William F. Nolan & George Clayton Johnson: "Flucht ins 23. Jahrhundert" [1967]

Wertung: 3.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 09. Juli 2008
Autoren: William F. Nolan & George Clayton Johnson

Genre: Science Fiction

Originaltitel: Logan's Run
Originalsprache:
Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Gebundene Ausgabe
Länge: 148 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 1967
Erstveröffentlichung in Deutschland: 1977
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 0-89966-896-8


Kurzinhalt:
Im Jahr 2116 gehört die Welt der Jugend. Jeder Mensch besitzt eine Kristallblume in seiner rechten Handfläche. Von der Geburt bis zum siebten Jahr leuchtet sie gelb, die nächsten sieben Jahre blau. Von 14 bis 21 Jahren leuchtet sie rot – und am letzten Tag des 21. Lebensjahres blinkt sie rot/schwarz. Nach diesem Letzten Tag bleibt sie schwarz. Doch wenige erleben diesen Zustand, denn am Letzten Tag begeben sie sich in so genannte Schlafgeschäfte, um zu sterben. Wer sich weigert, ist ein Flüchtling und wird von den Sandmännern gejagt.
Logan 3 ist ebenfalls ein Sandmann, und als sein letzter Tag beginnt, macht er es sich zum Ziel, die Wahrheit über Sanctuary herauszufinden, jenem sagenumwobenen Ort, abseits des Gesellschaft, wo die Menschen alt werden können. Angeblich regiert dort Ballard, ein Mensch, der mindestens doppelt so alt ist, wie alle anderen. Auf seiner Flucht begegnet Logan Jessica, deren Letzter Tag ebenfalls geschlagen hat. Sie besitzt angeblich Instruktionen von Ballard selbst, um Sanctuary zu finden. Aber Francis, ein weiterer Sandmann, ist beiden dicht auf den Fersen …


Kritik:
Manchen Glaubengemeinschaften zufolge hätte die Welt schon unzählige Male untergehen sollen. Und auch wenn man sich Analysen und Prognosen der letzten fünfzig Jahre ansieht, hätte die Menschheit schon mehrmals an einem kritischen Punkt ankommen sollen. Insofern scheint die Prämisse von Flucht ins 23. Jahrhundert aus heutiger Sicht überholt. Mit mehr als sechs Milliarden Menschen auf dem Planeten ist der uns als Spezies immer wieder gelungen, die Lebensgrundlage für einen Großteil der Weltbevölkerung zu sichern – die "kritische Masse", wie sie eingangs im Roman erwähnt wird, ist also (noch) nicht erreicht.
Und doch scheint die Idee eines festgeschriebenen Höchstlebensalters aus heutiger Sicht gar nicht mehr abwegig, das kontrollierte System der Sandmänner eine logische Schlussfolgerung daraus. Nicht ohnehin ist der Überlebensinstinkt der stärkste des Menschen. Doch leider verfranst sich der zum Kultobjekt erhobene Roman in abwegigen Storyzweigen, anstatt die Dystopie, die vorgestellt wird, auch wirklich zu erforschen.

So wird mit Logan an sich ein eher unsympathischer Charakter vorgestellt, der vom System insofern überzeugt ist, dass er die Suche nach Sanctuary auch nur deshalb auf sich nimmt, um den Sandmännern nach ihm ein Denkmal zu hinterlassen. Der eigentliche Wandel seiner Absicht, kommt erst sehr spät im Roman und scheint auch dann eher halbherzig umgesetzt. Insofern fiebert man mit ihm nicht wirklich mit und fragt sich zurecht, ob er einen glücklichen Ausgang der Geschichte überhaupt verdient hat. Anders hingegen Jessica, deren einziger Fehler es scheint, Logan zu vertrauen, selbst als sie erfährt, was sein tatsächliche Absicht gewesen ist. Dass ihre Figur nicht weiter beleuchtet wird, ihr gesamter Hintergrund im Dunkeln bleibt, ist tragisch. Gerüchte halten sich nach wie vor, dass Co-Autor George Clayton Johnson immer wieder an einem Projekt mit dem Titel LastDay oder Jessica's Run gearbeitet hat – ob es jedoch irgendwann einmal veröffentlicht werden wird, steht in den Sternen.
Von den übrigen Figuren ist ebenfalls kaum etwas zu erfahren, stattdessen scheinen die Autoren mehr Wert auf die surrealen und mitunter schlicht absurden Storyelemente zu legen, die die Gesellschaft der Zukunft auszeichnen.

