Wall Street - Geld schläft nicht [2010]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 28. Oktober 2010
Genre: Drama / Unterhaltung

Originaltitel: Wall Street: Money Never Sleeps
Laufzeit: 133 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2010
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren

Regie: Oliver Stone
Musik: Craig Armstrong
Darsteller: Michael Douglas, Shia LaBeouf, Josh Brolin, Carey Mulligan, Eli Wallach, Susan Sarandon, Frank Langella, Austin Pendleton, John Bedford Lloyd, Vanessa Ferlito, John Buffalo Mailer, Jason Clarke, Christian Baha


Kurzinhalt:
Der Verlust seines Mentors Louis Zabel (Frank Langella) erschüttert den jungen Jake Moore (Shia LaBeouf) zutiefst. Lediglich seine Verlobte Winnie (Carey Mulligan) gibt ihm Halt. Zabels Bank wird vom rivalisierenden Bretton James (Josh Brolin) aufgekauft und Jake selbst weiß nicht, was die Zukunft für ihn bereithält. Ein Gedanke treibt ihn an, diejenigen zu finden, die mit Spekulationen an der Börse Zabels Bank haben Bankrott gehen lassen.
Hierfür sucht er den ehemaligen Börsenguru Gordon Gekko (Michael Douglas) auf, der seit einigen Jahren aus dem Gefängnis entlassen wieder ein freier Mann ist und sich in seinem Enthüllungsbuch der Finanzmarktsituation widmet. Gekko ist außerdem Winnies Vater, mit dem sie jedoch nichts zu tun haben möchte. Insofern haben Jake und Gordon jeweils Etwas, was der andere will: Gordon die Expertise, die Verantwortlichen hinter Zabels Zusammenbruch empfindlich zu treffen und Jake die Möglichkeit, Winnie ihrem Vater näher zu bringen. Aber trotz aller Beteuerungen, er habe sich geändert, führt Gekko mehr im Schilde, als der Frischling Jake ahnen kann ...


Kritik:
Was bewegt einen Menschen dazu, sich grundlegend zu ändern? Oder vielmehr, wie lange dauert es, bis einem Erwachsenen ein Gewissen wächst, auch wenn er ein solches bislang nie besessen hat? Regisseur Oliver Stone besucht nach 23 Jahren erneut die von ihm geschaffene und inzwischen zur Ikone gewordene Figur des Gordon Gekko, der nach einem langem Gefängnisaufenthalt alles verloren zu haben scheint. Und sich angeblich auch geändert hat. Gleichzeitig nutzt Stone die Möglichkeit, den Finanzsektor nach dem Börsen- und Bankencrash erneut unter die Lupe zu nehmen, schildert sogar, wie es zu jenem Zusammenbruch kam (immerhin spielt das meiste des Films 2008) und mit welchen Mitteln die Geldinstitute die ansässigen Regierungen um die horrenden Summen erpresst haben. Wall Street [1987] war seiner Zeit voraus mit dem Porträt eines Bankenwesens, das einzig existiert, um sich selbst zu bereichern mit Verantwortlichen, die nicht einmal mehr um des Geldes Willen an den Börsen pokern, sondern um sich die einzige Art von Kick zu verschaffen, die sie noch erregt: der Kick, anderer Leute Leben mit einem Wink zu vernichten. Wall Street - Geld schläft nicht zeigt nichts, was heute über die Skrupellosigkeit der verantwortlichen Banker nicht bereits bekannt wäre, auch wenn es hier nicht in Form einer informativen Dokumentation aufbereitet, sondern auf den Unterhaltungswert ausgelegt ist. Was dieser erneute Besuch der Wall Street jedoch vermissen lässt ist die anklagende Wut in der Stimme des Regisseurs, weswegen man seine Warnungen vor über 20 Jahren ignorierte – und weswegen nicht einmal zwei Jahre nach dem Crash die meisten Kreditinstitute wieder auf genau derselben Überholspur der nächsten Finanzblase hinterherrennen.

