Michael Crichton: "Airframe" [1996]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 22. Juli 2007
Autor: Michael Crichton

Genre: Thriller

Originaltitel: Airframe
Originalsprache:
Englisch
Gelesen in: Englisch
Ausgabe: Taschenbuch
Länge: 431 Seiten
Erstveröffentlichungsland: USA
Erstveröffentlichungsjahr: 1996
Erstveröffentlichung in Deutschland: 1997
ISBN-Nr. (gelesene Ausgabe): 0-345-40287-1


Kurzinhalt:
Mitten im Flug erleidet der in Hong Kong gestartete TPA-Flug 545 "schwere Turbulenzen" und muss in Los Angeles notlanden. Drei Menschen sind gestorben, über 50 verletzt. Die Maschine selbst gehört zur an sich bewährten Reihe N-22 von Norton Aircraft. Norton, selbst in einer nicht gerade berauschenden wirtschaftlichen Lage, steht kurz davor, einen Vertrag mit der chinesischen Regierung unter Dach und Fach zu bringen – der Zwischenfall geschieht also zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt.

Um die Ursache des Unglücks auszuloten, und die N-22 von den Anschuldigungen zu befreien, setzt Norton-CEO John Marder die Vize-Präsidentin und für Qualitätssicherheit zuständige Casey Singleton an die Spitze des Untersuchungsausschusses. Sie soll bis zum Ende der Woche klären, was mit TPA 545 geschehen ist. Doch der China-Deal stößt auch bei Norton Aircraft selbst auf zwiespältige Reaktionen, denn mit dem Verkauf der Flugzeuge soll auch ein Teil der Produktion ausgelagert werden, was die Gewerkschaften auf den Plan gerufen hat.

So muss sich Casey im Laufe der Woche gegen Widerstand aus dem eigenen Werk wappnen und sieht sich zudem der Journalistin Jennifer Malone gegenüber, die für die reißerische Sendung "Newsline" recherchiert und hinter dem verunglückten Flug eine Story wittert. Als wäre das nicht genug, stößt Casey auch auf Hinweise, dass innerhalb von Norton ein Komplott geschmiedet wird, und an dessen Ausführung sie unfreiwillig mitwirkt. Dabei steht nicht nur ihre berufliche Zukunft auf dem Spiel ...


Kritik:
Bereits seit seinen literarischen Anfängen vor nun immerhin 40 Jahren, zählt Autor Michael Crichton zu den Koryphäen auf dem Gebiet der wissenschaftlich angehauchten Unterhaltungsliteratur. Seit jeher sind seine Werke geprägt durch neuste (oder futuristische) Wissenschaftliche Erkenntnisse, verbunden mit tagtäglichen Fakten und Situationen. Dabei liefert Crichton innerhalb seiner Werke immer weit reichende Hintergrundinformationen zum Thema selbst, lädt den Leser ein, mehr über dieses Gebiet zu erfahren, und legt ihm dabei meist doch die Gedankengänge in den Mund.
Im Falle von Airframe nimmt sich der Autor eines heute wie vor 10 Jahren sehr schwierigen Fachgebiets an. Die Ursache für Flugzeugunglücke zu erörtern scheint schon deshalb ein heikles Unterfangen zu sein, da man grundsätzlich mit Widerstand aus den Reihen der Betroffenen rechnen kann. Wird das Unglück auf einen Pilotenfehler zurückgeführt, stehen Gewerkschaften und Pilotenverbände bereit, um die Anschuldigungen zu entkräften, oder aber das menschliche Versagen zu erklären. Liegt eine strukturelle Schwachstelle des Flugzeugs selbst vor, hat man mit noch größrem Widerstand zu rechnen, da neben vielen anderen Flugzeugen desselben Typs auch weitere Modelle mit berücksichtigt werden müssen. In diesem Geschäft spielen Beträge in Millionenhöhe schon keine Rolle mehr, die Entwicklung eines neuen Flugzeuges verschlingt Milliarden, und in ebenso großen Summen bewegen sich die Verträge der Hersteller mit den Fluglinien, die bereits auf Jahre im Voraus ordern.
Crichton bewegt sich also auf dünnem Eis, umso mehr, da man heute wie seit eh und je von Tragödien der Flugbranche in den Zeitungen liest. Lesenswert bleibt Airframe aber schon auf Grund der unzähligen Einblicke in die Fachbereiche jener Industrie, die dabei nicht nur technische und wissenschaftliche Aspekte abdecken, sondern auch politische Entscheidungen mit berücksichtigen.

