Atomic Blonde [2017]

Wertung: 3.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 3. Januar 2021
Genre: Action / Thriller

Originaltitel: Atomic Blonde
Laufzeit: 115 min.
Produktionsland: USA / Deutschland / Schweden / Ungarn
Produktionsjahr: 2017
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: David Leitch
Musik: Tyler Bates
Besetzung: Charlize Theron, James McAvoy, Eddie Marsan, John Goodman, Toby Jones, James Faulkner, Rolandd Møller, Sofia Boutella, Bill Skarsgård, Sam Hargrave, Jóhannes Haukur Jóhannesson, Til Schweiger


Kurzinhalt:

Anfang November 1989 wird die britische Spionin Lorraine Broughton (Charlize Theron) von ihren Vorgesetzten nach Berlin gesandt, um eine dem Geheimdienst abhanden gekommene Liste wieder zu beschaffen. Die Liste beinhaltet die Namen sämtlicher Geheimagenten in Berlin – auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Lorraines Kontaktperson vor Ort ist der Spion David Percival (James McAvoy), der den Urheber der Liste ausfindig machen konnte, den Stasi-Offizier Spyglass (Eddie Marsan). In einem zunehmend aufgeheizten politischen Klima entbrennt ein erbitterten Kampf zwischen den Agenten der verschiedenen Fraktionen. Dabei könnte Lorraine auf die Hilfe der französischen Spionin Delphine (Sofia Boutella) setzen, wenn die ihr vertraut. Doch es steht immer noch der Verdacht im Raum, dass es einen Doppelagenten gibt, dessen Identität ebenfalls mit der Liste enttarnt würde …


Kritik:
In seiner ersten Solo-Regiearbeit adaptiert Filmemacher David Leitch das Graphic Novel The Coldest City [2012] von Autor Antony Johnston, gezeichnet von Sam Hart. Die Agentengeschichte spielt in Berlin unmittelbar vor dem Mauerfall, wo eine britische Spionin eine Liste mit Namen von Geheimagenten wiederbeschaffen soll. Mit einer fulminanten Charlize Theron in der Hauptrolle, klingt Atomic Blonde mehr als vielversprechend. Doch statt sich auf die Geschichte zu verlassen, verkomplizieren die Macher das Gezeigte unnötigerweise.

Das beginnt bereits mit der Entscheidung der Erzählweise selbst. Nach einem kurzen Teaser trifft das Publikum auf die von Theron gespielte, britische MI6-Agentin Lorraine Broughton, die mit Wunden und blauen Flecken übersäht, in London durch ihren Vorgesetzten und den CIA-Mitarbeiter Emmett Kurzfeld zu dem zurückliegenden Auftrag befragt wird. So erzählt sie, was in den vergangenen Tagen, zu Beginn des November 1989 geschehen ist, als sie nach Berlin gesandt wurde, um eine gestohlene Liste zu beschaffen, die Namen sämtlicher Spione aller vertretenen Seiten beinhaltet. Ihr Ersteller, der Stasi-Offizier Spyglass, konnte sich dank seines fotografischen Gedächtnisses sämtliche Namen einprägen. Alternativ versucht Lorraine deshalb, Spyglass aus Berlin zu schmuggeln, wofür sie die Hilfe des örtlichen MI6-Agenten Percival benötigt. Vor dem politisch aufgeladenen Hintergrund der sich ankündigenden Wende und dem Mauerfall in Berlin, wäre die Geschichte selbst komplex genug, wird jedoch durch einen Doppelagenten, den es außerdem ausfindig zu machen gilt, noch etwas aufgebauscht. Die Problematik der Erzählweise ist jedoch, dass der Film ständig in den Verhörraum mit Lorraine und ihrem Vorgesetzten zurückspringt, sie also stets nur Episoden dessen, was geschehen ist, erzählt, und das Publikum permanent aus spannenden Momenten herausgerissen wird.

