Greg Rucka & Steve Lieber: "Whiteout" [1998–2000]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 30. August 2010
Autoren: Greg Rucka & Steve Lieber

Genre: Thriller

Originaltitel: Whiteout – Volume One / Whiteout – Volume Two: Melt
Originalsprache:
Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 126 / 112 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 1998 (Volume One) / 1999-2000 (Volume Two: Melt)
Erstveröffentlichung in Deutschland: 2007 / 2008
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 978-1-932664-70-6 / 978-1-932664-71-3


Kurzinhalt:
Whiteout: U.S. Marshal Carrie Stetko ist in die McMurdo-Station in der Antarktis strafversetzt. Dort meistert sie den Alltag den Umständen entsprechend, bis sie mit dem Stationsarzt Furry eine Leiche im Eis entdeckt. Der Mann wurde ermordet und es liegt an Carrie, den oder die Täter ausfindig zu machen. Diese schlagen in einer benachbarten Station erneut zu, wo Carrie Hinweisen nachgeht. Es dauert nicht lange, ehe die Bundesbeamtin selbst ins Ziel der Mörder gerät, zumal in Kürze auf Grund des Wintereinbruchs die letzten Transporte die Station verlassen ...

Whiteout: Melt: Ihren Urlaub in Neuseeland muss U.S. Marshal Carrie Stetko abbrechen, nachdem ihre Vorgesetzten etwas von Nationaler Sicherheit erzählen und ihr ein verlockendes Angebot machen. Sie soll sich bei den Untersuchungen eines Zwischenfalls einer russischen Antarktisstation einschalten, bei der 14 Männer umgekommen sind. Was Carrie entdeckt, weckt ihre schlimmsten Erwartungen. Unbekannte haben Waffen aus einem geheimen Bunker entwendet und versuchen damit über das Eis zu fliehen. Zusammen mit dem russischen Agenten Aleksandr Kuchin jagt Carrie ihnen nach. Dabei sind ihre größten Feinde nicht nur die Verbrecher, denen sie folgen, sondern auch das unberechenbare Eis selbst ...


Kritik:
Whiteout ist weniger ein Comic für Erwachsene, wie eine zu Papier gebrachte Thriller-Idee, die ebenso gut in den bekanntesten anderen Kunstformen, Buch oder Film hätte Bestand haben können. Den außergewöhnlichen Schauplatz in der Antarktis zugrunde gelegt, schildert das erste Buch einen soliden Krimi, in dem jedoch weniger der Kriminalfall selbst, wie die Umgebung, in der er spielt im Mittelpunkt steht. Was die beiden Künstler Greg Rucka (Text) und Steve Lieber (Zeichnungen) präsentieren regt die Fantasie des Lesers an, und zieht ihn gleichzeitig in einen Bann, in dem die Konstellation der verschiedenen Bilder pro Seite eine ebenso große Rolle spielen, wie die einzelnen Kapitel, in welche die Story unterteilt ist. Der Rhythmus, den beide entwickeln funktioniert im zweiten Comic sogar noch besser, hetzt den Leser in derselben Geschwindigkeit über die Seiten, in der die Protagonisten ihren Gegner hinterher laufen. Doch auch das zweite Buch verliert gerade dann an Faszination, wenn man sich genauer ansieht, womit die dahinter stehenden Künstler unterhalten wollen.
Die Charaktereinführung im ersten Buch Whiteout findet, wie man es bei dem durchaus begrenzten Platz eines knapp 100seitigen Comics nicht anders erwarten würde, recht abrupt statt, wobei sich die Autoren durchaus die Zeit nehmen, den Hintergrund von Carrie Stetko auszuschmücken und sogar einiges ihrer Vergangenheit zu klären. Neue Aspekte werden hier im zweiten Buch Whiteout: Melt aber nicht ausgelotet. Bis auf Carries Piloten und ihren direkten Vorgesetzten taucht auch keine Figur aus dem ersten Buch in der Fortsetzung mehr auf. Es scheint beinahe, als würden sie sich auf die Haupthandlung konzentrieren wollen und beschränken dabei sogar ihren Cast auf das Notwendigste. Deshalb gilt es, auf einen menschlichen Antagonisten zu verzichten, eigentlicher Gegner aller beteiligter Partien ist die Antarktis selbst. Das Eis zu personifizieren, ihm mit den eingeschränkten Möglichkeiten eines schwarzweißen Bilds ein Gesicht und einen Charakter zu verleihen, ist Steve Lieber gut gelungen. So schaffen es beide Whiteout-Ausgaben durchaus, dem Leser auch im Hochsommer ein Frösteln abzuverlangen. Atmosphärisch dicht erzählt, bleibt die Stimmung auch dann erhalten, wenn gerade das zweite Buch auf Überraschungen verzichtet. Bleibt die Story im ersten Band noch recht unvorhersehbar, gestaltet sich Melt weit weniger komplex und wird sehr geradlinig erzählt. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden und vielleicht fliegen die Seiten deshalb vor den Augen des Lesers dahin, aber aus der durchaus interessanten Grundidee hätte man mehr machen können.

