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Funktion ohne Vorbild
Treffpunkt: Kritik Es ist nicht einfach, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Zyniker würden behaupten, es käme immer auf den eigenen Standpunkt an. Doch sollte es unsere gesellschaftlichen, moralischen Werte nicht definieren, dass es Dinge gibt, die einfach böse sind? Sollten uns Gesetze nicht helfen, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden? Und ist es nicht Aufgabe der Medien, der breiten Bevölkerung wenn schon nicht ein flammendes Beispiel zu sein, dann zumindest doch diesen Maßgaben getreu eine Richtung vorzugeben? Oder zumindest unabhängig zu berichten? Wie seriös sind Nachrichten, die eine unvoreingenommene Meinungsbildung nicht ermöglichen, sondern vielmehr dem beeinflussbaren Teil der Bevölkerung eine Meinung vorgeben?
Wer aktuell einen Blick auf die Nachrichtenlandschaft nicht nur in Deutschland wirft, bekommt ein erschreckendes Bild gezeigt. Dabei geht es nicht darum, dass schlimme Nachrichten gute Nachrichten sind. Sondern vielmehr darum, dass viele Nachrichtenformate nicht informieren, sondern manipulieren. Dass Ikonen stilisiert werden, die man vielmehr als abschreckendes Beispiel vorführen sollte.
Welches Thema Deutschland derzeit spaltet, ist nicht von der Hand zu weisen. Die Plagiatsaffäre um die Doktorarbeit von Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg war Titel gebende Schlagzeile vieler Veröffentlichungen und Kabarettisten konnten sich in den letzten Wochen vor Themen kaum retten. Die Aufregung, die sich in der Bevölkerung nun nach dem Rücktritt des ehemaligen Verteidigungsministers regt, scheint jedoch wie der multimediale Superheld der CDU/CSU von bestimmten Publikationen hausgemacht. Von den laut zahlreichen Umfragen Millionen Anhängern und Fans des zweifelhaften Doktoranden haben es nur wenige Tausend tatsächlich auf die Straße geschafft, um für seine Rückkehr auf die politische Bühne zu demonstrieren. Da diese Zahlen von den Veranstaltern stammen, sind sie ebenso mit Vorsicht zu genießen. Da sich außerdem insbesondere die CSU eine rasche Rückkehr von zu Guttenberg wünscht, mag man auch vermuten, dass hier parteiintern zur Demonstration aufgerufen wurde. Immerhin steht die Union in der Öffentlichkeit in keinem guten Licht und die Politumfragen lassen erneut ein Abdriften der erzkonservativen Wähler vermuten.
Was an der ganzen Debatte jedoch ungeklärt bleibt ist, wer hat an auf Aufstieg und auch am Fall des ehemaligen Ministers am meisten verdient? Und wie wurde damit umgegangen?
Berichterstattung oder Meinungsbildung - die Medien in Deutschland.Das Boulevardblatt mit vier Buchstaben hat an der öffentlichen Beliebtheit zu Guttenbergs eindeutig mitgefeilt. Nicht nur mit einem exklusiven Berichterstatter, der dem Adeligen auf Schritt und Tritt folgte. Auch schienen die Überschriften, als die Plagiatsaffäre immer größere Kreise zog, trotziger zu werden, als wolle sich ein Kind dagegen wehren, dass ihm sein liebstes Spielzeug weggenommen wird. Doch war der Superminister in der Gunst der Öffentlichkeit erst einmal gefallen, war er auch für das Blatt unannehmbar. Nach durchschlagenden Befürwortungen seines Status, sogar eigens dafür ins Leben gerufener Telefon-Umfragen, als ginge es nicht um einen dem Volk verpflichteten Minister, sondern um den Wettkönig von Wetten, dass..?, wandte sich das Boulevardblatt ab, als wolle man einen betrügenden Liebhaber loswerden.
Wer sich am Tage des Rücktritts dem Regenschauer der öffentlichen Berichterstattung aussetzte, bekam dabei gar Verwunderliches zu hören und zu sehen. Während manche Radiosender konstant aus der Rücktrittsrede berichteten und zugleich vermeintlich unabhängig die Zuhörer zum Mikrophon baten, deren Gewichtung ob pro oder contra Rücktritt aber nicht gleichmäßig ausbalanciert war, berichtete Deutschlands meist gesehener Privatsender mit den drei Buchstaben immer wieder mit einem Korrespondenten vor Ort, der sich nicht nur über die Vorkommnisse dort äußerte, sondern zugleich anbrachte, dass hier eine Vermischung von privaten Eigenschaften und Fehltritten mit den Befähigungen des Politikers stattgefunden habe. Kurzum: dort wurde festgehalten, dass der Rücktritt ebenso unnötig war wie die vorangegangene Affäre um die Plagiatsvorwürfe. Wer das als unabhängige Berichterstattung einstufen möchte, wird sich sehr weit aus dem Fenster lehnen. Wie Informationsmedien speziell in diesem Zusammenhang berichten, lässt auch Fragen zu, wie unabhängig sie überhaupt sind. Immerhin sollte keine Nachrichtenredaktion darum bemüht sein, dem Zuhörer eine Meinung vorzugeben. Auch interessieren die persönlichen Belange des Berichtenden nicht. Hierfür gibt es Kolumnen und Kommentare in den jeweiligen Publikationen. Doch offen in einer Informationssendung Stellung zu den Personen und ihren Entscheidungen zu beziehen ist ein gefährlicher Übertritt von der Berichterstattung zur Meinungsmache.

