Oppenheimer [2023]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 19. Juli 2023
Genre: Biografie / DramaOriginaltitel: Oppenheimer
Laufzeit: 180 min.
Produktionsland: Großbritannien / USA
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Christopher Nolan
Musik: Ludwig Göransson
Besetzung: Cillian Murphy, Emily Blunt, Matt Damon, Robert Downey Jr., Florence Pugh, Rami Malek, Benny Safdie, Michael Angarano, Josh Hartnett, Kenneth Branagh, Dane DeHaan, Dylan Arnold, David Krumholtz, Alden Ehrenreich, Matthew Modine, David Dastmalchian, Jason Clarke, Josh Peck, Tony Goldwyn, James D’Arcy, Matthias Schweighöfer
Kurzinhalt:
In drei Jahren verschlang das Manhattan Projekt insgesamt zwei Milliarden US-Dollar und beschäftigte 4.000 Personen. Ziel des Projekts, dessen Leitung der Physiker Dr. J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) übertragen bekam, war die Entwicklung der ersten atomaren Bombe, mit deren Hilfe der Zweite Weltkrieg beendet werden sollte. Jahre später, nachdem ihn die Konsequenzen seiner Entwicklung bereits lange verfolgen, muss sich Oppenheimer vor einem Komitee der unter der Leitung von Lewis Strauss (Robert Downey Jr.) stehenden Atomic Energy Commission verantworten, deren Aufgabe die friedliche Weiterentwicklung und Nutzung der Atomkraft ist. Während der Befragung wird sein Werdegang durchleuchtet, seine mutmaßlichen Verbindungen zu Kommunisten und so seine Zuverlässigkeit in Frage gestellt. Dabei rekapituliert Oppenheimer, wie er von Admiral Leslie Groves (Matt Damon) für das Projekt gewonnen wurde, wie er Wissenschaftler und Personal für das Projekt rekrutierte und seine Frau Katherine (Emily Blunt) traf. Aber auch, wie groß seine Hoffnungen waren, dass mit der Erfindung der größten Bombe Kriege auf der Welt beendet werden könnten, nicht ahnend, welches Leid er damit verursachen würde …
Kritik:
Das Porträt des „Vaters der Atombombe“, Oppenheimer, belegt einmal mehr, dass Christopher Nolan einer der eindrucks- und anspruchsvollsten Regisseure unserer Zeit ist. Gleichzeitig unterstreicht er darin, dass er als Geschichtenerzähler seiner eigenen Vision derart kompromisslos folgt, dass das Publikum oftmals auf der Strecke bleibt. Dabei würde sich eine Biografie des theoretischen Physikers nicht nur anbieten, sondern wäre gerade heute ein treffendes wie warnendes Lehrstück. Doch das bleibt hier vielen vorenthalten.
Der Grund liegt, wie bereits zuvor bei Nolans Werken, in der Erzählstruktur, die es schwermacht, einen Zugang zu den Figuren und ihrer Geschichte zu finden. Oppenheimer begleitet den Titel gebenden Physiker zu unterschiedlichen Zeiten seines Werdegangs, rahmt das Geschehen gleichzeitig aber mit Szenen zweier Anhörungen ein, die nicht nur deutlich später, sondern auch unabhängig voneinander erfolgen. Sie betreffen zum einen J. Robert Oppenheimer selbst, der im Jahr 1954 vor einem Komitee der U.S.-amerikanischen Atomic Energy Commission angehört wurde, ob seine Sicherheitsfreigabe aufrechterhalten bleiben soll. Zum anderen den ehemaligen Marineoffizier und Vorsitzenden der Atomic Energy Commission, Lewis Strauss, der mit Oppenheimer nicht nur dort, sondern auch zuvor bereits zusammengearbeitet hatte, und der von Präsident Dwight D. Eisenhower zum Handelsminister berufen werden sollte – im Jahr 1959. Dass zudem Wegstationen Oppenheimers eingestreut sind, die wiederum nicht in zeitlich richtiger Reihenfolge präsentiert werden, beispielsweise, wenn dieser auf Albert Einstein trifft, macht es schlicht schwierig, dem inhaltlichen Verlauf folgen zu können. Das umso mehr, da die unterschiedlichen Zeitebenen, Kommissionen und Personen nicht durch Einblendungen erläutert werden.
Um die schiere Struktur der Erzählung von Oppenheimer zu verstehen, bedarf es wenigstens einer weiteren Sichtung und das Publikum sollte sich nicht daran stören, dass es bestimmte Namen oder Entwicklungen beim ersten Mal nicht zuzuordnen vermag. Zwar gelingt es Nolan dennoch, oder auch nur deshalb, bestimmte Momente wie eben das Ende derart zu verdichten, dass die Dialoge nicht nur einen packenden Rhythmus entwickeln, sondern dass die Spannung auf mehreren Erzählebenen gleichzeitig angezogen wird. Einfacher zu verstehen macht es das Gezeigte aber nicht. Dabei wäre der Werdegang Oppenheimers allein bereits interessant genug, erzählt zu werden. Angefangen von seinen Studien in den USA und Europa, die ihn in Kontakt mit anderen, einflussreichen Wissenschaftlern seiner Zeit brachten, über seine privaten Verfehlungen, bis hin zu dem Moment, dass er während des Zweiten Weltkriegs die Leitung des Manhattan Projekts übertragen bekam, das die Entwicklung der ersten atomaren Bombe zum Ziel hatte. Das Projekt, die Planung und Entwicklung rückt Filmemacher Christopher Nolan ins Zentrum und schildert die analytische Herangehensweise der Beteiligten, die zerstörerischste Kraft zu entwickeln, die die Menschheit je entfesselt hatte.
