Robert Venditti & Brett Weldele:
"The Surrogates" / "The Surrogates: Flesh and Bone" [2006 / 2009]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 4. März 2017
Autoren: Robert Venditti (geschaffen und geschrieben) & Brett Weldele (gezeichnet und koloriert)

Genre: Science Fiction / Thriller / Drama

Originaltitel: The Surrogates / The Surrogates: Flesh and Bone
Originalsprache: Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Broschiert
Länge: 208 / 140 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 2006 / 2009
Erstveröffentlichung in Deutschland: 2009 / noch nicht veröffentlicht
SBN-Nr. (gelesene Ausgaben): 978-1-891830/87-7 / 978-1-60309-018-6


Kurzinhalt:

The Surrogates: Im Jahr 2054 interagieren die Menschen nicht mehr direkt miteinander. Wer es sich leisten kann, benutzt einen Surrogaten, einen Androiden, der nach den eigenen Wünschen gestaltet ist, und den man in der wirklichen Welt fernsteuert, während man selbst die eigenen Wände nicht mehr verlässt. Die Polizisten Harvey Greer und Pete Ford des Central Georgia Metropolis Police Department sehen sich mit einem Fall konfrontiert, wie es ihn schon lange nicht mehr gab. Jemand hat zwei Surrogates zerstört. Auch wenn den Betreibern selbst nichts geschehen ist, es scheint, als würde eine Anti-Surrogate-Bewegung, die früher bereits in Erscheinung getreten war, wieder mobilmachen. Und viel schlimmer: Offensichtlich ist der Angreifer auf eine Technologie aus, mit der er alle Surrogates mit einem Schlag zerstören kann ...

The Surrogates: Flesh and Bone: 2039 – der Siegeszug der Surrogates hat bereits Einzug in der Gesellschaft gehalten. Doch als ein Mann von drei Jugendlichen in den Surrogates ihrer Eltern zu Tode geprügelt wird und sich die Justiz außer Stande sieht, eine Verurteilung zu erwirken, sieht sich Central Georgia Metropolis einem Aufstand von Surrogate-Gegnern konfrontiert. Angeführt von einem Priester, der sich selbst Der Prophet nennt, bedroht die Bewegung nicht nur die Gesellschaft an sich, sondern insbesondere das Lebensgefühl, das sich die Besitzer von Surrogates so kostbar erkauft haben. Doch nicht nur der Anwalt der angeklagten Jugendlichen verfolgt eine eigene Agenda und der junge Polizist Harvey Greer gerät zwischen die Fronten ...


Kritik:
In seinem ersten Comic stellt Autor Robert Venditti die Idee der Virtual Reality, die in Technikkreisen nicht erst im Moment große Wellen schlägt, auf den Kopf. Anstatt sich in einer künstlichen Wirklichkeit zurückzuziehen, verlassen die meisten Menschen in The Surrogates ihre Wohnungen nicht mehr. Vielmehr steuern sie Androiden, die in der normalen Welt den Alltag bestreiten. Wie das nicht nur den Umgang der Menschen untereinander verändert, erkundet das Comic zusammen mit der Fortsetzung Flesh and Bone. So interessant die Ausgangslage der Science Fiction-Thriller dabei ist, beide Stories lassen etwas wichtiges vermissen.

Vom Sommer 2005 bis zum Frühjahr 2006 wurden die fünf einzelnen Bände des Comics The Surrogates veröffentlicht. Die zum Start der Filmadaption mit Bruce Willis, Surrogates - Mein zweites Ich [2009], erschienene Fortsetzung The Surrogates: Flesh and Bone ist eine 15 Jahre zuvor angesiedelte Vorgeschichte, die einen Zwischenfall beschreibt, der im ersten Comic bereits angesprochen wird.
The Surrogates spielt im Jahr 2054 in Central Georgia Metropolis. Polizist Harvey Greer liegt ein Fall vor, wie er ihn seit langer Zeit nicht mehr gesehen hat. Jemand hat zwei Surrogates, von Menschen gesteuerte Androiden, die täuschend real aussehen, zerstört. Der mysteriöse Angreifer, den Greer "Steeplejack" nennt, scheint es dabei nicht auf die Menschen dahinter abgesehen zu haben, sondern explizit auf die Surrogates. Ehe sich der Polizist versieht, scheint es, als wolle jemand die Lebensweise der Menschen mit ihren Surrogates komplett zerstören.

Die Idee der Surrogates klingt so logisch wie einfach: Wieso sollte man sich selbst beispielsweise einer körperlich anstrengenden Arbeit aussetzen, wenn man einen Roboter haben könnte, der die Arbeit für einen übernimmt. Nur sind Roboter weder so flexibel wie Menschen, noch so anpassungsfähig. Ein von Menschen mit Gedanken ferngesteuerter Androide, der aussieht wie ein Mensch und alle Empfindungen an die Person weiterleiten kann, die ihn steuert, ist ein Kompromiss, der auf dem Papier viele Vorteile bietet. Weniger Krankheiten, Unfälle enden nun nur noch in Sachbeschädigungen und am Ende weiß man ja nicht, wer hinter einem Surrogat steckt. Vielleicht ist der weiße Vorstandschef mittleren Alters in Wirklichkeit eine afroamerikanische Frau Anfang 20.

