The Black Phone [2022]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 15. Juni 2022
Genre: Horror / Thriller

Originaltitel: The Black Phone
Laufzeit: 102 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Scott Derrickson
Musik: Mark Korven
Besetzung: Mason Thames, Madeleine Mcgraw, Ethan Hawke, Miguel Cazarez Mora, Jeremy Davies, Brady Hepner, E. Roger Mitchell, Troy Rudeseal, Michael Banks Repeta, James Ransone, Tristan Pravong, Jacob Moran


Kurzinhalt:

Nord Denver im Jahr 1978. Ungeachtet der täglichen Hänseleien und Demütigungen gibt es für Finney Shaw (Mason Thames) und seine Schwester Gwen (Madeleine Mcgraw), ebenso wie für ihre Mitschülerinnen und Mitschüler, kein anderes Thema als den ‚Greifer‘ (Ethan Hawke), der inzwischen bereits fünf Jungen entführt hat. Von den verschleppten Kindern gibt es keine Spur, Lösegeldforderung oder Leichen, wobei Gwen, die immer wieder von Dingen träumt, die wahr werden oder sind, der Überzeugung ist, dass die entführten Kinder getötet wurden. Auf ihre Gabe werden auch die ermittelnden Polizisten aufmerksam, was Gwens und Finneys alkoholsüchtigen Vater (Jeremy Davies) erzürnt. Doch dann wird Finney selbst gekidnappt und wacht in einem verschlossenen Keller mit einer Matratze auf dem Boden und einem nicht angeschlossenen, schwarzen Telefon an der Wand auf. Während sich der maskierte Greifer vage hält, was er mit Finney vorhat und dieser zunehmend verzweifelt, klingt das Telefon, an dessen Ende Finney die Stimme eines vorigen Entführungsopfers wahrnimmt. So erhält er nicht nur Einblick, was die Absichten des Greifers sind, sondern womöglich auch eine Hilfestellung, wie sich Finney aus dem Kellerverließ befreien kann …


Kritik:
Scott Derricksons The Black Phone bedient so viele Elemente, die Garant für ein begeistertes Publikum sind, dass es umso mehr überrascht, weshalb das Ergebnis nicht in dem Maße überzeugt, wie es könnte. Der übernatürliche, in den späten 1970er-Jahren angesiedelte Horror-Thriller aus Sicht eines von einem Serienmörder entführten Jungen, der Hilfe von dessen vorigen Opfern erhält, ist handwerklich durchaus gelungen und atmosphärisch umgesetzt. Aber wirklich verständlich ist die Story nicht und viele Erschreckmomente verpuffen, wenn man den teils ohrenbetäubend lauten Ton ausblendet.

Die Geschichte spielt im Norden von Denver im Jahr 1978 und noch vor dem Vorspann im Stile von Sieben [1995] erzeugt The Black Phone eine fantastisch zeitgemäße Atmosphäre durch Farben, Mode und den allgemeinen Look der nie sonnig klaren Bilder. Finney Shaw wächst mit seiner Schwester Gwen bei ihrem alkoholsüchtigen und auch gewalttätigen Vater auf. In der Schule wird Finney gehänselt, von manchen Mitschülern gar verprügelt. Er ist eben niemand, der sich wehrt, nicht einmal, wenn sein Vater die Hand gegen seine jüngere Schwester erhebt. Dabei gibt es eine viel größere und tödlichere Bedrohung für die Kinder: Der „Greifer“ hat bereits fünf Jungen gekidnappt. Bislang fehlt von ihnen jede Spur. Gwen träumt immer wieder von diesen Kidnappings, einem Mann mit schwarzen Ballons und einem schwarzen Lieferwagen. Manchmal werden ihre Träume wahr. Dann wird Finney Opfer des Greifers, der sein Gesicht stets hinter einer Maske verbirgt. Er bringt Finney in einen Keller, aus dem er nicht entkommen kann. Darin befindet sich nur eine Matratze, eine Toilette und ein schwarzes Telefon, das nicht angeschlossen ist.

Es gibt verschiedene Dinge, die man sich vorstellen könnte, die der Greifer mit seinen Opfern anstellt. Dass man sie nie wieder gesehen hat, macht es in der Vorstellung nur noch schlimmer. Er verrät Finney, dass er ihm nichts antun werde – das er nicht möchte. Aber, und so viel kann man sagen, ohne etwas zu verraten, worauf der Greifer wirklich aus ist, wird nie klar. Auch nicht, nach welchen Kriterien er seine Opfer aussucht. Manche waren Bullys, andere eher schüchtern und zurückhaltend. Manche groß und kräftig, andere schmal und schmächtig. Kein Muster zu präsentieren, könnte das Geschehen auch nur beunruhigender machen, doch da der Greifer auch nicht ankündigt, was er vorhat, fällt es schwer, in Finneys Gefangenschaft eine über den Beginn hinaus wachsende Bedrohung zu erkennen. Bitte nicht falsch verstehen, seine Situation ist mehr als Angst einflößend genug, doch die beunruhigenderen Momente sind für das Publikum diejenigen, in denen die früheren Opfer des Greifers mit Finney Kontakt aufnehmen und eben nicht, dass der Greifer ankündigt, Finney dies oder jenes anzutun.

