Oxygen [2021]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 16. Mai 2021
Genre: Science Fiction / Drama

Originaltitel: Oxygène
Laufzeit: 100 min.
Produktionsland: Frankreich / USA
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Alexandre Aja
Musik: Robin Coudert
Besetzung: Mélanie Laurent, Mathieu Amalric (Florian Halm), Malik Zidi, Laura Boujenah, Eric Herson-Macarel, Anie Balestra, Marc Saez, Cathy Cerda, Lyah Valade


Kurzinhalt:

Als ‚Liz‘ (Mélanie Laurent) aufwacht, weiß sie nicht, wer sie ist, oder wo sie sich befindet. In einen Kokon gehüllt und mit allerlei möglichen Schläuchen verbunden, findet sie sich in einer Kryoeinheit wieder. Ihre einzige Ansprech„person“ ist die Künstliche Intelligenz M.I.L.O. (Mathieu Amalric / Florian Halm), die nicht nur ihre Vitalzeichen überwacht, sondern ihr auch den Kontakt mit der Außenwelt ermöglichen kann. Liz muss erkennen, dass der Sauerstoff in ihrer Einheit höchstens etwas mehr als eine Stunde ausreichen wird. Doch um Hilfe anfordern zu können, muss sie sich zuerst erinnern, wie sie in diese Kryoeinheit gekommen und weshalb sie offenbar aus dem Tiefschlaf erwacht ist …


Kritik:
Der französische Filmemacher Alexandre Aja, der sich vor allem durch seine Produktionen im Horror-Genre einen Namen machte, präsentiert mit Oxygen eine Geschichte, mit der sich viele Menschen in Anbetracht der durch die Coronavirus-Pandemie erforderlichen Isolation identifizieren können. Tatsächlich erinnert das nur von der Hauptdarstellerin getragene Drama, die sich in einer abgeschlossenen Kapsel wiederfindet, stark an den Thriller Buried - Lebend begraben [2010] mit Ryan Reynolds. Nur mit der existenziell wichtigen Frage im Zentrum beschäftigt sich der Film zu wenig.

Festzuhalten, dass Oxygen Science Fiction-Elemente aufweist, nimmt keine wirklichen Überraschungen vorweg. Dies entdeckt das Publikum tatsächlich bereits in den ersten Minuten, in denen sich eine Frau, nennen wir sie ‚Liz‘, aus einem kokonähnlichen Gewebe befreit und feststellt, dass sie sich in einer medizinischen Kryokapsel befindet. Die Kapsel ist flach, so dass sie sich nicht aufsetzen kann, Liz selbst ist mit allerlei Schläuchen und Sensoren verbunden, so dass die Kapsel, geleitet von einer Künstlichen Intelligenz namens M.I.L.O., ihren Gesundheitszustand überwachen und auch mit Medikamenten beeinflussen kann. Als wäre ihre Situation nicht bereits prekär genug, informiert sie die sanfte Stimme darüber, dass der Sauerstoffvorrat bei lediglich 35 % liegt und stetig abnimmt. Es bleibt Liz weniger als eine Stunde Zeit, eine Lösung zu finden.

Dies schränkt Liz’ Handlungsmöglichkeiten und auch die erzählerischen Stilmittel in Oxygen stark ein. M.I.L.O. ist dabei Liz’ einzige Verbindung zur Außenwelt. Nicht nur, dass die Künstliche Intelligenz ihr Fragen beantworten, Aufnahmen und Bilder zeigen kann, sie kann auch Anrufe tätigen und Liz so mit anderen Menschen in Kontakt bringen. Das größte Hindernis ist jedoch, dass Liz sich weder erinnert, wer sie ist, noch, weshalb sie in dieser Kapsel ist, oder was all dies zu bedeuten hat. M.I.L.O. kann ihr zwar Fragen beantworten, aber nur, wenn sie auch die richtigen stellt. So beginnt ihr sprichwörtlicher Wettlauf gegen die Zeit, den sie nur gewinnen kann, wenn sie das Puzzle zusammenfügt, wer sie ist und wer die Menschen in den Erinnerungen, die sie immer wieder vor Augen sieht.
Aus dieser Ausgangslage weiß Drehbuchautorin Christie LeBlanc eine vor allem in der ersten Hälfte durchaus packende Geschichte zu erzählen. Dabei drängen sich vor allem für Genrefans im ersten Drittel in Anbetracht ihrer Orientierungslosigkeit jedoch Fragen auf, die Liz M.I.L.O. schlicht nicht stellt. Nun, würde sie es tun, wäre die Geschichte bedeutend schneller an ihrem Ende angekommen. Stattdessen nimmt sie Kontakt mit der Polizei auf, die ihr versichert, alles zu unternehmen, um sie zu finden.