Themen wie Sexismus, soziale Ausgrenzung und den Verlust zur Realität und der eigenen Identität an sich machen The Surrogates ebenso aus, wie der Thrilleraspekt, der einen nicht zu unterschätzenden Anteil einnimmt. Auf der anderen Seite steht eine religiöse Gruppe, angeführt von einem selbst ernannten Propheten, die die Surrogates als abscheuliches Verbrechen an der Schöpfung Gottes sieht. Auf der Suche nach den Hintermännern sucht Greer in einem Reservat, das 15 Jahre zuvor für den Propheten und seine Anhänger eingerichtet worden war.
Diese Geschichte wird nochmals separat in Flesh and Bone erzählt, in dem auch Greer die Hauptfigur spielt, der ungewollt in die Ermittlungen eines Mordfalles gerät, in dem Jugendliche mit ihren Surrogates einen Obdachlosen zu Tode geprügelt haben. Während der Widerstand auf der Straße gegen die menschenähnlichen Maschinen wächst, steht die Stadt mit Aufständen kurz vor einem Bürgerkrieg. Nur die Themen, die Venditti hier aufgreift, sind über weite Teile dieselben wie zuvor.

Was sowohl die Dialoge, als auch die Bilder auszeichnet, ist eine einnehmende und authentische Atmosphäre. Die Welt, die The Surrogates erschafft, besitzt eine beinahe erschreckende Glaubwürdigkeit. Dabei stellt Robert Vendittis Vision Lösungen für Probleme wie Menschen, die mit ihrem eigenen Äußeren totunglücklich sind dar, um diese dann gleichzeitig zu hinterfragen: Was, wenn jemand, der so wenig Selbstwertgefühl besitzt und sich lange Zeit hinter seinem äußerlich perfekten Surrogat versteckt hat, gezwungen wird, wieder er/sie selbst zu sein? Die Antworten auf diese Fragen zeichnen ein düsteres Bild einer in sozialen Belangen entfremdeten Gesellschaft, deren Spaltung in arm und reich nicht kleiner geworden ist, sondern sich nur anders äußert. Dennoch gibt das Comic in gewissem Sinn Hoffnung.

Wie viele Überlegungen der Autor in sein Erstlingswerk eingearbeitet hat, wird in den Hintergrundinformationen deutlich, die in der Gesamtausgabe 2009 enthalten sind. Neben einem kleinen Making-of mit der Evolution der Zeichnungen, gibt es einen Auszug aus dem "Drehbuch", eine Deleted Scene und Konzeptbilder zu bewundern. Insbesondere das Skript ist hierbei empfehlenswert, in dem Venditti gelungen die Perspektiven des jeweiligen Bildes bzw. Panels beschreibt.
Hier wird allerdings auch – zumindest für mich – eines der großen Probleme beider Comicausgaben deutlich. So detailliert die Beschreibungen im Drehbuch sind, so schwierig ist es teilweise, aus den Zeichnungen von Brett Weldele die beabsichtigten Informationen herauszulesen. Die kantigen Figuren, die kargen Hintergründe und viele einfarbige, aquarellartige Flächen mögen ein Stilmittel sein, zumal das Comic mit nur wenigen Farben auskommt. Doch wenn bestimmte Details in schwarzen Strichen förmlich untergehen, oder man von einem Panel zum anderen ewig nach einem Unterschied der Darstellung suchen muss, dann ist der Stil mehr hinderlich. In Flesh and Bone wirken die Zeichnungen aufgeräumter, dafür bleibt bei beiden Ausgaben am Ende das Gefühl, dass die Story zu geradlinig, mit zu wenigen Überraschungen erzählt wird.

Am Ende der jeweiligen Einzelausgaben beider Comics haben die Macher "Beigaben" untergebracht. Das sind einmal Zeitungsartikel aus dem Surrogates-Universum, Protokolle, Werbeplakate oder ein Fragebogen der Firma Virtual Self, die die Surrogates herstellt. All das wirkt so detailliert, mit einem Konzept dahinter erstellt, dass es überrascht, wie wenig The Surrogates und The Surrogates: Flesh and Bone die eigentliche Welt, in der die Comics spielen, auskundschaftet. Mit einer Hauptperson, mit der sich das Publikum zwar identifizieren kann, die aber keine wirkliche Entwicklung durchmacht, scheint die Story nie das Potential auszuschöpfen, das in ihr schlummert. So auch das Prequel-Comic, das abgesehen von dem kleinen Twist betreffend den Propheten am Ende, keine neuen Einblicke liefert.


Fazit:
Robert Vendittis
Idee einer Gesellschaft ohne direkten menschlichen Kontakt in einer Art Telepräsenz, immer im Schutz eines Alter Egos, das man vorschickt, ist sowohl verblüffend, als auch erschreckend greifbar. Das Comic The Surrogates weiß dabei sowohl die Vorteile dieser Technologie herauszustellen, insbesondere für Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung, als auch die Nachteile, die der Gesellschaft als Ganzes dadurch entstehen. Es sind die Zeichnungen von Brett Weldele, die für mich einerseits die Atmosphäre, die durch die "Extras" in der Ausgabe so hervorragend erzeugt wird, ausgemacht, aber gleichzeitig auch das Lesevergnügen getrübt haben. Die Dialoge sind sowohl hier, als auch bei The Surrogates: Flesh and Bone gelungen und nachvollziehbar, die Bilder im später erschienenen Prequel für mich aber eindeutiger in Bezug auf die entscheidenden Details. Dafür fügt die Story der Fortsetzung dem zuvor vorgestellten Universum kaum etwas hinzu. Als Science Fiction-Thriller ist das interessant und nicht nur für einen Einstand überaus gelungen. Nur hatte ich am Ende das Gefühl, dass die Geschichte zu überraschungsarm dargebracht wird und nie zu ihrer Hochform aufläuft.