Touch [2024]

Wertung: 3.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 7. Juli 2024
Genre: Drama / Liebesfilm

Originaltitel: Touch
Laufzeit: 121 min.
Produktionsland: Island / Großbritannien
Produktionsjahr: 2024
FSK-Freigabe: noch nicht bekannt

Regie: Baltasar Kormákur
Musik: Högni Egilsson
Besetzung: Egill Ólafsson, Palmi Kormákur, Kôki, Masahiro Motoki, Yôko Narahashi, Ruth Sheen, Masatoshi Nakamura, Meg Kubota, Tatsuya Tagawa, Charles Nishikawa, Starkaður Pétursson, Siggi Ingvarsson, Akshay Khanna, Kieran Buckeridge, Brandy Row, Eiji Mihara


Kurzinhalt:

Nach dem Tod seiner Ehefrau Inga (María Ellingsen) könnte Kristófer (Egill Ólafsson) in ein tiefes Loch fallen. Doch als sein Arzt ihm rät, Dinge zu regeln, die er in Ordnung bringen will, selbst wenn die genaue Diagnose noch aussteht, sucht Kristófer in seinen Unterlagen nach dem Namen der Frau, die er vor mehr als 50 Jahren in London kennenlernte: Miko (Kôki). Damals war Kristófer (Palmi Kormákur) Student und derart von Miko fasziniert, dass er sein Studium abbrach, nur um ihr als Tellerwäscher im Restaurant ihres Vaters Takahashi (Masahiro Motoki) nahe zu sein. Nun, um ein Leben voller Erfahrungen reicher, macht sich Kristófer auf, Miko in Japan zu finden und erinnert sich währenddessen an die Zeit, die sie gemeinsam miteinander verbracht haben. Wie sie einander näher gekommen sind – ehe seine große Liebe spurlos aus seinem Leben verschwand …


Kritik:
Basierend auf dem gleichnamigen Roman des isländischen Autors Ólafur Jóhann Ólafsson aus dem Jahr 2020, erzählt Filmemacher Baltasar Kormákur in Touch die Geschichte des Witwers Kristófer, der sich aufmacht, die Frau zu finden, in die er vor mehr als einem halben Jahrhundert verliebt war und deren Erinnerung ihn nie verlassen hat. So romantisch und durchaus melancholisch sich diese interessante Suche anhört, ob die inhaltlichen Lücken der Vorlage oder der Adaption geschuldet sind, lässt sich nicht sagen. Sie machen das Gezeigte aber weit weniger einprägsam, als erwartet.

Das liegt zumindest teilweise auch an der erzählerischen Struktur von Touch, dessen Geschichte auf mehreren Zeitebenen zum Leben erweckt wird. Ausgehend von dem frisch verwitweten Kristófer, der sich zu Beginn seiner Reise vom Bild seiner verstorbenen Frau mit den Worten „vergib mir“ verabschiedet, springt die Erzählung mitunter wenige Wochen oder Monate (deutlich wird das nicht) zurück, als Kristófer sich ärztlichen Rat einholt, denn er bemerkt Veränderungen an sich. An seiner nachlassenden Motorik und insbesondere seinem Gedächtnis, dem er selbst nicht mehr traut. Das Ergebnis einer entscheidenden Untersuchung wartet er jedoch nicht ab, sondern steigt gerade dann in das Flugzeug von Reykjavik nach London, als die Grenzen auf Grund der Einschränkungen der Corona-Pandemie geschlossen werden. In London ist er auf der Suche nach dem Restaurant, in dem er vor 51 Jahren als Tellerwäscher arbeitete, als er zufällig der Studentin Miko begegnet und vollkommen von ihr fasziniert war.

Dass die Schilderung des Kennenlernens von Kristófer und Miko einen großen Teil des Films einnimmt, überrascht nicht und es wäre kein Kritikpunkt, wenn die zeitlichen Sprünge, die Touch immer wieder vollführt, inhaltlich nachvollziehbar geordnet wären. Aber während das Kennenlernen und Verlieben der jungen Miko und des jungen Kristófer nach und nach gezeigt werden, unterbrechen Momente in der jetzigen Zeit die Liebesgeschichte ebenso, wie Sprünge einige Jahre zurück, als Kristófer mit seiner Frau Inga an einer Eheberatung teilnahm, oder er ihr zusah, wie sie im Garten arbeitete. Nur so sehr Filmemacher Kormákur Miko und Kristófer als Figuren definiert, so wenig wird Inga, die Frau, mit der Kristófer jahrzehntelang verheiratet war, überhaupt vorgestellt.

Ist Egill Ólafssons Auftritt als der gealterte Kristófer, insbesondere im Gegensatz zur konturlosen Verkörperung des jungen Kristófer durch Palmi Kormákur, überaus charismatisch, ergibt seine Filmfigur gerade in Anbetracht dessen, was das Publikum hier in Rückblenden miterlebt, keinen großen Sinn. Als Student verliebt sich Kristófer in Miko derart auf den ersten Blick, dass er sein Wirtschaftsstudium an den Nagel hängt und im japanischen Restaurant „Nippon“ ihres Vaters Takahashi als ungelernte Küchenhilfe zu arbeiten beginnt. Es dauert lange, ehe sich Miko und Kristófer näher kommen. Wenn es schließlich geschieht, zaubert einem das zarte Band dieser zwei jungen Menschen, ihre Annäherung und die Zärtlichkeit, mit der sie einander begegnen, ein Lächeln ins Gesicht. Gleichzeitig rückt dieses Glück die Frage ins Zentrum, was geschehen ist, dass sie letztlich ein Leben getrennt voneinander verbracht haben.

