Babylon: Rausch der Ekstase [2022]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 13. Januar 2023
Genre: Komödie / Drama

Originaltitel: Babylon
Laufzeit: 188 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Damien Chazelle
Musik: Justin Hurwitz
Besetzung: Brad Pitt, Margot Robbie, Diego Calva, Jovan Adepo, Li Jun Li, Jean Smart, Olivia Hamilton, Katherine Waterston, Tobey Maguire, Lukas Haas, Max Minghella, Samara Weaving, Olivia Wilde, Spike Jonze, Flea, Jeff Garlin, P. J. Byrne, Rory Scovel, Eric Roberts


Kurzinhalt:

Bei einer ausschweifenden Party auf dem Anwesen eines einflussreichen Hollywood Studio-Produzenten im Jahr 1926 lernen sich die von ihren Schauspielaspirationen angetriebene Nellie LaRoy (Margot Robbie) und der mexikanische Einwanderer Manuel Torres (Diego Calva) kennen. Beide wollen um jeden Preis ins Showgeschäft und tatsächlich ist dieser Abend für sie ein Sprungbrett. Nellie soll für eine Schauspielerin einspringen, die bei der Party eine Überdosis Drogen zu sich genommen hat, und Manuel wird Assistent des Filmstars Jack Conrad (Brad Pitt). Sie alle erleben aus ihren jeweiligen Blickwinkeln einen großen Umbruch in der Traumfabrik, als den stummen Bildern Ton hinzugefügt wird, was nicht nur Filmschaffende wie Ruth Adler (Olivia Hamilton) vor Herausforderungen stellt, sondern auch Darstellerinnen und Darsteller, die sich gegen Konkurrenz von allen Seiten wehren müssen. Sogar dagegen, dass Musiker wie Sidney Palmer (Jovan Adepo) zu international bekannten Stars werden. Es ist eine Zeit voller Höhen und Tiefen …


Kritik:
Damien Chazelles im Goldenen Zeitalter Hollywoods angesiedeltes Babylon: Rausch der Ekstase ist ein beeindruckendes Werk, das vermutlich von keinem großen Publikum die Wertschätzung erfahren wird, die es eigentlich verdient. Wie eine auf Film gebannte Varietéshow ist er oftmals obszön, grotesk und überlebensgroß. Mehr ein überzeichnetes Spiegelbild der Wirklichkeit, denn eine Repräsentation derselben. Darin finden sich Geschichten wieder, die das Leben geschrieben hat. Oder geschrieben haben könnte. Doch er ist eben auch von allem (zu) viel und daher spürbar anstrengend.

Die Geschichte deckt eine Zeitspanne von 1926 bis ins Jahr 1952 ab und begleitet mehrere Figuren auf ihrer Suche nach dem Glück in der Traumfabrik Hollywood in einer Zeit, in der alles möglich schien. Was „alles“ bedeutet, verdeutlicht die Dramödie gleich in den ersten Minuten, wenn der mexikanische Einwanderer Manuel Torres dabei hilft, einen Elefanten zu einer privaten Party eines führenden Leiters der „Kinoscope Studios“ zu transportieren. Nicht nur, dass die Party selbst voll von Drogen, nackten Körpern, Orgien, Gewalt und Penis-fixierten Varieté-Stücken ist, auf dem Weg dorthin defäkiert der Elefant auf einen Transportmitarbeiter, dicht und in Großaufnahme eingefangen. Wem das abstoßend erscheint, der sollte besser nicht weitersehen, denn selbst wenn Babylon über weite Teile keine solchen Ausbrüche mehr vorweist, immer wieder lässt Chazelle das Geschehen auf ähnliche Weise förmlich explodieren. Die Party selbst ist ungeachtet der gezeigten Szenen vollkommen zügellos inszeniert und mit einem Temperament und einem Tempo eingefangen, dass es schwerfällt, sich nicht mitreißen zu lassen. Auch dank einer geradezu entfesselten Margot Robbie, deren Figur Nellie dort mit der Ambition auftaucht, ein Filmstar zu werden.

Neben ihr und Manuel stellt Babylon auch den von Brad Pitt gespielten Stummfilmschauspieler Jack Conrad vor, der in dem ausufernden Partyleben spürbar aufgeht. Der begnadete Musiker Sidney Palmer darf vor jenem erlesenen Publikum der Reichen und Schönen des Showbusiness spielen, zu denen auch die Sängerin Lady Fay Zhu zählt, die gleichzeitig Texttafeln für die Stummfilme schreibt. Sie alle begleitet Damien Chazelle und lässt das Publikum durch die Augen von Nellie und Manuel erleben, wie ein Drehtag in Hollywood damals aussah an einem Set unter freiem Himmel mit vielen Produktionen vor billigen, improvisierten Kulissen, die gleichzeitig gedreht werden. Das Chaos jenes Abschnitts ist kaum in Worte zu fassen mit einer großen Schlacht, bei der ein Schauspieler am Set stirbt, während ein Orchester Live-Musik spielt, die im Film später ja gar nicht zu hören sein wird. Alle Kameras sind am Ende des Drehtages zerstört und die frenetische Energie ist förmlich spürbar.

Wie sich dies ändert, als der Ton Einzug in das Filmgeschäft hält, ist faszinierend zu beobachten. Anstatt lediglich zu schauspielern, müssen die Darstellerinnen und Darsteller auch vor der Kamera sprechen, während die empfindliche Technik die Filmcrew zwingt, aus dem improvisierten Außendreh ins Studio zu wechseln. Hat sich eine Filmemacherin zuvor die Hände buchstäblich schmutzig gemacht, ist der Drehtag nun stringent vorbereitet, durchgetaktet und lässt keinen Raum für Improvisation. Babylon fasst dies in einer gleichermaßen amüsanten wie temporeichen Sequenz zusammen, in der Nellie zum ersten Mal eine Szene mit Ton aufnehmen soll. Die ist erstklassig aufgebaut, wiederholt sich aber doch etwas oft und wartet am Ende mit einem lange absehbaren Schlusstwist auf. So vorhersehbar ist Damien Chazelles Würdigung selten, wobei seine Wertschätzung gegenüber dem Medium Film und dem Ort, an dem die fantastischsten Geschichten entstehen, jederzeit spürbar ist.

