Die Farben der Zeit [2025]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 29. Juli 2025
Genre: Unterhaltung

Originaltitel: La venue de l’avenir
Laufzeit: 124 min.
Produktionsland: Frankreich / Belgien
Produktionsjahr: 2025
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Cédric Klapisch
Musik: Robin Coudert
Besetzung: Suzanne Lindon, Abraham Wapler, Vincent Macaigne, Julia Piaton, Zinedine Soualem, Paul Kircher, Vassili Schneider, Sara Giraudeau, Cécile de France, Olivier Gourmet, Fred Testot, Claire Pommet, François Berléand, Philippine Leroy-Beaulieu, Vincent Perez, Raïka Hazanavicius, Louise Pascal, François Chattot


Kurzinhalt:

Für die mehr als zwei Dutzend Personen umfassende Erbengemeinschaft ist das Landhaus in der Normandie, das ihrer Urahnin gehörte, wenn überhaupt ein fremdes Vermächtnis. Es soll abgerissen werden, damit dort auf dem Gelände ein Einkaufszentrum mit tausenden Parkplätzen entstehen kann. Um sich einen Überblick zu verschaffen, werden vier entfernte Verwandte bestimmt, die das Anwesen in Augenschein nehmen sollen. Fotograf und Content-Creator Seb (Abraham Wapler), Ingenieurin Céline (Julia Piaton), Lehrer Abdel (Zinedine Soualem) und Imker Guy (Vincent Macaigne). Sie alle bringen ihre eigene Perspektive mit, finden in dem seit 1944 verschlossenen Haus jedoch eine wahre Schatzkammer an Erinnerungsstücken vor. Als sie beginnen, das Mosaik aus Gemälden, Fotos, Briefen und mehr zusammenzusetzen, erkennen sie die Geschichte der damals 21 Jahre jungen Adèle Munier (Suzanne Lindon), die Ende des 19. Jahrhunderts nach Paris auszog, ihre Mutter zu suchen. Was sie in einer Stadt im Umbruch fand, hat den Kurs ihres Lebens für immer verändert und den ihrer Familie gewissermaßen mitbestimmt …


Kritik:
Es fällt lange Zeit schwer einzuschätzen, was für eine Geschichte Filmemacher Cédric Klapisch mit Die Farben der Zeit eigentlich erzählen möchte und es gibt sogar einen Punkt, an dem die Erzählung das Publikum beinahe verliert mit einer transzendentalen Sequenz, bei der man sich beim Kopfschütteln ertappt. Doch im letzten Drittel verbinden sich die verschiedenen Aspekte und finden eine Aussage, die nachwirkt. Das wiegt diejenigen Teile nicht auf, die nur schwer zusammenpassen, aber es entschädigt für Vieles.

Den Rahmen der Erzählung bildet eine Erbengemeinschaft, die in den Besitz eines verlassenen Landhauses in der Normandie kommt. Vier Personen der Gemeinschaft werden ausgewählt, das Landhaus zu besichtigen und zu beraten, was fortan damit geschehen soll. Darunter der Imker Guy, Lehrer Abdel, die Ingenieurin Céline und der Fotograf und Content-Creator Seb. Während Seb und Céline zu Beginn wenig begeistert sind, scheinen Guy und Abdel davon angetan, ihren Stammbaum zu erkunden, der mehrere Dutzend Personen umfasst und auf die Besitzerin des Hauses, Adèle Munier, zurückzuführen ist. Während sie sich mit den Fotografien und Besitztümern beschäftigen, tauchen sie ein in die Welt der jungen Frau, die im Jahr 1895 mit 21 Jahren nach Paris aufbrach, auf der Suche nach ihren eigenen Wurzeln. Was sie fand, hat ihr Leben für immer verändert, selbst wenn es sie letztlich zu ihren Anfängen zurückgeführt hat.

Man könnte nun vermuten, dass Die Farben der Zeit die Rahmenhandlung tatsächlich als solche verwendet, wenn beispielsweise die Genealogin zu Beginn von der Urahnin der zahlreichen Erbinnen und Erben erzählt, so dass die eigentliche Geschichte im späten 19. Jahrhundert spielt. Tatsächlich jedoch verharrt die Erzählung in der heutigen Zeit und springt, wenn Seb, Céline, Guy und Abdel Hinterlassenschaften, Fotografien, Gemälde oder Briefe im Landhaus vorfinden, immer wieder über ein Jahrhundert zurück, um zu zeigen, wie Adèle damals gelebt und welche Ziele sie verfolgt hat. Die junge Frau steht nach dem Tod ihrer Großmutter, bei der sie aufgewachsen ist, trotz ihres Besitzes vor dem Nichts. Darum verabschiedet sie sich von ihrer Liebe Gaspard und macht sich auf nach Paris, wo sie ihre Mutter finden will, die ihr regelmäßig Geld geschickt, sie aber nie besucht hat. In der Frau Odette findet Adèle nicht die Mutter, die sie erwartet hat. Dafür trifft sie auf den Maler Anatole und den Fotografen Lucien, die ihr beide zugetan sind.

