Was ist Liebe wert – Materialists [2025]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 30. Juli 2025
Genre: Liebesfilm / Drama

Originaltitel: Materialists
Laufzeit: 116 min.
Produktionsland: USA / Finnland
Produktionsjahr: 2025
FSK-Freigabe: ab 0 Jahren

Regie: Celine Song
Musik: Daniel Pemberton
Besetzung: Dakota Johnson, Chris Evans, Pedro Pascal, Zoë Winters, Marin Ireland, Dasha Nekrasova, Louisa Jacobson, Sawyer Spielberg, Eddie Cahill, Joseph Lee, John Magaro, Baby Rose


Kurzinhalt:

Die exklusive Partnervermittlerin Lucy (Dakota Johnson) ist überaus erfolgreich in ihrem Beruf und im Privaten mehr als zufriedener Single. Wie ihre Klientinnen und Klienten, die sie mitunter auf der Straße anspricht und ihre Visitenkarten verteilt, hat sie genaue Vorstellungen eines Partners, den sie heiraten würde, wobei die Ehe für sie nicht mehr ist als eine geschäftliche Übereinkunft. Aus dem Grund hat sie sich auch einst von dem mittellosen Schauspieler John (Chris Evans) getrennt, den sie auf einer Hochzeitsfeier ihren Klientin überraschend wiedersieht. Auf eben dieser Feier lernt sie auch den wohlhabenden Harry (Pedro Pascal) kennen, der sie wiederholt um ein Date bittet. Auf dem Papier sind Lucy und Harry ein perfektes Match, doch je ernster die Beziehung wird, umso mehr kommen Lucy Zweifel, ob ihre mathematischen Gleichungen von Dating und Liebe so stimmen, wie sie es sich selbst weiszumachen versucht …


Kritik:
In ihrer Dekonstruktion moderner Dating-Kultur erzählt Filmemacherin Celine Song sowohl einen Liebesfilm als auch ein Drama um drei Menschen auf der Suche nach der einen Person, mit der sie ihr Leben verbringen wollen. Doch während Was ist Liebe wert – Materialists der Blick auf diese Industrie, in der zu matchende Klienten pures Kapital sind, überaus treffend gelingt, vermag der romantische Aspekt der Geschichte nie zu packen. Die Beteiligten entschädigen dafür immerhin.

Im Zentrum steht die alleinlebende Lucy, die zwar die erfolgreichste Partnervermittlerin der New Yorker Matchmaking-Agentur Adore, aber selbst davon überzeugt ist, entweder allein zu sterben, oder immens reich zu heiraten. Neun Pärchen, die sie vermittelt hat, haben sich inzwischen das Jawort gegeben und bei einer solchen Hochzeit trifft sie nicht nur auf ihre Ex-Freund John, einen glücklosen Schauspieler, der sich als Kellner einer Cateringfirma etwas dazuverdient, sondern auch den wohlhabenden Single Harry. Der ist zwar merklich älter, aber spürbar an Lucy interessiert, die in ihm eingangs lediglich einen neuen Klienten sieht. Lucy lässt sich auf Dates mit Harry ein und beginnt eine Beziehung mit ihm. Doch je ernster die Beziehung wird, umso mehr kommen in ihr Zweifel auf, ob sie doch ein so gutes Match sind, wie es auf dem Papier scheint.

Das ist immerhin Lucys täglich Brot, die Vorstellungen und Wünsche ihrer verschiedensten Klientinnen und Klienten zu vergleichen, Kriterien gegenüber zu stellen und diejenigen mit der größten Übereinstimmung (Match) miteinander zu verkuppeln. Die Ansprüche ihrer Kundschaft könnten dabei kaum spezifischer sein: Alter, Größe, Gewicht, Einkommen, Haarfarbe oder Interessen, Religion, politische Überzeugung, Bildungsstand, Hautfarbe und Haustiere sind alles Kriterien, die erfüllt werden wollen. Manche bringen sogar eine ganze Liste ihrer Vorstellungen mit, und erwarten, dass Lucy die richtige Partnerin bzw. den richtigen Partner findet. Es ist eine Potentierung der filterbasierten Dating-Apps, inspiriert von der vermeintlich perfekten Welt, die Menschen in den Sozialen Medien vorfinden und die suggeriert, dass nicht nur alles verfügbar ist, sondern man sich den anderen Menschen im Leben nach den persönlichen Wünschen bestellen kann. Das geht soweit, dass diejenigen, die es sich leisten können, unter anderem ihr Aussehen dem anpassen, was ihnen den größten Marktwert verleiht, während diejenigen, die in keinem Bereich herausstehen, so gut wie unvermittelbar sind. Das Matchmaking ist für Lucy nicht viel mehr als Mathematik, eine Gleichung, die gelöst werden will. Dating ist ihrer Auffassung nach der schwere Teil, Liebe hingegen einfach, gewissermaßen eine logische Konsequenz, wenn alle Kriterien soweit erfüllt werden. Die Kritik in Materialists richtet sich gleichermaßen an die Industrie, der Lucy angehört, wie an die Menschen selbst, die sich von diesem Schubladendenken beherrschen lassen.

