The Dead Don’t Hurt [2023]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 5. Juli 2024
Genre: Drama / Western

Originaltitel: The Dead Don’t Hurt
Laufzeit: 129 min.
Produktionsland: USA / Mexiko / Großbritannien
Produktionsjahr: 2023
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Viggo Mortensen
Musik: Viggo Mortensen
Besetzung: Vicky Krieps, Viggo Mortensen, Garret Dillahunt, Solly McLeod, Danny Huston, W. Earl Brown, Nadia Litz, Marc Dennis, John Getz, Ray McKinnon


Kurzinhalt:

Als Vivienne Le Coudy (Vicky Krieps) am Hafen von San Francisco auf Holger Olsen (Viggo Mortensen) trifft, ist die Verbindung zwischen ihnen mit Händen zu greifen, selbst wenn sie kaum viele Worte miteinander wechseln. Während in der frühen zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten entbrennt, ziehen sie, Olsens Wunsch entsprechend, in die Abgeschiedenheit der kargen Landschaft Nevadas. Sie bauen sich ein gutes Leben auf, selbst wenn Olsen Viviennes Vorhaben, sich in der nahegelegenen Stadt Arbeit zu suchen, zuerst ablehnt. Denn er selbst fühlt sich berufen, in dem Krieg in seiner neuen Heimat zu kämpfen. Vivienne bleibt allein zurück und muss erkennen, dass die Stadt weniger von dem nur augenscheinlich freundlichen Bürgermeister Schiller (Danny Huston) geführt wird, als von dem einflussreichen Alfred Jeffries (Garret Dillahunt), dessen Sohn Westen (Solly McLeod) nicht nur auf Grund seiner Brutalität gefürchtet ist, sondern der Vivienne offen umwirbt und eine Abweisung nicht toleriert …


Kritik:
Viggo Mortensens zweite Regiearbeit The Dead Don’t Hurt ist gleichermaßen ein im besten Sinne altmodischer Western, wie ein thematisch so modernes wie zeitloses Drama um eine Frau, die in einer von Männern dominierten Welt für ihre Überzeugungen eintritt. Erstklassig gespielt und fantastisch bebildert, richtet sich das an ein ruhiges Publikum, das in den Blicken der Figuren mehr Austausch finden wird, als in den Dialogen. Wäre es nicht um die Struktur der Erzählung, könnte dies mehr mitreißen.

An der Westküste der Vereinigten Staaten treffen in San Francisco zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Däne Holger Olsen und die aus Frankreich stammende Vivienne Le Coudy auf einander. Der introvertierte Olsen strebt nach einem ruhigen Leben in der Abgeschiedenheit, während Vivienne nicht willens ist, sich den von Männern bestimmten Konventionen und Erwartungen der Gesellschaft zu unterwerfen. Diesen Überzeugungen bleibt sie auch dann treu, wenn es bedeutet, dass sie ein wohlhabendes Leben in Abhängigkeit gegen eine weit weniger luxuriöse Freiheit eintauschen muss. Olsen und Vivienne ziehen gemeinsam auf ein abgeschieden gelegenes Stück Land in Nevada, wo er als Tischler arbeitet, während sie versucht, die karge Umgebung ihres Heims wohnlich zu gestalten. Doch als Freiwillige gesucht werden, um im Bürgerkrieg zu kämpfen, fühlt sich Olsen berufen, sich zu melden. Vivienne bleibt zurück und ist unter anderem dem brutalen Weston, Sohn des einflussreichen Geschäftsmannes Alfred Jeffries, ausgeliefert, der bei seinen Avancen keine Ablehnung duldet.

So sehr diese Beschreibung den Inhalt von The Dead Don’t Hurt wiedergibt, so wenig spiegelt sie doch den Film selbst wider, der mit einem einschneidenden Erlebnis in Olsens Leben beginnt. Von da an schildert das Drama, was anschließend geschieht und welche Entscheidungen der Einzelgänger trifft. Gleichzeitig springt die Erzählung jedoch immer wieder Jahre zurück und beleuchtet Viviennes wie auch Olsens mitunter gemeinsame Zeit. Dies hat aber nicht nur zur Folge, dass man in gewisser Hinsicht weiß, worauf die Geschichte zusteuert und daher kaum überrascht wird, die häufigen Wechsel in den Erzählebenen, die innerhalb der Rückblicke mitunter zusätzlich in Viviennes Kindheitserinnerungen springen, machen es schwer, sich auf den jeweiligen Moment einzulassen. Dabei verbirgt Mortensen in dem von ihm geschriebenen Drehbuch nicht nur ein Drama um die zwei so verschiedenen und sich doch so ähnlichen Charaktere im Zentrum, sondern eine Erzählung um Macht und Gewalt, wenn die Familie Jeffries die Kleinstadt Elk Flats nicht einmal im Verborgenen durch ihren finanziellen Einfluss kontrolliert. Darauf aus, sich den Zustrom an Minenarbeitern nach einer entdeckten Silberader durch einschlägige Etablissements zunutze zu machen, schreckt Alfred nicht zurück, seinen gewaltbereiten Sohn Weston voranzuschicken, während er selbst den Bürgermeister und gleichzeitigen Banker der Gemeinde auf seine Seite bringt. Nicht einmal die Justiz ist vor ihnen sicher.