Der Einstieg in die Geschichte gestaltet sich relativ einfach, und während die ersten Kapitel das Unglück des TPA-Fluges 545 und die folgenden Stunden aus verschiedenen Perspektiven schildern, man durch viele Blickwinkel mitbekommt, wie sich die Informationen zu den Verletzten und Toten unter den Passagieren einfinden, nimmt Crichtons Roman gewohnt schnell Fahrt auf.
Das Tempo wird umso schneller, sobald der Autor nach den ersten 30 Seiten die Rahmenbedingungen für seinen Roman abgesteckt hat und deutlich wird, dass sich die Ursache innerhalb der nächsten fünf Tage entscheiden muss, um das Zustandekommen eines für die Firma Norton Aircraft lebensnotwendigen Vertrages nicht zu gefährden.
Immer weiter dringt man als Leser in die Welt der großen Flugzeughersteller vor, bekommt Details zu den Entwicklungsprozessen, den an die Verträge gebundenen Auflagen und Zusicherungen und auch an der Verwaltung der Flugzeugsicherheit der USA durch die FAA gezeigt. Zwar bleiben die Figuren dementsprechend etwas außen vor, dafür verknüpft der Autor gekonnt bekannte und neue Aspekte rund um das Fliegen, um der Leserschaft ein ebenso genaues wie neuartiges Bild zu vermitteln. Nicht zuletzt bekommt man sogar die einfachen Prinzipien der Aerodynamik erklärt und aufgezeigt, wie ein Flugzeug trotz des Gewichtes überhaupt fliegen kann.
Während die Ermittlungen immer weiter fortschreiten und sich herauskristallisiert, dass für Casey weit mehr auf dem Spiel steht, als lediglich die Unglücksursache aufzuklären, verdichten sich auch im Roman selbst die verschiedenen Handlungsstränge, Vermutungen und Hinweise, die auf das kommende Finale hindeuten. Dabei bleibt die Geschichte immer nachvollziehbar und scheint dank der dichten Erzählweise fast schon minutengenau erfasst. Entsprechend schnell liest sich Airframe und bietet neben tadelloser Spannung viele technische Informationen zu jener Industrie, die einem in anderen Werken leider vorenthalten bleiben.

Was bei Crichtons Charakterzeichnungen am ehesten stören kann ist die Tatsache, dass er seine Figuren immer sehr schnell und umfassend vorstellt, statt Teile ihrer Herkunft zu erzählen und sich andere Aspekte für später aufzubewahren. So bekommt man als Leser zwar sehr schnell ein genaues Bild der Figur, doch wird dieses in den folgenden Kapiteln kaum weiter ausgeschmückt.
Während alle Hauptfiguren auf diese Weise prägnant und zielsicher vorgestellt werden, ihre Motivation ebenso deutlich wird, wie ihr Werdegang, gibt es dennoch kaum eine tatsächliche Charakterentwicklung innerhalb der knapp 400 Seiten. Dennoch wird insbesondere Hauptcharakter Casey Singleton auf die ein oder andere harte Probe gestellt.
Interessant sind auch die augenscheinlichen Gegensätzlichkeiten zwischen Casey und der Journalistin Malone, die sich bei genauerem Hinsehen aber als etwas ganz anderes herausstellen.
So erfüllen die Figuren ihren Zweck, versorgen den Autor mit den notwendigen Mitteln, um seinen temporeichen Techno-Thriller zu erzählen und wirken durch die Bank glaubhaft. Weitere Entwicklungen wären aber problemlos möglich gewesen.