Er beleuchtet die unterschiedlichen Aspekte seiner Zunft anhand von Figuren, die teilweise zwar gleichzeitig ins Showbusiness eintreten, deren Werdegang und Verlauf ihrer Karrieren kaum unterschiedlicher sein könnte. Erlebt Nellie den Aufstieg vor der Kamera, erklimmt Manuel, der seine Herkunft zunehmend verleugnet und sich Manny nennt, um besser akzeptiert zu werden, die Karriereleiter als Produzent hinter der Kamera. Jack hat seinen Zenit überschritten, was er lange Zeit verkennt, und der farbige Jazz-Trompetenspieler Sidney erlebt trotz der augenscheinlichen Akzeptanz alltäglichen Rassismus. Diese Aspekte sind packend und die Schicksale der Figuren von einer namhaften Besetzung durchweg herausragend zum Leben erweckt. Margot Robbie spielt ebenso großartig wie Brad Pitt und Diego Calva oder Jovan Adepo und sie alle erhalten einen Moment, in dem sie glänzen dürfen. Dabei könnten sie beinahe untergehen in Anbetracht einer überragenden Ausstattung, Kulissen und Kostümen, die jene Zeit treffend heraufbeschwören, und einer Inszenierung, die trotz der Dialoglastigkeit mit einem solchen Nachdruck voranprescht, dass es teilweise regelrecht ermüdet. Die Traumfabrik Hollywood gerät so teilweise zu einem Fiebertraum, in dem abseits der Kamera der Wahnsinn zu regieren scheint.

All dies ist für sich genommen jeweils preiswürdig und Chazelle gewinnt dem selbst in kleinen Momenten Beobachtungen ab, die sich erst beim genauen Hinsehen erschließen. Beispielsweise wie das Publikum im Kino vor Hundert Jahren noch dem Theater gleich mit Anzug und Krawatte in den Lichtspielhäusern sitzt, gebannt auf die Bewegtbilder blickend, während sich dessen Kleidung nur wenige Jahrzehnte später so sehr gewandelt hat wie ihr emotionales Verhalten angesichts der Geschehnisse auf der Leinwand. Doch Babylon ist auch kaum zugänglich, scheint inhaltlich lange orientierungslos, ohne einen greifbaren roten Faden und vor allem ohne wirkliche Sympathiefiguren. Trotz der Höhen und Tiefen, die sie durchleben, vom kometenhaften Aufstieg über Drogen und Abstürze, bis hin zum endgültigen Fall in den Augen des Publikums, das sie groß gemacht hat, haben Nellie, Jack und Manny dieses Leben freiwillig gewählt und die Maschinerie gleichermaßen für sich genutzt. Ähnlich wie Chazelle der hier teilweise beinahe wehklagend auftritt, obwohl auch er Teil von Hollywood ist.

So großartig es ist, ein solches Projekt realisiert zu sehen, das so kreativ und voller Energie präsentiert wird, und das in einer fantastischen Montage am Ende zeigt, wie weit das Medium Film in über 100 Jahren gekommen ist, woraus die auf wirklichem Film gebannten Träume buchstäblich bestehen und was sie beim Publikum auslösen, so schwer fällt es, trotz des Engagements aller Beteiligter, hier selbst ergriffen zu sein. Darum ist Babylon: Rausch der Ekstase zwar ein sehenswertes Denkmal jener Zunft, doch wem es zu empfehlen ist, ist äußerst schwer zu sagen.


Fazit:
In einem tollen Dialog zwischen dem alternden Schauspieler Conrad und der Kolumnistin St. John destilliert Damien Chazelle die Vergänglichkeit des Ruhms und die Unsterblichkeit der Berühmten gleichermaßen. In seiner Ode an das Goldene Zeitalter der Traumfabrik lotet der Filmemacher die Höhen und Tiefen des Ruhmes, seiner Freiheiten und Zwänge aus. Er schildert die allürenbehafteten Darstellerinnen und Darsteller als zerbrechliche Wesen voller Makel und Selbstzweifel, die sobald die Kamera läuft ganz und gar zum Inbegriff von Professionalität werden. Die Faszination des Mediums Film fängt der Regisseur dabei ebenso ein wie dessen Selbstverliebtheit, der er jedoch gleichermaßen erliegt. Zieht die Erzählung auf geradezu frenetische Weise das Tempo an, fängt den Wahnsinn jenes Lebens ebenso ein wie dessen größenwahnsinnig absurde Situationen, dann ist das mitreißend und in vielerlei Hinsicht meisterhaft. Ebenso wie die Ausstattung, Beleuchtung und Bilderauswahl, die Musik und nicht zu vergessen die vor Lebendigkeit sprühende Besetzung. Doch so sehr sich Babylon: Rausch der Ekstase wie eine persönliche Liebeserklärung des Regisseurs anfühlt, der Film ist auch in seiner Darstellung mitunter abstoßend obszön und mit drei Stunden merklich überlang, ohne Figuren, denen man gern auf diesem halsbrecherischen Ritt folgen möchte. So ist dies ein Film für ein sehr spezielles Publikum und wen die ersten 15 Minuten nicht überzeugen, sollte die Zeit besser anders verbringen.