Stillwater - Gegen jeden Verdacht [2021]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 1. September 2021
Genre: Drama / Krimi

Originaltitel: Stillwater
Laufzeit: 139 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Tom McCarthy
Musik: Mychael Danna
Besetzung: Matt Damon, Abigail Breslin, Camille Cottin, Lilou Siauvaud, Deanna Dunagan, Moussa Maaskri, Idir Azougli, Anna Le Ny, William Nadylam


Kurzinhalt:

Seit fünf Jahren fliegt der verwitwete Bill Baker (Matt Damon) von Oklahoma in den Vereinigten Staaten regelmäßig nach Marseille in Frankreich, um seine Tochter Allison (Abigail Breslin) zu besuchen. Sie verbüßt dort eine insgesamt neunjährige Haftstrafe, da sie verurteilt wurde, ihre damalige Freundin ermordet zu haben. Die Tat bestreitet sie immer noch und die Mordwaffe wurde nie gefunden. Bei seinem aktuellen Besuch vertraut Allison ihm einen Brief für die Anwältin Leparq (Anna Le Ny) an. Darin führt sie aus, dass der damals ebenfalls der Tat verdächtigte und nie gefundene Akim (Idir Azougli) angeblich einer Studentin gegenüber nun die Tat gestanden haben soll. Doch für die Anwältin reicht dies nicht aus, den Fall erneut aufzunehmen. Um seine Tochter nicht zu enttäuschen, verschweigt Bill ihr das und macht sich selbst daran, Akim zu finden. Die Nachforschungen führen ihn in den berüchtigten Stadtteil Marseilles, Kallisté. Dabei hilft ihm die Theaterschauspielerin Virginie (Camille Cottin) mit der er sich ebenso anfreundet wie mit ihrer Tochter Maya (Lilou Siauvaud). Während Bill versucht, Allisons Unschuld zu beweisen, findet er in Virginie und Maya etwas, das er lange Zeit nicht mehr hatte …


Kritik:
Stillwater - Gegen jeden Verdacht ist nicht die Art Film, die man in Anbetracht des Inhalts erwarten würde. Noch ist es vermutlich die Art Film, die Regisseur Tom McCarthy erzählen wollte. Hört sich die Geschichte an wie ein Crime-Thriller, in dem ein Vater die Unschuld seiner Tochter beweisen möchte, ist das Ergebnis ein Charakterdrama, bei dem nie deutlich wird, auf welche Reise die Figuren entsandt werden sollen. So fällt es schwer, sie am Ende an irgendeinem Ziel zu sehen. Oder auch nur mit der Erkenntnis, was sie dorthin gebracht hat.

Im Zentrum steht Bill Baker, der früher auf Ölbohrinseln arbeitete und inzwischen seinen Lebensunterhalt auf dem Bau verdient, damit beschäftigt, das aufzuräumen, was ein Tornado zurückgelassen hat. Er ist ein ruhiger Mann, in sich gekehrt. So bleibt er auch, als er aus Oklahoma nach Marseille in Frankreich fliegt, um seine Tochter Allison zu besuchen. Sie verbüßt dort eine neunjährige Haftstrafe, weil sei ihre damaligen Freundin Lina ermordet haben soll. Allison beteuert ihre Unschuld und auf ihre Bitte begibt sich Bill zu Allisons Anwältin Leparq, da Allison gehört hat, dass der damals verdächtige Akim, der nie aufgefunden werden konnte, aufgetaucht sein soll. Seine DNA könnte Allison entlasten, doch die Anwältin will den Fall auf Grund von Hörensagen nicht erneut aufrollen. So begibt sich Bill selbst auf die Suche, um seine Tochter, die bereits fünf Jahre im Gefängnis sitzt, frei zu bekommen. Da er die Sprache nicht spricht, hilft ihm die Theaterschauspielerin Virginie dabei, die zusammen mit ihrer Tochter Maya Bills feste Bezugspersonen in Marseille werden.

Die Ausgangslage um eine amerikanische Austauschstudentin, die in Europa des Mordes verdächtigt wird und ins Gefängnis kommt, erinnert an den wahren Fall von Amanda Knox. Inwieweit die Verantwortlichen Stillwater darauf basieren, sei dahingestellt. Tatsächlich steht weniger die mutmaßliche Täterin Allison im Zentrum, als ihr Vater Bill, der keine allzu ruhmreiche Vergangenheit hinter sich hat. All die vergangenen Fehler wieder gut zu machen, sind sein Ansporn, in Anbetracht der neuen Spur um Akim, die Allison aufgetan hat. Allerdings scheint Filmemacher McCarthy, der auch am Drehbuch mitschrieb, an dem Krimiaspekt der Geschichte nur wenig interessiert. Stattdessen zeigt er sehr ausführlich und umfangreich, wie Bill sich in einer freundschaftlichen Beziehung mit Virginie und gewissermaßen als Ersatzvater für Maya ein neues Leben in Marseille aufbaut. Seine Nachforschungen, wenn er einen Privatdetektiv beauftragen möchte, um Akim zu finden, oder aber die Momente mit seiner Tochter, die einen Tag in der Woche Freigang zugestanden bekommt, sind eher ausschlaggebend dafür, dass dieses neue Leben Rückschläge erfährt, er von der unangenehmen Wirklichkeit gewissermaßen eingeholt wird.