Wer sich im Science Fiction-Metier auskennt und die eingestreuten Rückblicke, die Liz auf der Erde zeigen, zu deuten versteht, wird die zwei inhaltlichen Überraschungen weit kommen sehen. Das bedeutet nicht, dass Oxygen ideenlos erzählt wäre, es gibt vielmehr nur wenige Richtungen, in die sich die Ausgangslage überhaupt hätte entwickeln können. Beide Elemente sind auch ansprechend umgesetzt und führen in einem Punkt für Liz zu einem Dilemma, das sich viele Menschen nach nunmehr einem Jahr der Pandemie ebenfalls stellen werden: Soll man danach zurück in das „alte“ Leben, oder sich stattdessen selbstbestimmt eine eigene, andere Zukunft aufbauen? Gute Science Fiction-Stories haben seit jeher existenzielle Fragen in das Zentrum einer fantastisch klingenden Geschichte gestellt. Diesem Anspruch wird Regisseur Alexandre Aja insoweit durchaus gerecht. Doch anstatt dass die Figur gezwungen würde, sich der Bedeutung ihrer Entscheidung bewusst zu werden, das Für und Wider abzuwägen, prescht der Film über diesen Punkt in einem Tempo hinweg, das zuvor merklich nachgelassen hat, zum Finale hin durch den rapide knapper werdenden Sauerstoff jedoch wieder angezogen wird.

Im Zentrum von Oxygen steht die preiswürdige Darbietung von Mélanie Laurent, die eindrucksvoll Liz’ Verzweiflung und Überlebenswillen greifbar macht, ebenso wie ihre kurzen Momente der Erleichterung, wenn sie ein Puzzlestück zusammenfügt oder M.I.L.O. überlistet. Ihr Überlebenskampf ist nicht nur einfallsreich eingefangen, sondern von einem stimmigen Konzept eingerahmt. Die gezeigte Technik, die Art und Weise, wie sie mit M.I.L.O. interagiert, erinnern zwar an andere Science Fiction-Werke, doch das Gesamtbild dieser Welt, das sich für Liz ebenso erschließt wie für das Publikum, erscheint in sich schlüssig. So sehr, dass man sich wünscht, die Macher würden am Ende nicht nur den Mut besitzen, sich mit den schwierigen, ethischen Fragen des Kerns der Story auseinander zu setzen, sondern auch, den Abschluss zu präsentieren, auf den die Erzählung lange hinsteuert. Der tatsächliche scheint eher ein versöhnliches Eingeständnis zu sein, um ein Gelegenheitspublikum nicht vor den Kopf zu stoßen.


Fazit:
Aus der räumlich stark eingeengten Ausgangslage weiß Filmemacher Alexandre Aja nicht nur packende Momente zu entwickeln, innovative Kamerafahrten und -perspektiven kleiden sein Science Fiction-Drama einerseits in tolle Bilder und versetzen das Publikum gleichzeitig an die Seite der von Mélanie Laurent mitreißend gespielten, auf kleinstem Raum eingeengten Protagonistin. Genrefans werden den Verlauf der Story nicht in dem Maße überraschend vorfinden, wie die Verantwortlichen wohl beabsichtigt haben. Doch das ändert nichts daran, dass Oxygen erstklassig gemacht ist und wie im Science Fiction-Bereich üblich, wichtige gesellschaftliche Fragen aufwirft. Bedauerlich ist dabei, dass diese nicht weiterverfolgt werden und auch die letztliche Auflösung eher Gelegenheitszuschauerinnen und -zuschauer zufriedenstellen wird, als Fans des Genres. Davon abgesehen, ist das minimalistische Drama durchaus gelungen und in sich stimmiger als ähnliche Produktionen. In einer Zeit, in der viele solcher Genrefilme mehr auf Schauwerte, denn auf eine klaustrophobisch-kompakte Erzählung setzen, verdient dies durchaus Anerkennung.