Licorice Pizza [2021]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 8. Dezember 2021
Genre: Drama / Liebesfilm / Komödie

Originaltitel: Licorice Pizza
Laufzeit: 133 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Paul Thomas Anderson
Musik: Jonny Greenwood
Besetzung: Alana Haim, Cooper Hoffman, Sean Penn, Tom Waits, Bradley Cooper, Benny Safdie, Skyler Gisondo, Mary Elizabeth Ellis, John Michael Higgins, Christine Ebersole, Harriet Sansom Harris, Ryan Heffington, Nate Mann, Joseph Cross, George DiCaprio, Ray Chase, Emma Dumont


Kurzinhalt:

Im Jahr 1973 verliebt sich der erst 15jährige, ehemalige Kinderschauspieler Gary Valentine (Cooper Hoffman) bei einem Fotoshooting für die Schuljahrbücher in die für das Fotostudio arbeitende Alana (Alana Haim). Nur ist sie mehr als zehn Jahre älter als er und will an sich nichts von ihm wissen. Dennoch schafft es Gary, dass sie mit ihm ausgeht und auch wenn sich sein Wunsch, dass sie ein Paar werden, nicht erfüllt, sie werden Geschäftspartner, als er in das Wasserbetten-Business einsteigt. Mit seinen Kontakten in die Filmindustrie könnte Gary für Alana ein Weg heraus aus einem Leben bedeuten, mit dem sie selbst unzufrieden ist. Durch sein geschäftliches Geschick und seinen Charme, gelingt es Gary immer wieder, trotz Rückschlägen auf der Siegerseite zu stehen. Ihre Reise in dieser turbulenten Zeit führt beide auseinander und könnte sie wieder zusammenbringen – wenn sie sich selbst dabei nicht im Weg stehen …


Kritik:
Licorice Pizza, der neueste Film von Paul Thomas Anderson, erzählt vom Erwachsenwerden und der ersten großen Liebe in den frühen 1970er-Jahren. Das wäre für sich genommen nichts Bemerkenswertes, doch es gelingt dem Regisseur auch dank einer ungewöhnlichen Besetzung ein natürlicher Blick auf seine Figuren und ihre Reise, der obwohl er nur selten packend erzählt ist, durch seine Herzlichkeit und seine Authentizität durchweg interessiert und ja, auch fesselt.

Die Story selbst handelt von dem 15jährigen Gary Valentine, der als Kinderdarsteller vor Jahren Erfolge feierte und immer noch von diesen zehrt. Bei einem Fotoshooting für das Schuljahrbuch trifft er auf Alana, die für das Fotostudio arbeitet. Sie ist mehr als zehn Jahre älter als er und glaubt von sich, dass sie auch künftig dort wird arbeiten und sich sexuelle Übergriffe von ihrem Chef gefallen lassen müssen, wenn sie niemanden findet, der sie dort herausholt. Gary ist von ihr vom ersten Moment an fasziniert und regelrecht verliebt in sie. Aber sogar bei einem gemeinsamen Abendessen mit Alana flirtet er mit einer Bedienung, hormongesteuert und von seinem Charme restlos überzeugt, wie er ist. Filmemacher Paul Thomas Anderson begleitet diese beiden Figuren, die nicht wirklich zueinander finden wollen, weil Alana der Überzeugung ist, sie wäre zu alt für ihn, und Gary, wenn sich etwas anzubahnen scheint, doch wieder andere Mädchen in den Blick nimmt.

Auf ihrem gemeinsamen und zum Teil auch getrennten Weg schnitzt Licorice Pizza feine Charakterisierungen aus diesen Personen heraus, entblättert den von seinem früheren Erfolg verwöhnten Gary als einen geborenen Selbstverkäufer, der auf seinen nach wie vor kindlichen Charme setzt und dabei zu Beginn bei Castings viel zu kleine Westen und Sakkos trägt. Dass es ihm gelingt, Alana in sein aufstrebendes Geschäft des Verkaufs von Wasserbetten einzubinden, sieht er als Erfolg und glaubt, sie wären nun ein Paar, doch Alana weist ihn nach wie vor ab. Unentschlossen, wohin ihr Weg sie führen soll, ist sie unglücklich mit ihrem Leben, aber kaum willens, selbst etwas zu tun, um es zu verbessern, außer, sich jemand Berühmtes zu suchen, der sie aus ihrem Alltag herausholt. Doch das vermeintliche Sprungbrett, das Gary ihr bieten könnte, als er sie mit seiner Hollywoodagentin zusammenbringt, zahlt sich nicht aus.

