Tolkien [2019]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 27. April 2019
Genre: Drama / Biografie

Originaltitel: Tolkien
Laufzeit: 112 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2019
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Dome Karukoski
Musik: Thomas Newman
Darsteller: Nicholas Hoult, Lily Collins, Harry Gilby, Mimi Keene, Patrick Gibson, Albie Marber, Anthony Boyle, Adam Bregman, Tom Glynn-Carney, Ty Tennant, Colm Meaney, Derek Jacobi, Craig Roberts, Genevieve O'Reilly, Pam Ferris


Kurzinhalt:

Nachdem J. R. R. Tolkien (Nicholas Hoult / Harry Gilby) und sein Bruder in jungen Jahren zu Waisen werden, sorgt der Priester Francis Morgan (Colm Meaney) dafür, dass sie bei einer älteren Dame in London aufwachsen können. Dort trifft Tolkien nicht nur auf Edith (Lily Collins / Mimi Keene), von der er vollkommen fasziniert ist, sondern schließt in der Schule Freundschaft mit Geoffrey (Anthony Boyle / Adam Bregman), Robert (Patrick Gibson / Albie Marber) und Christopher (Tom Glynn-Carney / Ty Tennant). Sie gründen einen Geheimbund, der sie bis in die Studienzeit begleitet und in dem sie ihre jeweils kreativen Talenten entdecken und entwickeln. In Oxford findet Tolkien endlich die Möglichkeit, seine Begabung für Sprachen zu vertiefen und könnte unter der Anleitung von Professor Wright (Derek Jacobi) einer blendenden Zukunft entgegensehen – bis der Ausbruch des Ersten Weltkriegs nicht nur die Bruderschaft auseinander zu reißen droht, sondern Tolkien in seiner Entwicklung ebenso stark prägt wie seine Jugendjahre zuvor …


Kritik:
Tolkien beginnt mit einem Bild, das der Vorstellungswelt des weltberühmten, Titel gebenden Autors John Ronald Reuel Tolkien entsprungen sein könnte. Es zeigt eine Szenerie aus der Schlacht an der Somme in Frankreich während des Ersten Weltkriegs. Von hier aus erzählt der finnische Regisseur Dome Karukoski eine Biografie, die bis zu dem Moment führt, da eines der bekanntesten Werke des Protagonisten entstand: Der Hobbit. Zwischen beiden Ereignissen liegen beinahe 20 Jahre, die der Film allerdings beinahe vollständig ausblendet und sich stattdessen auf andere Aspekte konzentriert. Leider.

Von diesen ersten Momenten in Frankreich springt die Erzählung in die Kindheit der Hauptfigur zurück, der mit seinem Bruder in London aufgewachsen ist, nachdem beide überraschend zu Waisen wurden. Beim Wechsel vom ländlichen England in die von großen Schornsteinen und rußigem Qualm geprägte Großstadt London um die Jahrhundertwende ist es, als wollten die Macher Parallelen ziehen zwischen den Gegensätzen von Tolkiens späterer Fantasiekreation Hobbingen zu dem eintönig düsteren und bedrohlichen Mordor. Es ist eine Herangehensweise an die Biografie insgesamt, die bis zum Ende erhalten bleibt.
Nach dem Verlust ihrer Mutter nimmt Pater Francis Morgan (gespielt vom stets charismatischen Colm Meaney) die beiden Jungs unter seine Fittiche, die fortan bei einer älteren Dame aufwachsen. Dort trifft John auf die Waise Edith Bratt, von der er nicht nur angezogen und fasziniert ist, sondern die wie eine personifizierte Elbenprinzessin erscheint.