Wie ein jeder hierbei zur Person Guttenberg steht, seinen politischen Errungenschaften (die überall erwähnt aber nie benannt werden) oder der Frage, ob ein Mensch, der privat kompromittiert ist, im beruflichen integer bleibt, sei dahingestellt. Eine Frage, die nirgends gestellt wurde ist, sollte die Doktorarbeit nicht selbst geschrieben sein, wäre der ehemalige Minister damit angreif- und erpressbar. Und wenn er das im Privaten war/ist, ist er dies auch im Politischen? Waren alle Entscheidungen, die er politisch getroffen hat, allein durch sein eigenes Gewissen motiviert?
Eine lückenlose Aufklärung der Ereignisse, und die wurde von allen Seiten außer von der Doktortitel verleihenden Universität versprochen, beginnt dabei im besten Fall mit einem Geständnis. Und ein allgemein gefasster Begriff wie "Fehler im Zusammenhang mit der Doktorarbeit" ist nicht als Geständnis zu werten.

Aus dem in Ungnade gefallenen Ex-Minister wird hierzulande inzwischen ein Märtyrer, der nun, sollte er zurückkehren in sein politisches Amt, mit Sicherheit mehr noch als Messias gefeiert würde. Immerhin konnte er sich selbst retten, weswegen also nicht die ganze Welt?
Eine ähnliche Stilisierung erfährt derzeit Schauspieler und Fernsehstar Charlie Sheen in den USA, der inzwischen auf Grund eines gewinnorientierten Publizisten 10.000 Dollar pro Tweet über das Kurznachrichtennetzwerk Twitter verdienen soll. Dieser zweifelhafte Aufstieg kommt nach einem tiefen Fall, den Sheen als solchen aber nicht werten würde. Nach seiner dritten gescheiterten Ehe schaffte es der Darsteller aus Two and a Half Men [seit 2003] immer wieder mit privaten Eskapaden in die Nachrichten. Unter anderem wurde er nach einer außer Kontrolle geratenen Party mit Drogen und Pornostars ins Krankenhaus gebracht und trat zuhause eine Rehabilitation an. Daraufhin strichen die Produzenten der Comedy-Serie die Dreharbeiten der verbleibenden acht Episoden, was Sheen dazu brachte, offen über den Produzenten herzuziehen und die Serie generell anzugreifen. Er selbst sei nicht nur mehr Geld wert (er erwarte auch eine Gage von drei Millionen Dollar pro Episode, wenn er zurückkehren solle), sondern etwas Besonderes, der sich mit dem normalen Tagesgeschäft gar nicht zufrieden geben wolle. Von vermeintlichen Projekten, die angeblich bei ihm Schlange stehen würden, war jedoch nichts zu sehen, im Gegenteil: ein Fernsehsender, den Sheen zitierte, er würde dort für eine neue Show unter Vertrag genommen, lehnte inzwischen offen ab.