Die Antwort überrascht und gerät dabei für Miko, die oft eine Aura der Traurigkeit umgibt, persönlicher, als man vermuten würde. Doch wird dieses Mysterium nicht nach und nach aufgelöst, sondern baut sich gewissermaßen bis 20 Minuten vor Ende auf und wird in einem langen Gespräch zum Schluss erläutert. Dadurch werden zwar einige Momente in ein anderes Licht gerückt, doch es erklärt nicht, weshalb Kristófer nie auch nur versucht hat, die Liebe seines Lebens dazu zu bewegen, sich ihm anzuvertrauen. Mehrmals, wenn ihre Gespräche persönlich werden, lenkt sie ab, greift im Zweifel zu Sex, um keine Antwort geben zu müssen – doch Kristófer schweigt. Es ist ein Verhalten, das noch unverständlicher ist, sieht man den jungen Mann kurz zuvor mit seinen Kommilitonen argumentieren.

Viele dieser Ansätze verfolgt Touch schlicht nicht weiter. Weder Kristófers Werdegang, nachdem die Beziehung mit Miko einst zerbrach, noch seine Ehe mit Inga, die Beziehung zu seiner Tochter, die sich Sorgen um ihn macht und die er bewusst und unbewusst ignoriert. Dabei ist sie nie zu sehen, sondern lediglich am Telefon zu hören. Nicht einmal, ob Kristófers Diagnose für ihn eine weitere Rolle spielt, wird erwähnt. Stattdessen wird gezeigt, wie er sich in dem Tattoo-Studio, das inzwischen dort beheimatet ist, wo einst das „Nippon“ stand, ein Tattoo stechen lässt, oder wie er mit einem japanischen Mann in eine Karaokebar geht. Nicht einmal die dargestellten Einschränkungen der Corona-Pandemie sind in irgendeiner Art und Weise für die Geschichte notwendig. Es sind Elemente, die wenn, dann die Geschichte an manchen Stellen „reicher“, detailreicher machen, während die Charaktere kaum definiert werden.

Das macht es unerwartet schwer, Baltasar Kormákurs Touch einzuordnen. Einerseits ist die Ausgangsidee nicht uninteressant und der tatsächliche Hintergrund der Trennung, die Einarbeitung gesellschaftlicher Stigmata, durchaus gelungen. Doch wenn auch am Ende bei keiner der vorgestellten Figuren deutlich wird, wie viel sie von dem, was geschehen ist, bereuen, oder wie sehr die Ereignisse ihre Leben beeinflusst haben, dann fällt es schwer, mit ihnen mitzufühlen. Das schmälert nicht die einfühlsamen Momente der Liebesbeziehung in der zurückliegenden Erzählebene, oder das geradezu einnehmende Charisma der gealterten Personen. Es macht nur deutlich, dass beides deshalb schwer zusammenpasst, weil das Drehbuch das halbe Jahrhundert, das dazwischen liegt, schlicht ausblendet.


Fazit:
Wird Kristófer im letzten Drittel der Geschichte gefragt, ob er ein schönes Leben hatte, antwortet er, dass er sich nicht beklagen könne. Das ist eine Aussage, aber keine Antwort und sie unterstreicht, dass Baltasar Kormákur, der auch an der Drehbuchvorlage mitschrieb, ein ganzes Leben für seine Hauptfigur vorgesehen hat, das zwischen den beiden Erzählsträngen in den 1960er-Jahren und dem Jahr 2020 liegt. Doch hierüber verliert der Film nur wenige Bilder und Kristófer selbst kein Wort. Wie diese Ebenen miteinander verbunden sind, erscheint kaum strukturiert. Manche Momente in der aktuellen Zeitebene dauern nur Sekunden und die Rückblicke, als sich Kristófer und Miko kennenlernten, werden nicht durch Eindrücke oder Erlebnisse in Kristófer hervorgerufen, sondern geschehen einfach so. Werden Ideen wie eine mögliche Erkrankung Kristófers eingestreut, würde man vermuten, dass sich das auswirkt, doch dem ist nicht so. Touch wartet mit schönen Bildern, einigen zärtlichen Szenen der beiden jungen Protagonisten und einer Erzählung auf, die sich viel Zeit für sie nimmt. Doch verzettelt sich diese in Details, die nirgendwo hin führen, anstatt auf ein Ziel in der Geschichte hinzuarbeiten. Man möchte Kristófer fragen, wie verletzt er war durch Mikos Weggang, wie er sein Leben danach in den Griff bekam und ob er Inga je geliebt hat. Es sind Fragen, auf die es keine Antworten gibt, weil sie nie gestellt werden. Sein Leid zu fassen, oder mit ihm mitzufühlen, aus dessen Sicht die Geschichte überwiegend geschildert ist, fällt so nur überaus schwer. Schade.