Tausend Zeilen [2022]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 22. September 2022
Genre: Unterhaltung

Laufzeit: 93 min.
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Michael Herbig
Musik: Ralf Wengenmayr
Besetzung: Elyas M’Barek, Jonas Nay, Marie Burchard, Michael Ostrowski, Michael Maertens, Jörg Hartmann, Sara Fazilat, Jeff Burrell, Kurt Krömer


Kurzinhalt:

Ungern kommt der freie Journalist Juan Romero (Elyas M’Barek) dem Leiter des Reportage-Ressorts, Rainer Habicht (Michael Maertens), des Magazins „Chronik“ nach, zusammen mit Starreporter Lars Bogenius (Jonas Nay) eine Titelstory zu verfassen. Sie soll die Situation flüchtender Menschen an der Grenze von Mexiko zu den USA beleuchten. Romero recherchiert dafür in Mexiko, Bogenius in nordamerikanischen Arizona. Doch als Juan den ersten Textentwurf zu Gesicht bekommt, kann er kaum glauben, was er liest. Auf Nachfragen, ob sich Bogenius’ Schilderungen wirklich so zugetragen haben, reagiert dieser pikiert, und noch vor Veröffentlichung der Ausgabe lässt ein Foto, das Bogenius beigesteuert hat, Juan an der Integrität des Artikels zweifeln. Er versucht, die Veröffentlichung zu verhindern, doch Habicht überstimmt ihn zusammen mit dem stellvertretenden Chefredakteur Christian Eichner (Jörg Hartmann). Mehr noch, Romero selbst gerät in Verdacht, unsauber gearbeitet zu haben, und nun Bogenius zu beschmutzen. Darum macht er sich mit Fotograf Milo (Michael Ostrowski) auf, Bogenius’ Teil der Story zu überprüfen, und setzt damit nicht nur seine Karriere, sondern auch seine Ehe mit Anne (Marie Burchard) aufs Spiel …


Kritik:
In Tausend Zeilen thematisiert Filmemacher Michael Herbig den Medienskandal um den Journalisten Claas Relotius, ohne seinen Namen zu erwähnen. Dabei ersetzt er die vermutlich wirklich dramatischen Entwicklungen des aufdeckenden Spiegel-Reporters Juan Moreno (basierend auf seinem Buch Tausend Zeilen Lüge – Das System Relotius und der deutsche Journalismus [2019]), der für seine Enthüllungen lange Zeit gerade aus seiner eigenen Zunft heraus angefeindet wurde, durch Humor und packt die Geschichte in eine rasante Inszenierung. Unzweifelhaft mit Klischees gespickt und teilweise nicht bissig genug, erschließt sich die durchaus bemerkenswerte Aufdeckung eines Journalisten, der seine Reportagen erfunden hat, so einem großen Publikum. Das ist in jedem Fall zu begrüßen, gerade um das Ansehen des Journalismus willen.

Die Geschichte wird über weite Strecken aus der Sicht des freien Journalisten und vierfachen Familienvaters Juan Romero erzählt, der für Europas größtes Nachrichtenprintmagazin schreibt, die Chronik. Gewissermaßen ein Spiegelbild eines real existierenden, renommierten Magazins. Aber während sich Juan jahrelang nach oben gearbeitet hat, steht bei der Chronik inzwischen ein anderer Reporter hoch im Kurs: Der bereits preisgekrönte Journalist Lars Bogenius, dessen Reportagen über Kriegskinder, den Jungen, der mit einem Graffiti den Syrienkrieg begann, oder Exklusivinterviews die Menschen bewegen. Für den Leiter des Reportage-Ressorts Rainer Habicht soll Romero an einer zweiteiligen Titelstory arbeiten, die von Flüchtenden an der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze handelt. Romero soll in Mexiko recherchieren und Bogenius zuarbeiten, der aus Sicht einer Grenzschützertruppe in Arizona die Situation schildert. Doch nach dem ersten Text kommen Juan Fragen, ob sich all das tatsächlich so zugetragen hat. Auch, dass die Grenzschützer sich offenbar von Hausfotograf Milo nicht ablichten lassen wollen, macht ihn stutzig – zumal der Artikel später mit Bildern gespickt ist. Juans Fragen werden für seine eigene Karriere nur gefährlicher, da in Kürze ein Machtwechsel vorgesehen ist. Vizechefredakteur Christian Eichner soll leitender Chefredakteur werden, dafür Habicht ihm nachfolgen – und Bogenius die Ressortleitung übernehmen.