Doch was man als Blamage vermuten würde, kehrt Sheen ins Gegenteil und jettet von einer Talkshow zur nächsten, erzählt von seinem Leben mit zwei Frauen, die gemeinsam in seinem Haus leben würden (Sheen tweetete jüngst, eine sei ausgezogen, woraufhin der Schauspieler einen Aufruf ins Internet stellte, er würde Bewerbungen der Nachfolgerin akzeptieren, doch inzwischen sei sie zurückgekehrt). Auch spricht er offen darüber, regelmäßig harte Drogen zu konsumieren, was zur Folge hatte, dass ihm die Zwillinge seiner letzten Ehe von Staatsdienern abgenommen wurden[1].
Der "Bad Boy" Charlie Sheen wird zu einer Ikone der Pop-Medien stilisiert, schon weil nicht öffentlich angeprangert wird, dass das Verhalten des Mittvierzigers schlicht nicht akzeptabel ist. Gerade als Person der Öffentlichkeit sollte er eine Vorbildfunktion erfüllen, doch die Gastgeber der Talkshows nehmen ihn ins Programm, weil er alle Konventionen sprengt und sich selbstverliebt als Überflieger in den Mittelpunkt stellt – und damit für ein volles Haus sorgt.

Die Frage bleibt, ob es nicht ein gefährliches Spiel mit dem Feuer ist, wenn die Medien mit solchen Extremen Kasse zu machen versuchen. Statt abschreckende Beispiele zu demontieren, Wege aufzuzeigen, wie man es besser machen kann, oder wie im Falle von bekannten Sängern eine Wiedereingliederung in ein Team ins Rampenlicht zu rücken, ergötzt sich das Publikum an den eigentlich dunkelsten Stunden jener Personen und glorifiziert sie damit noch.
Was soll gelten, Gesetz oder Sympathie?Oder ist dies einem grundsätzlichen Wertewandel zuzuschreiben? Immerhin werden heute wie kaum zuvor Romane verkauft und beworben, die mit immer grafischeren Beschreibungen von bestialischen Handlungen erzählt werden. Unter dem Deckmantel des Thrillers schildern Autoren Schreckensvisionen von Folter und Mord, so dass die Frage durchaus erlaubt sein darf, ob die Leser diese Bücher verschlingen, weil es ihnen darum geht, den Täter gefasst zu sehen, oder an dem verursachten Leid teilzuhaben.
Die sogenannten Folterpornos in der Filmindustrie schlagen in die gleiche Kerbe und auch hochkarätige Blockbuster mit und ohne Comicursprung haben immer häufiger Bösewichte, Auftragskiller und ähnliche Figuren als Protagonisten, ohne diese Antihelden auch als solche herauszustellen. Mit coolen Szenarios wird ein solcher Lebensstil gar noch als erstrebenswert hingestellt.

Noch vor Klärung einer Schuldfrage einen Betrüger als Hoffnungsträger eines ganzen Landes in den Himmel zu loben und damit sein mögliches Verschulden zu trivialisieren, den Sympathiewert einer Person höher zu werten als seine Integrität wäre so, als würden Richter nicht mehr nach den Maßgaben des Gesetzbuches urteilen, sondern anhand des Gesichtes des Angeklagten entscheiden.
"Verantwortung verpflichtet" heißt es auf der Webseite des ausgeschiedenen Verteidigungsministers. Es ist ein Leitsatz, den sich auch die Medien auf die Fahne schreiben – und sich, noch viel wichtiger, danach verhalten sollten.



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