Statt die Biografie am Stück von diesem Zeitpunkt an zu erzählen, springt Tolkien immer wieder in die Momente während des Ersten Weltkriegs, wo sich Tolkien an der Front aufmacht, einen Jugendfreund zu suchen, der ebenfalls beim Militär dient. Dafür bricht er – welche Befehle auch immer er dabei missachten mag – auf und marschiert quer über das Schlachtfeld. Begleitet wird er von einem treuen Kameraden … Sam.
Parallel hierzu beschreibt Karukoski, wie Tolkien an der neuen Schule Schwierigkeiten hat, sich anzupassen, in Geoffrey, Robert und Christopher drei Freunde findet, die zu „Gefährten“ werden, und mit denen er einen Geheimbund gründet, den TCBS. Kurz danach springt die Geschichte einige Jahre vor und zeigt die Hauptfigur, die in Oxford auf den von Derek Jacobi mit einer unvergleichlichen Ausstrahlung verkörperten Professor Wright trifft, bei dem seine Leidenschaft für Sprachen auf einen fruchtbaren Boden fällt. Dann scheint nicht nur Tolkien als Figur, sondern auch der Film endlich seine Stimme und einen Weg zu finden, doch gerade in dem Moment entspringt der Erste Weltkrieg, der den weiteren Verlauf des Dramas prägt.

So zerfahren wie sich der Inhalt bis hierhin liest, ist Tolkien bedauerlicherweise auch. Die Filmemacher werden nicht müde, die Fantasie des Autors in sich bewegenden Schatten und Perspektiven immer wieder zum Ausdruck zu bringen. Wenn Tolkien auf dem Schlachtfeld des Großen Krieges Bilder und Gestalten seiner späteren Geschichten sieht, will man gar nicht bezweifeln, dass diese traumatischen Erlebnisse in seine Werke eingeflossen sind. Doch es erscheint arg erzwungen, in alle möglichen Perspektiven bekannte Formen und Figuren hineinzuinterpretieren. Es ist vielmehr, als soll damit ein Publikum angesprochen werden, das weniger an der Person J. R. R. Tolkien und mehr an den Wurzeln seiner bekanntesten Geschichten interessiert ist.

Das bedeutet nicht, dass Regisseur Dome Karukoski keine dafür passende Optik gelingt, ganz im Gegenteil. Die einzelnen Bilder bringen das, was er zeigen möchte, durchaus stimmungsvoll auf den Punkt. Die Greuel des Krieges werden überaus deutlich und die Bilder wecken Erinnerungen an die filmischen Umsetzungen von Tolkiens bekanntesten Werken. Ebenso gibt es an der Besetzung nichts zu bemängeln. Als elbengleiche Edith Bratt ist Lily Collins eine erstklassige Wahl und lässt in einigen Momenten eine Bestimmtheit erkennen, die sich in der Stärke der weiblichen Figuren des Autors wiederfindet. In der Titel gebenden Hauptrolle gibt Nicholas Hoult eine fantastische Vorstellung, die im letzten Drittel durchscheinen lässt, wie sehr ihn die Erlebnisse in Frankreich im Krieg verändert haben. Von der Leichtigkeit des jungen Tolkien ist in seinem Auftreten nichts mehr übrig geblieben. Doch was bis zum letztendlichen Verfassen des Hobbit tatsächlich geschehen ist, wie sehr ihn das Familienleben geprägt hat, darüber verrät Tolkien leider nichts. Es ist ein Versäumnis, das am Ende umso schwerer wiegt.


Fazit:
Tolkien soll die prägenden Jugendjahre des weltberühmten Autors bis zum Verfassen seines vielleicht bekanntesten Werks, Der Hobbit, erzählen. Den begann er jedoch „erst“ mit Ende 30. Es gelingt Filmemacher Dome Karukoski dabei nicht, bzw. er scheint gar nicht daran interessiert, den Charakter und die Entwicklung des Autors außerhalb von zwei gewählten Zeitrahmen (Kindheit/Jugend und frühe Studienjahre) zu definieren. Die Macher sind eher darum bemüht, Referenzen an die Fantasy-Welt Herr der Ringe einzustreuen, anstatt herauszuarbeiten, wie sehr Tolkien die Erlebnisse der Kriegsgreuel und das generell tragische Schicksal seiner Familie als Person geprägt haben. Insofern bleibt das Gefühl, dass Tolkien die vielleicht interessantere Story gar nicht erzählt, ungeachtet der tollen Musik von Thomas Newman. Gerade angesichts der beteiligten Darsteller und der handwerklich kompetenten Inszenierung wäre eine richtige Biografie wünschenswert gewesen – und hätte auch Potential. Doch damit dienen die Macher leider nicht.