Perfect Days [2023]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 21. Dezember 2023
Genre: DramaOriginaltitel: Perfect Days
Laufzeit: 123 min.
Produktionsland: Japan / Deutschland
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung
Regie: Wim Wenders
Besetzung: Kōji Yakusho, Tokio Emoto, Arisa Nakano, Aoi Yamada, Yumi Asō, Sayuri Ishikawa, Tomokazu Miura, Min Tanaka
Kurzinhalt:
Hirayama (Kōji Yakusho) arbeitet für eine Firma, die in Tokio Toiletten reinigt. Jeden Morgen, nachdem der zurückgezogen in einer kleinen Wohnung lebende Mann aufwacht und seine Morgenroutine erledigt hat, fährt er von Auftragsort zu Auftragsort und widmet sich strukturiert und mit einem Pflichtbewusstsein seiner Aufgabe, dass sein junger Kollege Takashi (Tokio Emoto) ihn verwundert fragt, wie er dies nur macht. Für Takashi ist die Arbeit ein notwendiges Übel, um Geld zu verdienen. In seiner Freizeit hört Hirayama Musik von Audiokassetten, liest gebrauchte Bücher oder beobachtet das Sonnenlicht, das durch die Baumwipfel fällt. Er fotografiert gerne mit einer alter Kamera und ordnet diese Bilder wie alles in seinem strukturierten Alltag, der ihn unter anderem immer wieder zur Bar von Mama (Sayuri Ishikawa) führt, in der er bereits erwartet wird und die genau weiß, was der verschwiegene Hirayama essen und trinken möchte. Doch dann wird er durch eine Reihe von Begegnungen mit seiner Vergangenheit konfrontiert, die er glaubte, zurückgelassen zu haben, und seine Routinen beginnen zu bröckeln …
Kritik:
Wim Wenders’ Perfect Days erzählt weniger eine Geschichte mit einem Beginn, einem Mittelteil und einem Ende, als dass sich der Filmemacher durch seine insbesondere zum Ende hin packend verkörperte Hauptfigur Beobachtungen des Alltäglichen widmet und ihre unbändige Schönheit erkennt. Reflektiert und einnehmend, ist das ein Erlebnis, das einem ruhigen Publikum vorbehalten ist, das sich hier aber auf eine so aufschlussreiche wie (hoffentlich) nachhaltige Reise entführen lassen kann.
Was man zurückerhält, ist mehr noch als bei vielen anderen Filmen vom jeweiligen Publikum abhängig. Wenders erläutert wenig mit Worten, lässt dafür Mimik und Gestik seiner tragenden Figur ebenso sprechen wie die Bilder und die eingespielte Musik gleichermaßen. In den ersten 10 Minuten wird kein Wort gesprochen, Hauptfigur Hirayama hat nur wenige Dialogzeilen überhaupt. Er arbeitet in Tokio für eine Firma, die Toiletten reinigt. Jeden Morgen erwacht er durch das Geräusch des Nachbarn, der die Straße fegt. Er steht auf, kümmert sich um seine Pflanzen, geht seiner Morgenroutine nach und zur Arbeit. Im Anschluss sucht er ein öffentliches Badehaus auf, da seine kleine, spartanisch eingerichtete Wohnung über kein Badezimmer verfügt, nimmt sein Abendessen in demselben Imbiss zu sich und liest abends vor dem Schlafengehen noch in einem Buch, das er gebraucht erworben hat. Die erste halbe Stunde von Perfect Days begleitet Hirayama über einen solchen Tag, zeigt, wie er morgens ein Getränk aus dem Automaten kauft, ehe er sich ins Auto setzt und zur Arbeit fährt. Wie er eine Kassette ins Radio einlegt und seiner zweiten Leidenschaft nachgeht – der Musik. Wie er mit kaum vorstellbarer Sorgfalt seine Arbeit erledigt, die andere geringschätzen würden. Dass er sogar mit Spiegeln schwer erreichbare Stellen überprüft und säubert, wortlos Platz macht, wenn Kundschaft die Anlage benutzen möchte, die er gerade reinigt.
Sein Alltag ist geprägt von Ritualen, die sich täglich wiederholen, beginnend bei der Pflanzenpflege nach dem Aufstehen, oder wie er seine Wohnung aufräumt, ehe er sie verlässt. Doch je häufiger und je länger Perfect Days Hirayama begleitet, umso vollständiger wird das Bild, das man von ihm gewinnt. Dass die Pflanzen beispielsweise aus einer Tempelanlage stammen, Sprösslinge großer Bäume sind, die in deren Schatten kaum gedeihen könnten. Oder wie er das Licht, das durch das Blätterwerk fällt, in seiner alten Kamera mit einer herkömmlichen Filmrolle aufnimmt. Wie er diese Fotos aussortiert und ordnet. All das mag sich nach profanen Tätigkeiten anhören, doch es ist die Art und Weise, wie sie ausgeübt werden, was sie besonders macht. Anstatt sich von anderen Dingen ablenken zu lassen oder sich selbst anderweitig zu beschäftigen, wie sein Kollege Takashi, der ständig auf sein Mobiltelefon blickt, ist Hirayama mit ganzer Aufmerksamkeit und Kraft bei was immer er tut. Er findet darin eine geradezu bewundernswerte Erfüllung, anstatt seine Aufgaben als notwendig oder erniedrigend zu verstehen. Dass er für die Menschen um ihn herum beinahe unsichtbar ist, scheint ihn nicht zu stören. Sie bemerken ihn nicht, wenn er zur Seite tritt, um sie vorbei zu lassen, oder wenn er einen kleinen Jungen an die Hand nimmt, um dessen Mutter zu suchen. Wie der Obdachlose im Park, den er wiederholt bemerkt, wird er von seinen Mitmenschen übersehen.