Nach acht Jahren im Gefängnis wird der Finanzguru Gordon Gekko im Jahr 2001 aus dem Gefängnis entlassen. Wer von seiner Familie noch übrig ist, hat sich von ihm abgewandt. Sieben Jahre später stellt er sein Buch "Ist Gier gut?" vor, in dem er die Zustände des Finanzwesens aufdeckt und mit seinen schonungslosen Enthüllungsreden große Aufmerksamkeit auf sich zieht. Er scheint sich geändert zu haben und erntet für seine Wahrheiten viel Zuspruch, auch wenn er im Finanzsektor nach wie vor als Legende gehandelt wird. Jake Moore, selbst ein Sprössling an der Wall Street und verlobt mit Gekkos Tochter Winnie, spricht ihn an, auf der Suche nach einem Weg sich an denjenigen zu rächen, die mit Spekulationen an der Börse die Bank von Moores Mentor Louis Zabel in den Ruin getrieben haben. Widerwillig geht Gekko darauf ein und verlangt im Gegenzug, dass Jake sich um eine Aussöhnung zwischen Gordon und seiner Tochter bemüht.
Was Michael Douglas, der zu einer seiner berühmtesten Rollen (und die einzige, für die er bislang einen Oscar erhalten hat) zurückkehrt, selbst mit 66 Jahren noch gelingt, ist eine Nebenfigur mit erstaunlich wenigen Szenen im Film so undurchschaubar zu gestalten, dass man ihr beinahe abkaufen würde, Gordon Gekko habe sein Leben auf den Kopf gestellt. Dass selbst die Hilfe, die er Jake anbietet nicht uneigennützig ist, versteht sich von selbst, aber doch überrascht einen die vorletzte Wendung seiner Figur im Film. Er versprüht ein Charisma, das seine Melancholie nicht ganz überspielt und veredelt zusammen mit einem getragen agierenden Frank Langella einen Cast, der ansonsten meist auf junge Darsteller baut. Man muss Oliver Stone dabei zugutehalten, dass Beziehungen der Figuren untereinander in Wall Street - Geld schläft nicht deutlich wärmer und natürlicher wirken wie vor 20 Jahren, was aber daran liegen mag, dass Stone das Drehbuch nicht schrieb. Den Autoren gelingt es hier auch, die komplexen, bisweilen sogar undurchschaubaren Verwicklungen und Zusammenhänge im Bankensektor ebenso komplex zu erzählen, so dass man als Zuseher aufmerksam bleiben muss, um bestimmte Situationen zu verstehen. Nur ist die sehr gefühlsbetonte Beziehung zwischen Jake und Winnie überbewertet und nimmt mehr Zeit in Anspruch, als ihr auf Grund des absehbaren Ausgangs hätte zugeschrieben werden sollen. Shia LaBeouf und Carey Mulligan geben sich dabei viel Mühe und entwickeln auch eine gute Chemie. Josh Brolin bekleidet eine undankbare Rolle, die letztlich auch ein wenig zu kurz kommt, doch an seiner Darbietung liegt es nicht.

Die Gewissenlosigkeit und die Absurdität der Verstrickungen jenes Milieus bringt Stone in seinem Film gut zur Geltung, auch wenn ihm jene Dringlichkeit fehlt, die den ersten Film trotz des ähnlich langsamen Erzähltempos deutlich spannender gestaltete. Geld schläft nicht erscheint länger als er ist und bleibt insbesondere am Schluss mit einer letzten Wendung ungut in Erinnerung. Nicht, weil sie Hoffnung macht, dass sich solche Menschen doch noch ändern können. Sondern weil sie angesichts der jetzigen Situation des Finanzsektors utopisch ist und schlicht nicht zu den Figuren passt. Das mag zwar den Hoffnungen der Filmemacher auf eine Besserung in den Menschen gerecht werden, verwässert aber die Aussage der Geschichte, die es außerdem versäumt, wenigstens an einem einzigen Beispiel zu zeigen, wie Existenzen der normalverdienenden Menschen durch den Bankencrash vernichtet wurden.


Fazit:
Wenn ein Gehaltsbonus über eine Million Dollar beträgt oder Investitionen in Größenordnungen von Hunderten Millionen Dollar im Spiel sind, wird deutlich wie weltfremd und surreal der Finanzmarkt tatsächlich ist. Nur fehlt Wall Street - Geld schläft nicht leider irgendeine Figur, die jene Zahlenjongleure erden würde. Regisseur Oliver Stone zeigt diese Welt ohne Bezug zur wirklichen und deckt dabei Mechanismen auf, die er vor über 20 Jahren bereits entlarvte. Neue Erkenntnisse sucht man in dem gut gefilmten und mit klugen Dialogen versehenen Drama vergebens.
Das ist zwar über die zwei Stunden hinweg Aufmerksamkeit fordernd unterhaltsam und für diejenigen, die sich nicht tiefer mit der Materie beschäftigt haben oberflächlich lehrreich. Aber trotz der guten Darsteller nur stellenweise bissig, in der Konsequenz nicht kompromisslos wütend genug und zusätzlich mit einer unpassenden, zu milden Auflösung versehen. Beinahe, als hätte Oliver Stone die erschreckende Wahrheit nicht wahrhaben wollen. Nämlich dass man ein Gewissen abtrainieren und verkümmern lassen, aber nicht aus dem Nichts ein neues wachsen lassen kann. So etwas geht wohl nur im Film.