The 800 [2020]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 31. Januar 2021
Genre: Kriegsfilm / Drama

Originaltitel: Ba Bai
Laufzeit: 149 min.
Produktionsland: China
Produktionsjahr: 2019
FSK-Freigabe: ab 16 Jahren

Regie: Hu Guan
Musik: Rupert Gregson-Williams , Andrew Kawczynski
Besetzung: Zhi-zhong Huang, Zhang Junyi, Hao Ou, Chun DuvCheng Zhang, Qianyuan Wang, Wu Jiang, Yi Zhang, Youhao Zhang, Vision Wei, Yixin Tang, Jiuxiao Li, Jing LiangvYong Hou


Kurzinhalt:

Am 26. Oktober 1937, wenige Monate nach Beginn des Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieges, hat die Kaiserlich Japanische Armee mit einer Invasion im chinesischen Shanghai begonnen. Nach verheerenden Verlusten auf Seite der chinesischen Soldaten, erhält Oberst Xie Jinyuan (Chun Du) den Auftrag, die etwas mehr als 450 Soldaten der 88. Division des 524. Bataillons beim Sihang-Lagerhaus in einen aussichtslosen Kampf zu führen. Unmittelbar am Fluss Suzhou gelegen, liegt auf der anderen Seite die Konzession, ein Bereich, in dem ausländische Vertretungen angesiedelt sind, Bars und Casinos, und der von der Invasion ausgenommen ist, sogar von Bombenangriffen. Dort kann nicht nur die chinesische Zivilbevölkerung den aufopferungsvollen Kampf der Soldaten beobachten, sondern auch die internationale Presse. So soll die Bevölkerung angespornt werden, sich gegen die einfallenden Feinde zu wehren – und die weltweite Staatengemeinschaft zur Hilfe aufgerufen werden. Es beginnt eine tagelange Belagerung des Lagerhauses durch eine 20.000 Mann starke Dritte Kaiserlich Japanische Division. Ein Massaker für beide Seiten …


Kritik:
In beeindruckenden Bildern erzählt der Kriegsfilm The 800 eine grausame Schlacht des Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieges Ende Oktober 1937 nach. Es ist ein Konflikt, der in westlichen Ländern wenig bekannt ist und wenn eines, dann könnte man Hu Guans Film vorwerfen, dass er einem internationalen Publikum zu wenig Kontext bietet, um die Geschehnisse, die im Zusammenhang als Teil des Zweiten Weltkrieges in Asien gesehen werden, einordnen zu können. Die Essenz des Schreckens eines jeden Krieges fängt das Drama hingegen packend ein.

Heutigen Geschichtsgelehrten nach, begann der Zweite Japanisch-Chinesische Krieg Anfang Juli 1937 und hatte eine Invasion Chinas durch die Kaiserlich Japanische Armee zur Folge. Vor vier Jahren verfügte die Volksrepublik China, dass in ihren Lehrbüchern der Beginn des Konflikts auf September 1931 vorgezogen wird, als Japan in die Mandschurei im Nordosten des Landes einfiel, obwohl sich China selbst für die sechs Jahre dazwischen nicht ständig im Krieg mit Japan sieht. Dies sollte das Publikum im Hinterkopf behalten, wenn Texttafeln am Ende des Films für den Zeitraum 1931 bis 1945 von 35 Millionen verletzten oder getöteten chinesischen Soldaten und Zivilisten sprechen – und eineinhalb Millionen japanische Opfer beziffern. Es erklärt vielleicht auch, weshalb die Texttafeln im Deutschen mit anderen Daten eingesprochen sind.
The 800 erzählt von einem blutigen Konflikt während der Invasion der Kaiserlich Japanischen Armee in Shanghai Ende Oktober 1937. Konnte man die japanischen Soldaten wenige Monate am weiteren Vorrücken hindern, waren die Verluste schlicht zu groß, so dass sich die „Schlacht um Shanghai“ am Sihang-Lagerhaus entscheiden sollte. Dort sollten knapp 450 junge Soldaten der hoffnungslos unterlegenen 88. Division der chinesischen Nationalrevolutionären Armee, auch die Titel gebenden „800“ genannt, eine ganze japanische Division abwehren. 20.000 Soldaten. Dies vor den Augen der chinesischen Zivilbevölkerung in Shanghai und der gesamten internationalen Gemeinschaft, die gewissermaßen nur einen Steinwurf entfernt, jenseits des Suzhou-Flusses in der Konzession Shanghai in Sicherheit waren.

Dass der Auftrag einem Himmelfahrtskommando gleichkommt, steht außer Frage, auch für die Offiziere und Soldaten vor Ort. Ziel ist es vielmehr, nach den verheerenden Verlusten das Ansehen der Armee in den Augen der Zivilbevölkerung wiederherzustellen. Und der internationalen Staatengemeinschaft, die man um Hilfe gebeten hat, zu zeigen, dass China sich nicht ergeben wird. Diese Konstellation führt in The 800 zu geradezu absurd anmutenden Situationen. Auf der einen Seite des Flusses, in der Konzession, floriert Shanghai mit Clubs, Bars und Casinos, da der Bereich von dem Krieg gewissermaßen ausgenommen ist auf Grund einer Vereinbarung, die von Mächten im Hintergrund getroffen wurde. Jedoch nur, solange sich dort keine chinesischen Soldaten befinden. Jenseits des Flusses, in Sicht- und Hörweite, opfern sich chinesische Soldaten in den Ruinen einer Stadt, die in Schutt und Asche liegt, um ein Land zu verteidigen, das sich an ihrem Kampf lange Zeit wie an einem Spektakel im alten Rom ergötzt.