Ist die Erbengemeinschaft auf der Suche nach ihrer Herkunft, geht es Adèle insoweit nicht anders, die sich im weiteren Verlauf auch bemüht, ihren Vater ausfindig zu machen. Und wie Adèles Mutter Odette die Bekanntschaft eines Malers und eines Fotografen gemacht hatte, ergeht es ihrer Tochter nunmehr gleich. Die Farben der Zeit wechselt stellenweise an denselben Orten zwischen den verschiedenen Zeitebenen, zeigt so auf, dass die Nachfahren jener jungen Frau dieselben Straßen entlang gehen oder an denselben Orten verweilen. Regisseur Klapisch zelebriert Paris als eine Stadt voller Geschichte, in der sich so vieles verändert hat in mehr als einhundert Jahren, aber doch so viel noch gleich geblieben ist. Doch anstatt dies wahrzunehmen, die Welt und den Hintergrund aufzunehmen und den eigenen Platz darin zu suchen, verbringen die Menschen heute lieber Zeit, sich vor diesem Hintergrund selbst in Szene zu setzen. Wenn sie wie zu Beginn in einem Museum vor Malereien eines impressionistischen Meisters Selfies aufnehmen oder ein Fotoshooting mit Seb als Fotografen stattfindet, bei dem doch das Individuum im Zentrum steht. Der Filmemacher lädt hier ein, zurück zu treten, den Blick zu erweitern und so eine neue Perspektive auch für die Zukunft zu gewinnen. Das klingt belehrend und wirkt sich vor allem darin aus, dass die jeweiligen Aspekte der Story unübersehbar gespiegelt werden, bis eine Figur am Ende die Erkenntnisse sogar zusammenfassen darf. Doch das ändert nichts daran, dass sie inhaltlich durchaus wichtig sind.

Bedeutung sollen dem auch die vielen bekannten Persönlichkeiten aus der Kunstszene verleihen, die sich hier buchstäblich die Klinke in die Hand geben. Es ist ein Reigen historischer Figuren, der die zweite Hälfte förmlich für sich einnimmt und mitunter etwas dick aufgetragen wirkt. Aber es unterstreicht auch, wie reichhaltig die Geschichte jener Zeit und jener Stadt tatsächlich ist, in der so vieles im Umbruch war. Adèles Nachfahren müssen entscheiden, ob sie diese Geschichte bewahren, oder sie verscherbeln wollen und damit auch einen Teil ihrer eigenen Identität. Das klingt abgedroschen und zu Beginn vermag man kaum einzuschätzen, was dies bedeuten soll. Aber auch wenn die vielen Figuren, von denen die wenigsten wirklich zur Geltung kommen, nie emotional derart mitnehmen, wie die Erzählung es beabsichtigt, was sie drohen zu verlieren, hebt Die Farben der Zeit am Ende doch greifbar hervor. Unbestritten hätte man dies mit den verschiedenen Zeitebenen besser ausbalancieren können, zumal manche Sprünge nur ein paar Sekunden dauern, und auch die angerissenen Themen wirken oft holzschnittartig, anstatt wirklich zu Ende erzählt. Insbesondere, wenn es um Adèles Weg in jener großen Stadt geht. Aber nicht nur wer einmal in Paris oder der Normandie war, wird hier viel wiedererkennen. Wer in das eigene Familienalbum schaut, wird sich mitunter gleichermaßen fragen, was diese Bilder erzählen könnten, hätten sie eine Stimme. Vielleicht muss man aber auch nur genauer hinhören.


Fazit:
Wenn man etwas über die eigene Familie herausfindet, findet man auch etwas über sich selbst heraus. So wundert es nicht, dass Regisseur Cédric Klapisch seine ruhig erzählte Geschichte mit Parallelen zwischen den Figuren spickt. Dadurch, dass dies gut gespielt und handwerklich tadellos umgesetzt ist, sieht man auch darüber hinweg, wie offensichtlich der Regisseur auf seine Botschaft hinweist. Aber gerade, nachdem der Abschnitt eines Schamanenritus die ohnehin nicht sehr geschmeidig auf mehreren Zeitebenen erzählte Story vollends von der Realität entkoppelt, wird deutlich, was hier eigentlich im Fokus steht. Es ist die Geschichte einer Frau, die Spuren hinterlassen hat und aus Adèles Sicht die Höhen und Tiefen ihres Weges beschreibt. Zu Beginn kann sie weder lesen noch schreiben und ist auf der Suche nach ihrem Ursprung. Ihre Reise wird sie in ihre Zukunft führen. Die zweite Erzählebene lädt das Publikum ein, es ihr gleich zu tun. Insoweit ist Die Farben der Zeit nicht nur ein Porträt einer jungen Frau in Paris zum Ende des 19. Jahrhunderts, sondern ein Appell, nicht nur nach vorn zu blicken, sondern ein Verständnis dafür zu entwickeln, wie wir hierhin gekommen sind. Schön bebildert und toll ausgestattet, wirkt dies beinahe musisch und entschleunigend. Aber inhaltlich dennoch nicht fokussiert genug, mit zwei Erzählebenen, die nicht ansatzweise so zusammenhängen, wie suggeriert wird, und mit mehr Charakteren und geschichtlicher Verweise versehen, inklusive historischer Figuren, als tatsächlich zur Geltung kommen. Dass der Abschluss die eigentliche Rahmenhandlung nicht einmal zu Ende erzählte, passt sprichwörtlich ins Bild.