Denn bereits kurz nach seiner Ankunft in dem Keller beginnt das schwarze Telefon an der Wand zu klingeln und die Stimmen am anderen Ende erkennt Finney als diejenigen Kinder, die zuvor entführt und mutmaßlich ermordet wurden. Sie erzählen Finney, was sie während ihrer Gefangenschaft versucht haben, um zu entkommen, und teilweise auch, was der Greifer ihnen angetan hat. Es ist ein gleichermaßen frisches wie beunruhigendes Element, das The Black Phone hier vorstellt, doch es ist eines, das keiner wirklichen Gesetzmäßigkeit zu folgen scheint, oder sie wird nicht ausreichend erläutert. Zwar deutet sich an, dass Finney wie Gwen eine Gabe hat, mit der er offenbar Kontakt zu den Verstorbenen aufnehmen kann – beides von ihrer Mutter geerbt, deren Handlungen auf Grund ihrer Fähigkeiten ihren Vater (womöglich) in die Alkoholsucht getrieben haben – aber ob sich das bei Finney nur auf Klänge bezieht, während Gwen davon träumt, kann man nicht sagen. Denn die Opfer des Greifers sind für das Publikum teilweise auch zu sehen, inszeniert als laute Schreckmomente, in denen Finney aber ganz ruhig bleibt. Er sieht sie offenbar also nicht. Dann aber sieht Finney in einer Situation auch ein Opfer (Gwen plötzlich auch, wenn sie nicht träumt) und sie sind offenbar auch in der Lage, Dinge in der richtigen Welt zu bewegen. Können die Geister Finney über ihre mündlichen Anweisungen hinaus also helfen? Nichts davon lotet das Drehbuch aus, wie Finneys Fähigkeiten funktionieren, was seine Grenzen sind, wird nie klar.

Gleichzeitig macht der sich daran, den Hinweisen der anderen Kinder folgend, Wege zu suchen, um aus dem Keller zu entkommen. Dafür muss er bestimmte Dinge baulich verändern, doch den Greifer scheint das nicht zu stören. Der taucht bei den meisten seiner Auftritte mit einer anderen Maske als zuvor auf dem Gesicht auf und spricht auch in unterschiedlicher Tonlage. Ob das eine Andeutung sein soll, dass er eine multiple Persönlichkeit besitzt? Möglich, dafür würde auch sprechen, dass er sich schützend hinter den Masken versteckt. Aber hier bleibt The Black Phone ebenfalls so vage, dass nichts mit Händen zu greifen ist. So auch mit den Absichten des Kidnappers, der offenbar ein Spiel mit den Kindern spielt. Nur, mit welchem Ziel? Das wiegt umso schwerer, da nicht deutlich wird, wie lange Finney in der Gewalt des Greifers ist, ob es Tage oder Wochen sind. Dass diese Aspekte derart auffallen liegt auch daran, dass die Schreckmomente meist nicht aufgebaut sind, sondern urplötzlich mit lauter Musik eingestreut werden. Das erzeugt keine wirkliche Spannung, sondern lediglich einen effektiven Pulsanstieg, der aber hinsichtlich der Dramatik kaum eine Wirkung entfaltet.

Die Kritikpunkte sind insoweit regelrecht ärgerlich, da The Black Phone im Grunde ein handwerklich tadellos dargebrachter Film ist. Die Optik ist bestechend und die Atmosphäre toll eingefangen. Nebenhandlungen wie der drogensüchtige Max scheinen am Ende zwar vollkommen unnötig, erweitern sie doch weder das Opfer, noch den Täter nennenswert. Und auch bei Gwens gesamtem Handlungsstrang muss man sich die Frage stellen, ob er eine tatsächliche Auswirkung auf das eigentliche Geschehen hat. Es stellt sich beinahe das Gefühl ein, als hätten die Verantwortlichen mit beiden Figuren mehr vorgehabt, als gäbe es Entfernte Szenen, in denen ihre Notwendigkeit für die Geschichte erst begründet wird. So lässt Filmemacher Scott Derrickson sein Publikum mit vielen Fragen zurück. Aber statt das Mysterium zu bereichern, sorgt es hier eher dafür, dass man sich fragen muss, was die Verantwortlich sich wohl bei ihren Entscheidungen gedacht haben.


Fazit:
Mysteryfilme müssen nicht zwangsläufig alle ihre Geheimnisse offenbaren, doch sollte für das Publikum nachvollziehbar sein, weshalb manche Dinge wie geschehen. So interessant die Ausgangslage bei Scott Derricksons stimmungsvoller Erzählung ist, basierend auf der gleichnamigen Kurzgeschichte von Joe Hill, es hat den Eindruck, als würden die Verantwortlichen sich ihre Regeln während des Spiels ausdenken. Das gilt sowohl für den Greifer selbst, der von Ethan Hawke mit einer bedrohlichen Ambivalenz verkörpert wird, als auch für Finney und Gwen, deren übernatürliche Fähigkeiten immer dann dem entsprechen, was das Drehbuch in diesem Moment von ihnen verlangt. Auch Mason Thames und Madeleine McGraw zeigen jeweils eine starke Darbietung, die tatsächlich unter die Haut geht, und man würde ihnen wünschen, ihre Figuren wären klarer definiert. So ist The Black Phone zwar ein gut gespielter und tadellos gefilmter Horror-Thriller, dessen Fantasy-Element in Grundzügen auch durchaus überzeugt. So sehr, dass dies ein moderner Klassiker sein könnte. Doch sind die Erläuterungen derart rar gesät und die überlaute Umsetzung des Horrors nagt so spürbar an der Atmosphäre, dass die Ansätze letztlich kaum zur Geltung kommen. Das eignet sich als überdurchschnittliche Genrekost, ist aber letztlich schade ums Potential.