Dabei findet Stillwater viele kleine Momente, in denen die Figuren geradezu beiläufig vertieft werden. Sei es der Kontrast, dass in Bills Zuhause in Oklahoma niemand auf ihn wartet, während er in Marseille täglich Maya abholt. Oder wenn eingeblendet wird, wie oft Bill seine Tochter bereits im Gefängnis besucht hat. Ringt Bill mit sich, als sich ihm die Möglichkeit bietet, seine Tochter dadurch zu befreien, dass er selbst ein Verbrechen begeht, offenbart Matt Damon mehr Facetten in seiner introvertierten Mimik, als andere Darsteller in ihrer ganzen Karriere und nach kehrt seine Figur nach seinen Erfahrungen im sonnigen Marseille in sein selbst gewähltes, graues Gefängnis in Oklahoma zurück, ist das ein treffendes Bild. Es ist eine starke Darbietung, von der das Drama sichtlich zehrt. Insbesondere, weil man Damon in der Rolle als schimmernden Helden erwarten würde, der er hier eindeutig nicht ist. Wie er Virginie desillusioniert mitteilt, geht es ihm auch nicht um Gerechtigkeit, sondern einzig darum, seine Tochter zu befreien. Egal, mit welchen Mitteln.

Die vielen kleinen Szenen zwischen Bill und Virginie, ihm und Maya, oder auch Bill und seiner Tochter Allison sind überaus gelungen und prägen das Flair des Films. Sie zeigen aber auch, worauf Tom McCarthy hier seinen Schwerpunkt legt. Stillwater, selbst wenn der Titel an eine Sicherheitsfirma erinnern mag, ist nach der Stadt im US-Bundesstaat Oklahoma benannt. Eine Stadt, über die Bill selbst denkt, dass sich nichts ändert, bis sein Blickwinkel am Ende ein ganz anderer wird. Dies ist kein Action-Thriller, oder gar ein Krimi. Es ist ein ruhig erzähltes Drama mit zahlreichen interessanten Beobachtungen und Charakterisierungen. Zu sehen, wie sich Vater und Tochter hier noch weiter von einander entfernen, obwohl Bill nur darum bemüht ist, zu helfen, ehe sie sich wieder annähern, ist faszinierend. Nur ob es die richtige Art der Umsetzung dieser Geschichte ist, sei dahingestellt.


Fazit:
Atmosphärisch erinnert Tom McCarthys Film an eine schwermütige Rockballade, mit einer getragenen Stimmung und in gewisser Weise traurig, wenn die einzelnen Figuren erkennen, dass es keine Möglichkeit gibt, die Fehler der Vergangenheit wieder gut zu machen. Und auch die Demontage des amerikanischen Selbstverständnisses und des Platzes der USA in der Welt, bleibt nicht verborgen. Dies sind nicht nur gute Ansätze, sie sind auch durch eine tolle Besetzung zum Leben erweckt, sei es Matt Damon, Abigail Breslin, Camille Cottin oder Lilou Siauvaud. Sie alle tragen dazu bei, dass man miterleben möchte, wie Bill sein neues Leben in den Griff bekommt, er einen Hoffnungsschimmer des Glücks in Händen hält. Allerdings verliert Stillwater - Gegen jeden Verdacht in diesem Mittelteil spürbar aus den Augen, dass Bills Reise mit der Suche nach einer Möglichkeit, die Unschuld seiner Tochter zu beweisen, begann. Dadurch, dass die Aufklärung des Verbrechens erst im letzten Drittel, in dem sich viele plötzliche Entwicklungen überschlagen, wieder in den Mittelpunkt gerückt wird, ist das weit weniger packend, als man erwarten würde. Tadellos gefilmt, nachdenklich und gerade in den ruhigen Momenten stark gespielt, lebt das bedächtige und deutlich zu lange Drama von seinen interessanten Charakteren. Nur erzählt es im Kern eine andere Geschichte, als vermutet und auch die persönliche Reise dieser Figuren scheint am Ende nirgendwo hin zu führen. Das ist irgendwie schade, auch wenn der Schluss, der nicht alle Spannungen auflöst und ein Happy End präsentiert, mutiger ist, als man vermuten würde.