Da Holger Olsen zu Beginn von The Dead Don’t Hurt Sheriff in Elk Flats ist, könnte man daraus allein bereits einen packenden Western erzählen und in gewisser Hinsicht muss man sich fragen, ob diese Hintergrundgeschichte für die beiden zentralen Figuren tatsächlich von Bedeutung ist. Was geschieht, hätte auch ohne dieses Storyelement passieren können und die Aussage, die sich aus den wirtschaftlichen Interessen der Mächtigen ergibt, hat am Ende keine Auswirkung, auch nicht auf Olsen selbst, dessen Tätigkeit als Sheriff gar keine Rolle spielt. Insgesamt rückt Filmemacher Viggo Mortensen die von Vicky Krieps mit einer stillen Stärke beeindruckend zum Leben erweckte Vivienne ins Zentrum, die sich zusammen mit Olsen eine ungewisse Zukunft aufbauen will, nur um auf sich allein gestellt zu sein, als Olsen in den Krieg zieht. Bereits dieser Umstand muss sie an ihren eigenen Vater erinnern, der von der Front seinerzeit nicht nach Hause kam. Statt sich einem Mann anzubieten, beweist sie einen Mut und eine Stärke, die in einer Szene ohne einen Dialog ihrerseits am besten zur Geltung kommt. Es ist ein Moment, in dem sie sich entscheidet, nicht zu fliehen, sich nicht zu verstecken und damit dem Willen der Mächtigen zu beugen, sondern öffentlich zu zeigen, was ihr angetan wurde.

Es sind Szenen wie diese, in denen The Dead Don’t Hurt auch mit Bildern überrascht, die weit über die majestätischen Landschaftsaufnahmen hinausgehen. Wohl überlegt und mit Bedacht ausgewählte Perspektiven rücken das Publikum mitunter an Stelle des jeweiligen Gegenüber und lassen uns die Gesichter der Figuren, ihre Reaktionen und Regungen studieren. Das schafft eine Nähe, die sich in den Blicken von Olsen und Vivienne wiederfindet, auch wenn sich beide wenig erzählen, beispielsweise, nachdem er aus dem Krieg zurückgekehrt ist. Doch so überzeugend diese Aspekte gelungen sind, die Erzählung selbst gerät merklich länger, als sie sein müsste und die Aufteilung in unterschiedliche Ebenen an Rückblicken macht das Gezeigte auch deshalb nur unnötigerweise kompliziert, da diese keinem klaren Muster folgen. So richtet sich der Film an ein kleines Publikum, das bereit ist, sich auf eine stimmige Atmosphäre und die beiden Charaktere im Zentrum einzulassen, die hier zweimal zueinander finden müssen.


Fazit:
Als sich Holger Olsen und Vivienne Le Coudy zum ersten Mal begegnen und beschließen, in eine gemeinsame Zukunft in der Abgeschiedenheit aufzubrechen, haben sie jeweils bereits ein Leben gelebt und bringen eine Vergangenheit mit, die sie spürbar prägt. Trennen sie sich und kehrt Olsen nach dem Bürgerkrieg zurück, ist es, als hätte jeder von ihnen ein weiteres Leben ge- und schlimme Dinge erlebt. Insoweit erzählt Regisseur Viggo Mortensen facettenreich und behutsam von zwei Charakteren, die einander mehr sagen, als sie durch Worte ausdrücken. In einer Geschichte um Vergebung und Verständnis verbirgt sich in The Dead Don’t Hurt auch ein starkes und insbesondere stark gespieltes Frauenporträt vor dem Hintergrund eines malerisch bebilderten Western, in dem rücksichtslose Männer dominieren. Die Momente zwischen den Figuren entwickeln eine enorme Kraft, selbst wenn die Story nur wenig mitreißt und ein im Grunde interessanter Storyaspekt keine wirkliche Rolle spielt. Lässt man sich jedoch auf das ruhig erzählte Charakterdrama als solches ein, gibt es hier viel zu entdecken.