Eine recht konventionelle Mordgeschichte nach dem bekannten "Wer war es"-Prinzip vor der betörenden und gefährlichen Kulisse der Antarktis zu erzählen scheint grundsätzlich bereits ein überaus kluger Schachzug, dabei eine Frau als Antiheldin zu etablieren überaus gewagt. Und doch reißt der erste Whiteout-Band durch den eigentlichen Kniff der Story mit, die das Motiv für die Morde liefert – und die Tatsache, dass mit dem einbrechenden Winter der Mörder sicherlich versuchen wird, mit einem der wenigen ausbleibenden Transporte zu fliehen. Hat man dabei das Comic in etwa zur Hälfte gelesen und beginnt, die Zusammenhänge zu durchschauen, wird man als begeisterter Krimifan seine Variationen der Geschichte durchspielen, was noch alles geschehen könnte, welche Überraschungen sich hinter den beiläufig vorgestellten Figuren verbergen könnten und ob nicht die ein oder andere nebenher bemerkte Anspielung noch eine tragende Rolle spielen wird. Umso größer ist die Enttäuschung, wenn dieses Potential nicht genutzt wird, sondern durch die vorgegebene Seitenzahl des vierteiligen Comics die Geschichte auf ein Grundgerüst beschränkt wird, in dem so viele Stationen unbesucht bleiben.
Ähnlich ergeht es Whiteout: Melt, dessen Ansatz noch packender ist, das nach der ersten Offenbarung eine Dringlichkeit entwickelt, die eine detailreiche Weiterentwicklung geradezu fordert. Nur bleiben die Künstler hier genauere Charakterisierungen neuer Figuren schuldig, auch wenn das Agentenambiente in die Antarktis zu verlagern nach dem düsteren Auftakt überrumpelt. Sobald die Hetzjagd jedoch ihren Lauf genommen hat, eilt die Geschichte einer Auflösung zu, die dem Versprochenen nicht gerecht wird. Ob sich mit der eingeschränkten Seitenzahl eine komplexere Story hätte erzählen lassen, sei dahingestellt. Atmosphäre und (die eingeschränkten) Charakterzeichnungen sind noch treffender wie im ersten Band gelungen und versetzen den Leser ohne Umschweife in ein Ambiente, das noch verlockender und noch ungastlicher erscheint wie im vorangegangenen Buch. Insofern werden die Künstler ihrem Medium und der Thematik gerecht, nichtsdestoweniger würde man sich als begeisterter Genrefan eine Umsetzung des Stoffes, gerne auch im selben Medium, nur ohne die Einschränkungen einer vorgegebenen Seitenzahl wünschen. Wer sich dieser Verlockung entziehen kann, der wird an beiden Whiteout-Bänden nichts auszusetzen haben.


Fazit:
Einen Kriminalfall in einer Umgebung anzusiedeln, die einem als Leser völlig unbekannt ist, birgt für die Geschichtenerzähler viele Möglichkeiten und durchaus einige Gefahren. Möglichkeiten insofern, als dass man viele Freiheiten erhält, da die Leser die Authentizität nicht nachprüfen können. Die Gefahr ist dabei beinahe dieselbe, denn wenn man als Leser keinen Bezug zur Thematik aufbauen kann, wird einen die Story nicht interessieren. Beide Whiteout-Comics fangen das Flair eines der trockensten Gebiete der Erde, der Antarktis, auf eine unbeschreiblich lebendige Art und Weise ein. Und das, obwohl sich die Künstler nur durch schwarzweiße Bilder ausdrücken können. Gleichzeitig vermitteln sie in vielen Textbeigaben Details und Hintergrundwissen.
Nichtsdestoweniger scheint bei ihrer Faszination für den Kontinent und ihrem Sinn für ungewöhnliche Geschichten die Notwendigkeit einer unvorhersehbaren Erzählung der Story das Nachsehen zu haben. So gibt sich für mein Empfinden gerade der grundsätzlich noch mitreißendere Whiteout: Melt zu konventionell und vorhersehbar. Auch den ersten Band hätte ich mir doppelt so lange gewünscht, um das Potential der Figuren und der Geschichte auch auszunutzen. Aber statt bei den interessanten Storys in die Tiefe zu gehen, bleiben Greg Rucka und Steve Lieber durch die Konventionen des Mediums in Bezug auf die Erzähllänge eingeschränkt. Sich durch die Bilder und die Dialoge auszudrücken gelingt ihnen dagegen auf eindrucksvolle Art und Weise.