Durch Bogenius’ geschickte Abwehr der Nachfragen gerät Romero selbst in den Verdacht, unsauber gearbeitet zu haben, während die familiären Spannungen nur zunehmen. So macht er sich schließlich auf, mit Milo zusammen die Grenzschützer aufzusuchen und die vorigen Reportagen von Bogenius zu überprüfen. In Anbetracht der komplexen Materie, der vielen Verstrickungen und Schauplätze, und nicht zuletzt der aufwändigen Recherchen von Romero und seinem Kampf gegen Windmühlen, sich in der Redaktion Gehör zu verschaffen (von seiner fordernden familiären Situation ganz zu schweigen), hätte Tausend Zeilen mühelos eine Miniserie oder wenigstens ein zwei Stunden dauernder Film sein können. Regisseur Michael Herbig erzählt die Geschichte in nur neunzig Minuten, was man ihr letztlich auch anmerkt. Viele, viele Schnitte zeugen von einer derart rasanten Inszenierung, dass man sich mitunter beinahe an einen Michael Bay-Film erinnert fühlt. Die Erzählung springt mitunter in der Zeit zurück, zeigt imaginäre Szenen, die sich nur in den Gedanken der Figuren abspielen, und wird durch Texteinblendungen und Off-Kommentare überlagert. Mehrere Figuren richten sich unmittelbar ans Publikum, die Szene selbst wird angehalten und die Charaktere laufen durch das pausierte Set, als wollten die Verantwortlichen jedes nur erdenkliche Stilmittel nutzen, das sich ihnen bietet.

Dagegen wäre prinzipiell nichts einzuwenden, würden nicht viele Dinge auf der Strecke bleiben. Doch Romeros Familienleben ist ebenso ein kaum beachteter Aspekt wie Bogenius selbst, der sich zwar einmal kurz erklärt, aber dafür, wie viel Zeit Tausend Zeilen in seiner Perspektive verbringt, erfährt man erstaunlich wenig bis überhaupt nichts über seinen Werdegang oder die Motivation für seine Handlungen. Die Figuren bleiben somit spürbar flach, selbst wenn es hier viel zu Schmunzeln gibt und einige Momente, insbesondere diejenigen mit den verantwortlichen Redakteuren oder Fotograf Milo, für herzhafte Lacher sorgen. Die Beteiligten haben auch merklich Spaß an ihren Rollen und ihnen dabei zuzusehen ist durchweg unterhaltsam und amüsant. Dabei wäre es umso interessanter gewesen, würde Herbig die satirischen Elemente stärker in den Fokus rücken. Letztlich geht er versöhnlich mit dem Journalismus ins Gericht, der sich hier mehrmals selbst lobt und beweihräuchert, ohne sich jedoch durchweg den Standards zu unterwerfen, die ihm auferlegt werden sollten bzw. die es ihm auch sind. Das ist auch schade um die verpasste Chance.


Fazit:
Die sehr flotte und moderne Inszenierung mit ihren vielen erzählerischen Kniffen ist kein Grund für Kritik, doch leiden darunter die Charaktere und auch die Handlung wirkt verkürzt. Schlimmer noch, wendet sich Juan regelmäßig direkt an die Kamera, um mit den Worten„Ich fasse jetzt noch einmal zusammen“, „Wir erinnern uns“ oder „Was gerade passiert ist“ die letzten Minuten zu resümieren, dann ist es, als würde Filmemacher Michael Herbig sein Publikum für uninteressiert oder schlichtweg zu dämlich halten, um der Geschichte folgen zu können – die in gerade einmal eineinhalb Stunden abgehetzt erscheint. Handwerklich hat das durchaus einen eigenen Stil und Handschrift, doch dass Bogenius’ Motivation und Figur kaum beleuchtet werden, er unnahbar bleibt, ist bedauerlich.Als gleichermaßen Nacherzählung einer der größten Medienskandale des vergangenen Jahrzehnts und Ode an den renommierten Journalismus, der seine Fehler schließlich erkennt und selbst aufdeckt, ist Tausend Zeilen gut gespielt und eingängig. Vor allem aber bringen die Verantwortlichen das Thema einem Publikum nahe, das sich nicht durch 1000 Zeilen Reportage lesen kann oder will. Das ist in jedem Fall zu begrüßen und auch zu empfehlen. Auch wenn es der Materie nicht ganz gerecht wird.