Filmemacher Hu Guan erzählt seinen Film zum Teil aus der Sicht von Deserteuren der Nationalrevolutionären Armee, die versuchen, in die Rettung versprechende Konzession zu gelangen. Dass wenigstens manche von ihnen ihren Patriotismus entdecken, gewissermaßen eine Wandlung durchleben, ist wenigstens dem Genre geschuldet. Die Sichtweise ist ungewöhnlich, bietet aber im Grunde die Möglichkeit, verschiedenste Charaktere näher zu beleuchten. Genau das gelingt The 800 jedoch bedauerlicherweise lediglich ungenügend. Die vielen, langen Gefechte lassen den Figuren nur wenig Raum, überhaupt vorgestellt zu werden. Außer ein paar Sätzen erfährt man über die wenigsten irgendetwas. Es fehlen Identifikationsfiguren, sowohl auf Seite der Zivilisten, die sich bemühen, die Soldaten zu unterstützen, als auch auf Seite der Soldaten. Obwohl die Kampfszenen schon auf Grund ihrer schnellen und teils unübersichtlich anmutenden Inszenierung das Publikum in diesen Moment versetzen, macht es dies schwer, mit den Personen mitzufiebern.

Dass The 800 dennoch überwiegend fesselt, ist der Produktion ingesamt zu verdanken. Nicht nur die authentische Inszenierung, die jedoch glücklicherweise nicht auf den brutalen Momenten verharrt, sondern auch die schiere Größenordnung des Films beeindrucken. Die Bauten der Ruinen Shanghais, die Sets rund um das Lagerhaus oder auch die Anzahl der Komparsen, versetzen ins Staunen. Auch angesichts der erstklassigen Trickeffekte, die von der stilisierten Farbgebung profitieren. Die ständig bewegte Kamera lässt die Dynamik des Kampfgeschehens erahnen und trotz der verschiedenen Fronten im Kampf, bewahrt der Film stets die Übersicht, was wann wo geschieht. Umso mehr fallen unnötige Entscheidungen wie der Rückblick während des Finales auf, in der das Geschehen 14 Stunden zuvor gezeigt wird. Es ist, als würden die Macher nicht darauf vertrauen, dass das Publikum von der Entwicklung der Geschehnisse mitgerissen würde.

Erstklassig gemacht und eindrucksvoll inszeniert, ist es der durchweg engagierten und packend spielenden Besetzung zu verdanken, dass das Schicksal der Soldaten hier packt, selbst wenn die Figuren bestenfalls nur oberflächlich gezeichnet sind. Mit zweieinhalb Stunden ist der erfolgreichste Film des vergangenen Kinojahres, der ursprünglich 2019 hätte erscheinen sollen, aber von offizieller Stelle in China verschoben wurde, zwar immer noch spürbar länger als notwendig, doch lenkt er das Augenmerk auf einen Krieg, der in westlichen Ländern im historischen Kontext kaum Beachtung findet.


Fazit:
Dass auch Filmemacher Hu Guan nicht mit Pathos spart, verwundert nicht. In zahlreichen Situationen und heroischen Momenten werden Zivilisten wie Soldaten mit Tränen in den Augen oder in Zeitlupe salutierend gezeigt. Das Genre verlangt dies wohl. Dass die Gegenseite überhaupt gar nicht beleuchtet wird, die japanischen Invasoren kein wirkliches Gesicht bekommen, unterstreicht den Eindruck, dass der zelebrierte Patriotismus bereits in Propaganda umschlägt, wenn zudem mehrmals wiederholt wird, wie herausragend und unbeugsam das chinesische Volk ist. Auch die Tatsache, dass die einzelnen Soldaten keine Profil erhalten, als wäre es die Gemeinschaft und nicht das Individuum, das den Wert einer Gesellschaft bestimmt, scheint einem politischen Narrativ geschuldet. Trotzdem sind es die geradezu grotesken Szenen, die sich hier in das Gedächtnis einbrennen und auf erschütternde Weise sprachlos machen. Beispielsweise wenn sich die unterlegenen chinesischen Soldaten zu Dutzenden in menschliche Bomben verwandeln, um den unnachgiebigen Ansturm der Kaiserlich Japanischen Armee abzuwehren. Wenn sich Soldaten zuhauf opfern, um eine Flagge zu hissen, oder die beiden Seiten im Lagerhaus aufeinander zustürmen und sich auf unvorstellbare Art gegenseitig niedermetzeln. Dann gelingt es The 800, die Schrecken und Unmenschlichkeiten des Krieges greifbar zu machen und das Publikum an die Seite jener Männer, Frauen und Kinder zu stellen. Umso mehr, wenn die Journalisten der internationalen Gemeinschaft scheinbar unbeteiligt in einem Zeppelin über dem Fluss schweben und das Ausmaß der Grausamkeiten nüchtern beobachten. Es ist eine Symbolik, die aufrütteln sollte – damals wie heute. Das ist packend, selbst wenn man die nicht von der Hand zu weisenden politischen Botschaften, die hier mitschwingen, nicht außer Acht lassen sollte.


The 800 ist ab
11. Februar 2021 als Video-on-Demand und
ab 22. April 2021 auf Blu-ray und DVD von
Koch Films GmbH erhältlich!