Vogelperspektiven [2023]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 27. November 2022
Genre: DokumentationLaufzeit: 106 min.
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung
Regie: Jörg Adolph
Musik: Acid Pauli
Personen: Bärbel Wossagk (Erzählerin), Dr. Norbert Schäffer, Arnulf Conradi, Toni Wegscheider
Hintergrund:
Es ist auch ein persönlicher Erfolg für Vogelkundler Dr. Norbert Schäffer, der als Vorsitzender des Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V. (LBV) jahrelang für ein Volksbegehren gekämpft hat, dass Artenschutz und Artenvielfalt in den Köpfen der Menschen und der Politik verankert. Doch selbst politische Richtungsentscheidungen sind nur ein erster Schritt, wie Schäffer und auch Vogelbeobachter und ehemaligem Verleger Arnulf Conradi bekannt ist, sind Vögel doch nicht nur die frühesten Boten der dramatischen Änderungen, die die Menschen dem Klima zufügen, sie sind ebenso integraler Bestandteil unseres Ökosystems. Die immer bedrohteren Arten der heimischen Vögel zu schützen, ist ebenso Aufgabe des LBV, wie bereits ausgestorbene Bestände wiederzubeleben. Bei dieser Arbeit werden die Verantwortlichen durch Dokumentarfilmer Jörg Adolph begleitet.
Kritik:
Aufnahmen von Vogelschwärmen, die sich wie Bänder strecken und zusammenziehen, sind Eindrücke in Jörg Adolphs Vogelperspektiven, die in Erinnerung bleiben.Tatsächlich würde man genau dies bei dem Titel auch erwarten, doch der Dokumentarfilm mutet nur teilweise wie ein Porträt des Vogelbeobachters und Verlegers Arnulf Conradi an, der hier auch vorgestellt wird. In überwiegendem Maße begleitet er stattdessen die tägliche Arbeit des Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V.. Das ist nicht uninteressant, aber nicht wirklich, was der Titel verheißt.
Immer wieder begleiten Zitate aus Conradis Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung [2019] die gezeigten Bilder von heimischen Vogelarten und erwecken so ein Gefühl dafür, was Menschen seit Jahrhunderten an den fliegenden Geschöpfen um uns herum derart fasziniert. Doch diese Einblicke rücken in den Hintergrund, wenn Vogelperspektiven den eigentlichen Fokus auf einen anderen Aspekt legt. Zu Beginn des Jahres 2019 fand in Bayern ein Volksbegehren „Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern“ unter dem Motto „Rettet die Bienen“ statt. Mitgetragen wurde das Begehren durch den Landesbund für Vogelschutz (LBV), dessen hauptamtlicher Vorsitzender Dr. Norbert Schäffer die zentrale Person ist, dessen Arbeit Regisseur Adolph beleuchtet. Er zeigt den LBV bei seiner täglichen Arbeit, den Gesprächen auf politischer Ebene bis hin zu Ministerpräsidenten und Ministerinnen, im Dialog mit anderen Verbänden und nicht zuletzt dem Bemühen, dem Artenschutz und der Bedrohung der Artenvielfalt Aufmerksamkeit zu verleihen.
In dem Zug begleitet Vogelperspektiven das Projekt, bei dem zwei Bartgeier im Nationalpark Berchtesgaden ausgewildert wurden, zeigt den LBV, der in Privathäusern gegen Vorurteile argumentiert, die Fledermäusen entgegengebracht werden, und wie er sich an Schutzmaßnahmen für Bodenbrüter beteiligt, die inzwischen sehr rar geworden sind. Das wäre als Dokumentation über den LBV selbst durchaus wissenswert, nur fehlt bei der inhaltlichen Gewichtung in gewisser Hinsicht ein roter Faden. Immer wieder werden faszinierende Aufnahmen von Vögeln gezeigt, die teils unter Wasser auf Futtersuche sind, oder Jagdtieren, die hoch in der Luft Ausschau nach ihrer Beuten halten. Die teils großen, majestätischen Tiere in ihrer Detailfülle zu sehen, ist eindrucksvoll wie Ehrfurcht gebietend, und auch Zeitlupenaufnahmen wie diejenigen der Fledermäuse, auf die in Anbetracht der Coronavirus-Pandemie eine regelrechte Hexenjagd eröffnet wurde, die weder angebracht, noch sinnvoll ist, sind faszinierend. Aber gerade die vielen Momente, in denen die Kamera auf Plakaten oder Warnschildern verharrt, die mit der Pandemie in Zusammenhang stehen, sind im Grunde doch nur entfernt mit dem eigentlichen Inhalt verwandt.