Am dramaturgischen Aufbau von Airframe gibt es nichts zu bemängeln, bereits nach den ersten Seiten nimmt Michael Crichton den Spannungsfaden auf und lässt ihn bis zuletzt nicht los. Dass sich dabei das Finale weit weniger actionreich gestaltet, als man annehmen würde, tut der Geschichte gut und verdeutlicht, worauf es dem Autor hier bedeutend mehr ankam.
So dreht sich der Roman weit weniger um die Frage, was das Unglück tatsächlich verursacht hat, sondern vielmehr um die Frage, ob und wie Casey dem Netz aus wohl gestrickten Intrigen entkommen kann. Dass Crichton zudem mit dem Thema der Flugsicherheit und der Wahrnehmung der Menschen von derselben spielt, versteht sich von selbst und wird wie nicht anders zu erwarten mit Statistiken und Tabellen untermauert. Nichtsdestotrotz sorgen die Einblicke in die Firmenpolitik mancher Billig-Linien (wie sie an sich erst nach dem Roman auf dem Markt erschienen) für Besorgnis bei all denjenigen, die sich demnächst in das Innere eines Flugzeuges begeben werden.
Handwerklich, dramaturgisch und auch sprachlich bewegt sich Airframe auf einem hohen Niveau – bezogen auf die Popliteratur, in der der Roman angesiedelt ist. Das macht ihn leicht zugänglich und ebenso leicht lesbar.

Dank der überraschenden Einfälle, der gelungenen Storywendungen und der beinahe schon nebensächlichen Art und Weise, mit der Crichton immer weitere Facetten der weit im Voraus ersonnenen Machenschaften der Führungsetage aufdeckt, machen den Roman zu einem überaus angenehmen und dennoch informativen Lesevergnügen, das am Ende auch hält, was der Anfang verspricht.


Fazit:
Die Entwicklung des Airbus A380 begann bereits in den 1990er Jahren – 2005 war der erste Flug, dieses Jahr sollen die ersten Maschinen eingesetzt werden. Kostenpunkt pro Stück circa 300 Millionen Dollar. Die als "Jumbo Jet" bekannte Boeing 747 ist bereits seit 1969 auf dem Markt; wie viele von den ersten Modellen noch eingesetzt werden, ist nicht bekannt. Sicher ist aber eines: Auf Grund des weltweiten Preisdrucks auf die Fluggesellschaften, der überall anzutreffenden Billigflieger und der großen Konkurrenz werden die Flugzeuge heute weit länger eingesetzt, als sie ursprünglich gedacht waren.
Auch die Instandhaltung der Flugmaschinen muss gewährleistet werden und verschlingt verständlicherweise eine Menge Geld. Geld, das nach Möglichkeit eingespart wird. Welche Auswirkungen die globalen Verstrickungen auf dem Markt der Fluglinien haben können, wie große Aufträge der Hersteller mit dem Export von Arbeitsplätzen zusammen hängen, und weswegen das Flugzeug nach wie vor das sicherste Reisemittel ist, darüber informiert Michael Crichton in seinem rasant erzählten Thriller, der mich von der ersten bis zur letzten Seite fesselte. Besonders gut gelungen ist dem Autor meiner Meinung nach einmal mehr die Aufteilung der Geschichte in die einzelnen Wochentage, was die Spannungsschraube noch stärker anzieht.
Dank der vielen Hintergrundinformationen, der lebendigen Dialoge und der sympathischen Figuren ist Airframe trotz einer an sich nicht sehr actionreichen Geschichte sehr unterhaltsam geraten und lädt den Leser auf ebenso spannende wie lehrreich informative Stunden ein. Zugegeben, den Roman vor einem geplanten Urlaub zu verschlingen ist denkbar schlechtes Timing, nichtsdestotrotz bestärkt der Autor (einmal mehr) den Glauben an die Effektivität der Technologie – und beschreibt, wie fatal es sein kann, wenn sich der Mensch dagegen stellt.