Licorice Pizza erzählt mehr von Enttäuschungen, als Erfolgen, und doch gerät die Erzählung nie deprimierend oder melancholisch. Alanas und Garys Reise bringt sie mit Hollywood-Größen wie dem Produzenten Jon Peters oder dem Politiker Joel Wachs zusammen und genau dies ist einer der Kritikpunkte der überaus unterhaltsamen Dramödie. Denn während die beiden Hauptfiguren wohl fiktiv sind, selbst wenn Elemente der Geschichte aus Erzählungen des mit Paul Thomas Anderson befreundeten Produzenten Gary Goetzman stammen sollen, existieren teils Verbindungen zu real existierenden Personen und dann wieder zu Figuren, die nur auf wirklichen Personen beruhen sollen. Der Film erzählt somit einen Mix aus Realität und Fiktion, was einerseits zur Authentizität merklich beiträgt, es andererseits aber schwer macht, die Aussagekraft anderer Elemente des Films ernsthaft einschätzen zu können.

Lässt man sich auf Licorice Pizza jedoch ein, wird man nicht zuletzt von einer handwerklich perfekten Präsentation überwältigt. Die fantastischen Bilder sehen aus, als wären sie damals aufgenommen worden, mit Farben und Kontrasten, einer stets sichtbaren Filmkörnung, die für ein unvergleichliches Flair sorgen. Die Ausstattung, beginnend mit den vielen Autos oder der Kleidung, den Frisuren und Bauten und Einrichtungen, ist schlicht grandios. Doch wird all das in den Schatten gestellt durch eine Darstellung der Figuren, die wie aus dem Leben gegriffen scheint. Weder Alana, noch Gary treten wie auf Hochglanz polierte Hollywood-Akteure auf. Sie haben Hautunreinheiten, schiefe Zähne, sie benehmen und verhalten sich wie junge Menschen es damals wie heute getan haben und tun. Sie tun das in einer Natürlichkeit, dass die beiden jungen Talente vollständig in ihren Rollen aufgehen. So gerät Andersons jüngster Film zu einer solch unverfälschten Liebesgeschichte, wie sie Hollywood seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr erzählt hat. Ohne Theatralik, aber mit alltäglichen Dramen und Unsicherheiten, mit mehr Unausgesprochenen Entscheidungen als solchen, die tatsächlich getroffen werden. Dem beizuwohnen, ist auf eine unerwartete Art und Weise erfrischend und für ein Publikum, das bereit ist, sich auf eine so ungewöhnliche Herangehensweise einzulassen, in jedem Fall sehenswert.


Fazit:
Eingebettet in die Geschichte seiner beiden Hauptfiguren, zeigt Filmemacher Paul Thomas Anderson so versteckten wie alltäglichen Sexismus und Rassismus, selbst innerhalb von Lebensgemeinschaften. Er tut dies mit einer Scharfzüngigkeit, die gleichermaßen überrascht, wie auf eine entwaffnende Weise amüsiert. Seine Darstellung der Personen jener Zeit wirkt so authentisch, dass man sich in sie hineinversetzen kann. So ist Gary kein schimmernder Held, sondern ein Opportunist, immer auf der Suche nach der Möglichkeit, sein Ziel zu erreichen, wobei er wenn, dann nur nach unten tritt. Alana hingegen hofft immer auf einen großen Durchbruch, auf etwas Besseres, anstatt zu erkennen, was vor ihr liegt. Dabei gibt sie vor, alles zu sein, nur um jemand zu werden, die sie nicht ist. Preiswürdig und hervorragend gespielt, allen voran von Alana Haim und Cooper Hoffman (Sohn des unvergleichlichen Philip Seymour Hoffman), jeweils in ihrer ersten Filmrolle, und erstklassig inszeniert, lebt Licorice Pizza gleichermaßen von der Besetzung wie von einer unvergleichlichen Stimmung. Mit viel Feingefühl für die Figuren und subtilem Gesellschaftskommentar erzählt, rundet ein fantastischer Soundtrack diese vielleicht ungewöhnlichste und ehrlichste Lovestory dieses Kinojahres ab. Klasse!