesprochen gut. Als Yelena ist Florence Pugh nicht nur ebenso toll getroffen, beide Figuren zeichnen das Comicabenteuer durch einen menschlichen Aspekt aus. So beleuchtet Regisseurin Cate Shortland mehrere Facetten dieser Heldin und formt sie so besser als andere Avengers-Figuren. Die Action ist groß angelegt und handwerklich gelungen, selbst wenn die Trickeffekte unscheinbarer sein könnten und die Story in ihrem Verlauf den vorhandenen Ansätzen des Spionagethrillers eher hätte folgen können, anstatt sich am Ende der Superhelden-Formel zu ergeben. Gerade die zurückhaltenden Momente entwickeln eine einnehmende Stärke, so dass dieser voraussichtliche Abschied von der Figur ein gelungenes und für Fans sehenswertes Denkmal darstellt. Während das MCU wieder um einige Stücke ergänzt wird, können sich aber nicht nur Marvel-Fans dank der spürbaren Chemie zwischen den Figuren gelungen unterhalten lassen und bei Black Widow einer stimmigen, in manchen Momenten sogar berührenden Ode an diese beliebte Figur beiwohnen. Weshalb sie bei Fans so angesehen ist, oder vielmehr war, unterstreicht ihr später Solofilm dabei durchaus eindrucksvoll.