Gleichzeitig zeigt er auf, wie sich die Gesellschaft in den USA beinahe schleichend wandelt, die anti-kommunistischen Züge nach einer liberalen, politischen Phase, immer weiter um sich greifen und der weitgehend neutral auftretende Oppenheimer in politische Lager gezwängt wird, mit denen später sein Ruf in der Öffentlichkeit zerstört werden wird. Was jedoch spürbar kurz kommt, ist die Erkenntnis der Titelfigur, dass die Atombombe nicht diejenige sein wird, die alle Kriege beendet. Es ist eine idealistische Ansicht seinerseits, wonach nach der ersten Präsentation der schieren Sprengkraft die Menschheit Kriege hinter sich lassen und zusammenarbeiten wird. Die Realität dessen, was auf den Abwurf der beiden Atombomben im japanischen Hiroshima und Nagasaki geschieht, wie der Physiker auf die politischen Entscheidungen und das menschliche Leid, das er mit verursacht hat, reagiert, wird erst spät aufgegriffen. Was Oppenheimer damit trotz der durchweg erstklassigen Darbietungen, allen voran von Cillian Murphy, Robert Downey Jr. und Emily Blunt, fehlt, ist eine menschliche Komponente, mit der das Publikum mitfiebern könnte.
Das bedeutet nicht, dass Nolans Präsentation nicht faszinieren würde, im Gegenteil. Insbesondere auf Grund der verschachtelten Erzählung, deren Struktur sich erst im letzten Drittel erschließt, scheint Oppenheimer kürzer, als die dreistündige Laufzeit vermuten lässt. Hinzu kommt, dass die schlicht perfekte Ausstattung und handwerkliche Umsetzung einnehmender kaum sein könnten. Kostüme, Bauten und insbesondere die preiswürdige Maskenarbeit sind atemberaubend. Ebenso die überlebensgroßen Bilder, die immer wieder von Aufnahmen unterbrochen werden, die Oppenheimers Faszination mit der Materie unterstreichen und gewissermaßen Einblicke in die physikalischen Prozesse bieten. Dabei kommt auch ein geradezu ohrenbetäubender Ton zum Einsatz, der buchstäblich den Kinosaal zum Beben bringt. Bedauerlicherweise bleibt Christopher Nolan seiner Linie treu, die Dialoge teilweise derart leise auszusteuern, dass sie von der basslastigen Musik oder den sonstigen Geräuschen teilweise überlagert werden.
Dass der Filmemacher ein ausgesprochener Unterstützer und Verfechter klassischen Films ist (im Gegensatz zur inzwischen gebräuchlichen, digitalen Aufnahmetechnik), ist hinlänglich bekannt. Entsprechend stolz wird am Ende des Abspanns betont, dass Oppenheimer vollständig auf Film gedreht und geschnitten wurde. Manche Kinos haben, so wie das besuchte, speziell für die Vorführung umgerüstet und präsentieren den Film in einer 70mm-Projektion. Das Ergebnis – so sehr es diesen Kritiker persönlich schmerzt, das zu sagen – war jedoch nicht überzeugend. Während digitale Transfers von Nolans Filmaufnahmen, beispielsweise bei Tenet [2020], mit einer geradezu greifbaren Plastizität aufwarteten, war die Oppenheimer-Präsentation heimgesucht von Kratzspuren auf dem Filmmaterial, die durchgängig erhalten blieben und Schneideartefakten im oberen, rechten Bildrand. Hinzu kamen eine deutlich geringere Schärfe, als bei den sonst besuchten Vorführungen und nicht zuletzt ein spürbar reduzierter Kontrast, so dass dunkle Flächen oftmals überstrahlt erschienen. Da nichts hiervon in der Filmvorschau zu sehen ist, ist davon auszugehen, dass es sich um Eigenschaften der gesehenen Präsentation handelt. Das breite Publikum wird sich so aber leider kaum von den grundsätzlichen Vorzügen herkömmlichen Filmmaterials überzeugen lassen.
Fazit:
Wie zuletzt, gelingt Filmemacher Christopher Nolan ein Werk, das sowohl insgesamt, wie auch in Bezug auf die einzelnen Elemente bewundernswert ist, aber gleichzeitig beinahe bewusst schwer zugänglich. Erst zum Schluss ergibt sich, wie die unterschiedlichen Erzählebenen einzuordnen sind. Folgt man diesen davor, ebenso den inhaltlich anspruchsvollen und erstklassigen Dialogen, die teilweise einander abwechselnd geschnitten sind, ist das schlicht anstrengend. Umso mehr, da auf Figuren und Ereignisse Bezug genommen wird, die man mitunter noch nicht zuzuordnen vermag. So überlegt das zusammengestellt ist, es ist mit einem Tempo versehen und inhaltlich komplex, wobei die überwältigenden Bilder und die gleichermaßen einnehmende Akustik dies nicht einfacher machen. Als Figur ist J. Robert Oppenheimer interessant, seine idealistische Überzeugung, die von seinem Gewissen eingeholt wird, durchaus greifbar. Umso bedrückender, wenn er Opfer einer Kampagne wird, ihn als Kommunisten und Spion für die Sowjetunion zu diskreditieren, nachdem er sich öffentlich kritisch geäußert hat. Insoweit ist Oppenheimer ein eindrucksvolles, fantastisch ausgestattetes Porträt mit einem herausragenden Ensemble. Doch es ist ein Film, den man mehrmals gesehen haben muss, um ihn schätzen zu können. Darauf sollte sich das Publikum einstellen – und einlassen wollen.