Von vagabundierenden Zigeunern, Sexorgien, Armeen bestehend aus Robotern, die blutige Schlachten des Bürgerkriegs nachspielen, bis hin zu einem Mischwesen aus Mensch und Maschine mit einem perfiden Sinn für Humor ist alles vertreten. Und wirkt doch zusammengewürfelt und uneinheitlich. Das Weltbild, das Nolan und Johnson in Logan's Run, so der bedeutend treffendere Originaltitel, entwerfen, trägt somit bekannte Züge aus den 1960er und 70er Jahren, als Geschichtenerzähler möglichst viele schockierende Elemente miteinbringen wollten. Doch es ergibt genauso wenig Sinn. Die Geschichte, die zu Anfang einiges an Fahr gewinnt, tröpfelt dann von einer Absurdität in die nächste, von einem Actionschauplatz, der eigentlich nur dem Demonstration des gesellschaftlichen Verfalls dient, zum nächsten, ehe sich die Erzählung in den letzten Minuten in Wohlgefallen auflöst.
Die Seiten verfliegen dank der kurzweiligen Kapitel, aber wirklich spannend ist das nicht. Die Story selbst scheint zwar auf künstlerischen Anspruch und Gesellschaftskritik getrimmt, doch geschieht dies so plump und offensichtlich, dass nicht wirklich Gefallen daran finden kann. Mit ruhigeren, subtileren Tönen hätten die Autoren hier bedeutend mehr erreichen können. Man stelle sich einen normalen Arbeitsalltag Logans vor, in dem es nicht um Bordellbesuche und Drogenkonsum geht, was die Leserschaft so offensichtlich schockieren und wachrütteln soll, dass es stellenweise unfreiwillig komisch erscheint. Eine wirkliche Charakterzeichnung eines introvertierten, melancholischen Menschen, der keine Kindheit, keine Jugend genoss und nun, zu Beginn der Blüte seines Lebens den Tiefen Schlaf empfangen soll, hätte den Nagel auf den Kopf getroffen. Stattdessen ist Logan geprägt von einer Fahnentreue, die manchen Militärs zur Ehre gereichen würde und die eher beiläufig, fast schon zufällig aufgehoben wird.
Insofern mag der Ansatz von William F. Nolans und George Clayton Johnsons Erzählung durchaus lobenswert sein, die Ausarbeitung allerdings lässt mehr als nur zu wünschen übrig.

Das spiegelt sich auch im Stil des Romans wieder, der allenfalls zu Beginn mit ausführlichen Beschreibungen der Gesellschaft des 22. Jahrhunderts aufwartet, doch bereits schon hier den Leser in ein völlig unbekanntes Universum wirft, das man dann langsam erklärt bekommt. Durch die kurzen Sätze und die viele Zeilenumbrüche wollen die Autoren offensichtlich die Geschwindigkeit der Flucht verdeutlichen. Die sprunghaften Schauplatzwechsel jedoch sorgen eher dafür, dass man sich auf einer Achterbahnfahrt fühlt, die an den exotischsten Plätzen kurz innehält, ohne aber zu erklären wieso, oder man dorthin gekommen ist.
Viele Ausrufezeichen, Fragen, die selbst beantwortet werden und ein regelrechtes Stakkato an Aufzählungen wiederholen sich immer wieder, so dass sich der Lesespaß trotz der wenigen Seiten nicht wirklich einstellen will. Immerhin sind die Worte einfach gewählt, so dass auch Einsteiger keine Schwierigkeiten mit dem Wortverständnis haben. Allerdings muss man sich viele Zusammenhänge selbst erschließen, so dass Vorstellungsvermögen und Aufmerksamkeit auch von den Lesern gefragt ist.

Ohne Zweifel beinhaltet Logan's Run viele Elemente, die in der Literatur vor 40 Jahren häufig zu sehen waren. Und genau deshalb hat der Roman so viel von seinem Reiz verloren. Die Geschichte wirkt angestaubt und nicht ausgenutzt, die Figuren unterzeichnet und schemenhaft. Immerhin danken die Autoren unter anderem H. G. Wells Die Zeitmaschine [1895], in dem das Konzept der Jugend auf Zeit (bei den Eloi) ebenfalls schon zu finden war.
Der umständliche deutsche Romantitel rührt übrigens von der gleichnamigen Verfilmung her. Flucht ins 23. Jahrhundert [1976] zog ähnlich wie Planet der Affen [1968] gar eine kurzlebige Serie nach sich, wich jedoch in großen Teilen vom Roman ab. Erst auf Grund der Verfilmung wurde in Deutschland das Buch überhaupt aufgelegt und der irreführende Name übernommen. Mit einer Zeitreise hat die Geschichte allerdings nichts zu tun.
Autor William F. Nolan veröffentlichte nach Erscheinen des Films die Romanfortsetzungen Logan's World [1977] und Logan's Search [1980], gefolgt von einer Novelle, Logan's Return [2000], die allerdings nur als E-Book erhältlich ist.


Fazit:
So konstruiert die Ausgangslage erscheint, man würde sie gern in einer durchdachteren und vielschichtigeren Geschichte ausgearbeitet sehen. Aber so vollgestopft die Welt im 22. Jahrhundert auch erscheinen mag, so unverständlich ist sie auch. Die Autoren William F. Nolan und George Clayton Johnson überziehen ihre Gesellschaftskritik durch überspitzte Momente und verlieren somit das Potential der Story aus den Augen.
Enttäuschend ist das insofern, als dass Elemente aus Logan's Run (oder Flucht ins 23. Jahrhundert) in vielen anderen Geschichten Verwendung gefunden haben. Und dies meist besser, als es hier zu sehen ist. Ich war überrascht zu sehen, welch hohes Ansehen der Roman auch heute im Bereich der Science Fiction immer noch besitzt, und wie hoch dementsprechend meine Erwartungen waren, die dann nicht erfüllt wurden. Statt eines geplagten oder zerrütteten Hauptcharakters, präsentiert sich Logan selbstbezogen und kalt. Seine Wandlung später ebenso abrupt wie unglaubwürdig. Die Zukunftsvision einer Welt in knapp 100 Jahren funktioniert deshalb nicht wirklich, da man nie gezeigt bekommt, wie sie im Hintergrund zusammengehalten wird. So bleibt Logans Welt ungreifbar und unwirklich, weniger Zukunftsdystopie, als der Versuch einer Gesellschaftsstudie. Doch beim Versuch bleibt es dann leider auch.