Die Figur, die Wim Wenders vorstellt, klingt traurig, ist dabei zumindest anfangs allerdings das genaue Gegenteil. Es sind für ihn „perfekte Tage“, wie der Filmtitel verrät. Bis viele Kleinigkeiten seinen routinierten Alltag aus den Fugen geraten lassen. Dadurch, dass Takashi ihn um Hilfe bittet, eine Angebetete zu beeindrucken, oder dass unangekündigt Hirayamas Nichte Niko vor der Tür steht. Sie ist ihm ähnlicher als ihrer eigenen Mutter, Hirayamas Schwester, und treffen die beiden Geschwister aufeinander, sagt ihr Moment trotz weniger Dialoge mehr, als manch andere Dramen. Wenders zeichnet kein richtiges Porträt dieses Mannes, der so viele Facetten besitzt. Er lässt das Publikum ihn vielmehr beobachten, so wie Hirayama selbst seine Umwelt beobachtet. Für viele Zuschauerinnen und Zuschauer wird das zu passiv sein, zu wenig konkret, zumal Vieles angedeutet, aber nicht ausgesprochen wird. Auch in Hinblick auf Hirayamas Vergangenheit und Herkunft. Manches wiederholt sich auch auffallend oft, darunter die Traumsequenzen, deren Deutung einer und einem jeden selber überlassen bleibt. Lässt man sich jedoch auf die Erzählung selbst ein, lässt ihr den Raum und die Ruhe, dann beginnt man, die Welt durch Hirayamas Augen zu sehen. Ihre vielen Details, die Anmut in den Baumwipfeln oder die Leben der vielen Menschen auf den Straßen, die sich überschneiden, aber doch nur selten berühren.
Handwerklich ist das toll umgesetzt und mitunter gar dokumentarisch eingefangen. Perfect Days ist in den Aussagen so introvertiert wie die Figur im Zentrum selbst. Das ist kein Kritikpunkt. Dennoch dauert es erstaunlich lange, ehe sich die Abweichungen in Hirayamas Alltag einschleichen und er aus seiner Komfortzone gerät. Das mitanzusehen ist so faszinierend wie seine Sicht auf die Welt erleuchtend. Zumindest für diejenigen, die sich darauf einlassen. Man würde sich jedoch wünschen, mehr über diese Figur insgesamt zu erfahren und zu wissen, wohin ihre Reise sie führt. Dieser Blick in Hirayamas Leben ist letztlich ebenso flüchtig wie das von ihm beobachtete „Komorebi“ (木漏れ日), ein Begriff dafür, wie Sonnenlicht durch ein Blätterdach fällt. Es verändert sich ständig, wiederholt sich nie. Und doch ist es so faszinierend, dass man es stundenlang studieren könnte.
Fazit:
Im Alltag wäre Hirayama eine Person, die im Hintergrundrauschen des Trubels verschwindet. Doch seine Wahrnehmung der Metropole Tokio ist ruhig und geordnet. Schweigsam und gründlich übt er eine Arbeit, auf die man im ersten Moment herabblickt, mit einer Hingabe und einem Stolz aus, dass man ihn nur bewundern kann. Systematisch und pflichtbewusst, hat er sich Hilfsmittel gebaut, um seinen Alltag bestmöglich zu organisieren, so dass er sich seinen Passionen widmen kann. Den Bäumen, der Musik und dem Lesen. Er scheint wie ein Mann im Reinen mit sich und der Welt. Filmemacher Wim Wenders stellt nicht die Frage, was diesen Menschen antreibt, sondern zeigt vielmehr, wie er die Welt sieht. In seinem von Routinen geprägten Alltag gibt es Abweichungen, die seine Welt noch schöner machen, wie ein Spiel Tic-Tac-Toe, das er mit einer unbekannten Person spielt, die den Spielzettel hinter einer Toilettenabdeckung hinterlässt. Aber auch solche, die seine Welt aus der Bahn werfen. In wunderschönen Bildern eingefangen und geradezu meditativ umgesetzt, ist dies weniger eine emotionale Reise an sich, als eine Fülle an auf der Leinwand zur Geltung gebrachten Emotionen und Eindrücken. Kōji Yakusho ist in der Rolle des Hirayama überragend mit einem Schlusspunkt, der ergreifender kaum sein könnte. Für ein ruhiges Publikum hält Perfect Days viele wundervolle Momente und Beobachtungen bereit, lädt ein, die Welt durch die Augen eines Mannes zu sehen, der Schönheit im Alltäglichen findet, aber doch die tiefe Traurigkeit erkennen lässt, wenn er gefragt wird, ob er als nicht verheirateter Mann in seinem Alter nicht einsam sei. So ähnelt sein Leben dem Spiel der Sonnenstrahlen durch das Blattwerk: die Sonne strahlt warm und hell hindurch – und kann den Schatten doch nur für den jeweiligen Moment vertreiben.