Unvermittelt findet sich Lucy in der Situation wieder, dass sie nicht die Vermittelnde, sondern Teil der Gleichung ist. Harry ist ebenso direkt und spezifisch in dem, was er von seiner Partnerin erwartet und weshalb er an Lucy interessiert ist, wie sie in ihrer Feststellung, dass er jemand besseres haben könnte, als sie. Aber obwohl die Beziehung auf den ersten Blick alles zu erfüllen scheint, was sie sollte, stellt sich eines zwischen ihnen nicht ein. Wohin dies führen wird, wenn sich eine kalt auftretende, distanzierte Partnervermittlerin zwischen einem reichen Mann und einem beinahe mittellosen Schauspieler entscheiden soll, wird wohl niemanden überraschen. Gegen eine romantische Geschichte wäre auch nichts einzuwenden. Aber während Celine Song viele tolle Beobachtungen findet, die die Dating-Kultur betreffen, gelingt ihr selbiges mit der Lovestory leider nicht. Es scheint vielmehr, als würde sie sich der Liebe mit derselben analytischen Herangehensweise nähern, wie Lucy der Partnervermittlung. Sei es mit John oder mit Harry, Lucys Interaktionen wirken stets reserviert und zurückhaltend, als würde sie Vor- und Nachteile abwägen, ohne dabei etwas zu empfinden. Einen Moment der Leidenschaft sucht man in Materialists vollkommen vergebens.

Das macht es nur ziemlich schwer, mit den Figuren mitzufühlen. Wenn man nicht den Eindruck erhält, als würde ihr persönliches Glück von ihren Entscheidungen abhängen, weshalb sollten ihre Entscheidungen dann etwas bedeuten? Filmemacherin Celine Song fängt ihre Geschichte in chicen Bildern ein und präsentiert eine Besetzung, die kaum passender für das Thema der exklusiven Dating-Welt gewählt sein könnte. Doch zwischen Lucy und Harry entwickelt sich ebenso wenig eine Chemie wie sie zwischen Lucy und John existiert. Was vor allem John in ihr sieht, weshalb er in sie verliebt ist, wird nie deutlich oder greifbar. Da hilft auch ein inhaltlich vollkommen überflüssiger Rückblick in ihre gemeinsame Zeit nicht weiter, ebenso wenig wie zwei Abschnitte, die Höhlenbewohner mit demselben Drang zur menschlichen Bindung wie heute zeigen. Materialists präsentiert einen nüchternen Blick auf die Themen im Zentrum, bei dem eines völlig außen vor bleibt: Gefühl.


Fazit:
Mit Liebe kenne sie sich nicht aus, sagt Lucy in einem Moment, aber mit Dating. Sie verdankt ihrem Job dem Umstand, dass ihre Klientel genau damit keine Zeit verschwenden will, mit dem Prozess des Kennenlernens, der Suche nach der richtigen Person. Gleichzeitig sind sie der Überzeugung, sie haben ein Anrecht auf eine Partnerin oder eine Partner, der alle Kriterien erfüllt, die sie verlangen. Ihre spezifischen Vorstellungen wären nicht mehr als der Mindeststandard. Lucy, die nicht nur ihre Kundschaft in Marktwerte unterteilt, ergeht es gleich, ihre Ansprüche sind nicht geringer. In diesen Beobachtungen und der unverhohlenen Kritik an einer Gesellschaft, in der sich so viele Menschen über Soziale Medien wie eine Ware präsentieren, sich Schönheitsidealen anpassen und Konventionen nacheifern, trifft Filmemacherin Celine Song den Nagel auf den Kopf. Menschen lassen sich nicht in Kriterien einteilen und mit differenzierten Dialogen entlarvt sie so die Oberflächlichkeit sowie Fadenscheinigkeit, derer sich auch Lucy bei ihren Kundinnen und Kunden bewusst ist. Aber obwohl es sie sichtbar mitnimmt, als eine ihrer Klientinnen bei einem Date sexuell genötigt wird, als Person bleibt Lucy zu distanziert. Wie sie erscheint jeder Konflikt in der Erzählung gedämpft und bricht nie heraus. Ebenso solide gespielt wie in Szene gesetzt, fällt es im Gegensatz zu den kritischen Aussagen Was ist Liebe wert – Materialists merklich schwer, eine Liebesgeschichte zu erzählen. Zu verkopft versuchen die Verantwortlichen, sich der Romantik mit einer nüchternen Erklärung zu nähern. Das Ergebnis lässt einen ebenso kalt, wie es ohne Überraschungen auskommt.