Nicht nur, dass auf diese Weise früh absehbar ist, in welche Richtung sich die Geschichte oder das Schicksal mancher Figuren entwickeln wird, es kostet Atomic Blonde merklich an Spannung, wenn man weiß, dass Lorraine alle möglichen brenzligen Situationen offenbar überstehen wird. Wie sie darüber hinaus von Szenen erzählen können soll, in denen sie selbst gar nicht vorkommt, sondern beispielsweise KGB-Agenten oder Percival, sei dahingestellt. Dass der Film die Zeit gibt, über solche inhaltlichen Ungereimtheiten nachzudenken, ist so ärgerlich wie unnötig und hätte sich problemlos vermeiden lassen, wäre die Geschichte nicht rückblickend erzählt.
Die sichtbar größere Stärke von Regisseur Leitch sind die Actionszenen, von denen es hier einige gibt und die zumeist beeindruckend wie geradezu schmerzvoll umgesetzt werden. Nach Mad Max: Fury Road [2015] etabliert sich Charlize Theron eindrucksvoll als Actionheldin, die sich von vielen anderen Vertretern des Genres dankenswerterweise dadurch abhebt, dass sie nicht unverwundbar ist. Bewegt sich Keanu Reeves in der John Wick-Reihe trotz aller möglicher Verletzungen so, als wäre nichts geschehen, sieht man Lorraine die Wucht der Schläge, die sie einstecken muss, oder selbst austeilt, ebenso an, wie die Schmerzen, die ihr jede Bewegung nach einem Kampf abverlangt.

Zwei Sequenzen bleiben hier insbesondere in Erinnerung, beispielsweise wenn sie sich gegen eintreffende Polizisten wehrt, oder versucht, ihr „Paket“ gegen Angreifer in einem Treppenaufgang zu verteidigen. Die technische und handwerkliche Finesse sind ebenso wie die Stuntarbeit bemerkenswert und mitreißend. Umso stärker fallen jedoch die Trickeffekte auf, die von einfachen, künstlichen Hintergründe Berlins, bis hin zu unecht erscheinenden Verfolgungsjagden reichen. Dass bei den Kamerabewegungen teils sichtbar nachgeholfen wird, ist ebenfalls kaum zu übersehen, so dass der Eindruck bleibt, Atomic Blonde hätte ein größeres Budget gut gestanden. Die sichtbaren Nachzieheffekte digitaler Kameras in manchen Einstellungen sind hier lediglich das Tüpfelchen auf dem i.

Dem entgegen steht ein fantastischer Soundtrack mit vielen Perlen der 1980er-Jahre sowie in Neonlicht getauchte Bilder, die zusammen mit der Inszenierung eines im Zerfall befindlichen Ostberlins in der Woche des Mauerfalls für eine zumindest gefühlte Authentizität sorgen. Die Atmosphäre ist entsprechend gelungen, die Besetzung ebenso und auch die Geschichte könnte überzeugen, wäre sie stringent erzählt, anstatt auf diese Weise unnötig in kleine Häppchen aufgeteilt zu werden. Dann würde ein aufmerksames Publikum vermutlich den letztendlichen Storykniff auch nicht schon lange vorhersehen können.


Fazit:
Selbst wenn die Idee eines Spionagethrillers, in dem eine Liste mit Namen von Agenten beschafft werden muss, alles andere als neu ist und auch keine „unmögliche Mission“ darstellt, vor dem historischen Hintergrund birgt dies einen ganz besonderen Reiz. Allerdings stellt Filmemacher David Leitch nicht heraus, weshalb die Geschichte unbedingt vor diesem Hintergrund erzählt werden sollte. Die Nebenhandlung um einen Stasi-Offizier, der aus Ostberlin geschmuggelt werden soll, verläuft letztlich im Sande und durch die vielen Sprünge im Film zurück zum Verhör der MI6-Agentin durch ihren Vorgesetzten, kommt nie eine durchgehende Spannung oder Dramaturgie auf. Es ist vielmehr, als bestünde Atomic Blonde aus zahlreichen einzelnen Episoden, die hier – zugegebenermaßen stylisch und optisch eindrucksvoll sowie mit einem Killer-Soundtrack versehen – präsentiert werden. Die Actionhighlights sind dabei durchaus beeindruckend und ebenso mitreißend. Als Thriller ist der Film jedoch nur mäßig spannend, inhaltlich wenig überraschend und des sichtbaren Einsatzes einer fantastischen und mit ganzem Körpereinsatz investierten Charlize Theron nicht angemessen. Ohne sie wäre die Adaption nur halb so gelungen und trotz allem bleibt zu viel Potential ungenutzt.