Dass die Gefahr von Krankheiten, die von Tier auf Mensch überspringen, dann umso mehr zunimmt, wenn die Menschen den Tieren den Lebensraum immer weiter nehmen, wird nicht einmal angesprochen. Dass sich der Dokumentarfilm mit Maßnahmen um den Klimaschutz beschäftigt und beispielsweise aufzeigt, wie viel unfassbare Mengen Torf verloren und damit CO2 freigesetzt wurde, ist Augen öffnend – aber die inhaltliche Verbindung mit dem Artenschutz wird nicht wirklich hergestellt. So wirkt Vogelperspektiven unfokussiert, stellt verschiedene Aspekte vor, ohne sie auszubalancieren oder ihre Verbindungen wirklich zu unterstreichen. Dass mehrere Personen hier als Erzähler auftreten, sich dabei in gewissem Maße aber jeweils nur selbst repräsentieren, so wie Conradi, der aus seinem Buch erzählt und Schäffer, der über seine Arbeit spricht, verwundert. Es gibt Dokumentarfilme, in denen die darin vorgestellten Personen durch ihre Schilderungen die Erzählung tragen, doch so strukturiert erscheint Jörg Adolphs jüngstes Werk nicht. Im Gegenteil, hört man die zahlreichen Pressemitteilungen des LBV, die hier vorgelesen werden, und erzählt ihr Vorsitzender, selbst wenn er mit anderen Personen gezeigt wird, meist doch nur monologartig von seinen Erfahrungen, dann wirken die Aufnahmen von zahlreichen heimischen Vogelarten, die hier namentlich vorgestellt werden, als wären sie die Beigabe, statt die Hauptzutat.
Das schmälert nicht das Engagement oder die Leistung der hier vorgestellten Personen, aber es ist letztlich doch nicht die Art Dokumentarfilm, die man insbesondere in Anbetracht des Filmtitels erwartet. Wollte Filmemacher Jörg Adolph zudem ein Porträt des LBV zeichnen, wäre es dann nicht angebrachter, von außen auf den Verein zu blicken, anstatt diesen ausschließlich für sich selbst sprechen zu lassen? So wirkt Vogelperspektiven oftmals mehr den Personen, als der Sache verhaftet. Wie angemessen und ggf. journalistisch distanziert das ist, muss jeder für sich entscheiden.
Fazit:
Wer sich nicht über Vogelperspektiven informiert, wird in Anbetracht des Titels vermuten, dass die gefiederten Geschöpfe selbst in dessen Zentrum stehen. Doch das trifft nur bedingt zu. Zwar beleuchtet Regisseur Jörg Adolph die Faszination des Vögelbeobachtens, doch nimmt dies nur einen kleinen Teil seines Dokumentarfilms ein. Ebenso die Titel gebenden Tiere selbst, die in Atem beraubenden Aufnahmen gezeigt oder deren Gesänge vorgestellt werden, die man selbst meist nur im Hintergrund wahrnimmt, ohne die unsere Welt aber so stumm wie trist wäre. Inhaltliche Ausflüge wie diejenigen zu den Klimaprotestbewegungen wirken nur bedingt zusammengehörig und den vorgestellten Projekten des Vogelschutzes von Bayern bis nach Helgoland fehlt in gewisser Hinsicht ein erzählerischer roter Faden. So bleiben, den teils fantastischen Aufnahmen zum Trotz, mahnende Worte zum Erhalt der biologischen Artenvielfalt am Ende überwiegend aus. Im Zentrum steht das Porträt des LBV, dessen täglichen Arbeit durch eingeblendete Social Media-Mitteilungen und Pressemeldungen veranschaulicht wird. Das ist nicht uninteressant, aber auch in Anbetracht der hier getroffenen Aussagen, dass Vögel die Auswirkungen der Klimakatastrophe als erste widerspiegeln und die Bestände insbesondere der heimischen Arten stark gefährdet sind, stellt sich die Frage, ob Adolph den Fokus auf das drängendste Thema legt.