So wie du mich willst [2019]

Wertung: 5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 10. August 2019
Genre: Drama / Liebesfilm

Originaltitel: Celle que vous croyez
Laufzeit: 101 min.
Produktionsland: Frankreich / Belgien
Produktionsjahr: 2018
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Safy Nebbou
Musik: Ibrahim Maalouf
Besetzung: Juliette Binoche, François Civil, Nicole Garcia, Marie-Ange Casta, Guillaume Gouix, Charles Berling, Jules Houplain, Jules Gauzelin, Francis Leplay, Pierre Giraud, Claude Perron


Kurzinhalt:

Als ihr junger Liebhaber Ludo (Guillaume Gouix) erkennt, dass die geschiedene, 50 Jahre alte Claire (Juliette Binoche) mehr erwartet, als eine zwanglose Affäre, beendet er die Beziehung. Claire, ist nicht nur enttäuscht, sondern am Boden zerstört. Um Ludo nahe zu sein, erstellt sie ein Facebook-Profil unter falschem Namen – Clara Antunès (Marie-Ange Casta). Clara ist 24 Jahre jung und überaus attraktiv. Statt Ludo wird dessen bester Freund, der Fotograf Alex (François Civil), auf Clara aufmerksam und beginnt, Nachrichten mit ihr auszutauschen. Anfangs ein harmloser Chat-Flirt, entwickelt sich zwischen Alex und Claire eine intime, wenn auch virtuelle Beziehung. Doch als Alex zunehmend Anstrengungen unternimmt, Clara auch im wirklichen Leben zu sehen und nicht mehr nur telefonisch Kontakt mit ihr in Kontakt zu treten, gerät Claires sorgfältig konstruierte Scheinwelt ins Wanken. Und was für sie auf dem Spiel steht, ist nicht nur virtuell, sondern für sie überaus real …


Kritik:
In Safy Nebbous französischem Drama So wie du mich willst spielt Juliette Binoche die 50jährige Claire, die an sich alles erreicht hatte – und wieder verlor. Sie war eine erfolgreiche Literaturdozentin, hatte den Mann ihres Lebens geheiratet und mit ihm zwei Kinder bekommen. Doch inzwischen ist ihre Ehe geschieden, einen guten Draht zu ihren Kindern hat sie ebenfalls nicht mehr und in den Vorlesungen erzählt sie von prägenden Autorinnen, die in ihren Leben mehr erreicht haben, als sie selbst. Als attraktive Frau hat sie eine Liebesbeziehung mit dem merklich jüngeren Ludo, der jedoch den Kontakt zu ihr abbricht, als sie sich mehr erhofft, als eine bloße Affäre. Um Ludo nahe zu sein, legt sie sich auf Facebook ein falsches Profil an und gibt vor, die 24jährige Clara zu sein. So wird ein Freund Ludos, Alex, auf sie aufmerksam. Der junge Fotograf ist von Clara fasziniert und bald wandelt sich der Flirt, der als Chat beginnt, zu langen Telefonaten. Die Identität, die Claire vorspielt, mag nicht real sein, die Gefühle, die im Spiel sind, jedoch sehr wohl.

Dass ein solches Kartenhaus aus Täuschung und Lügen irgendwann in sich zusammenfallen muss, versteht sich von selbst und tatsächlich setzt So wie du mich willst im Nachhinein an. Zu Beginn sucht Claire die Psychologin Dr. Catherine Bormans auf und erzählt ihr ihre Geschichte. Auch die beginnt nicht am Anfang, sondern kurz vor Ende von Claires Beziehung mit Ludo. Was mit ihrem Mann geschehen ist, dass er sie für eine Frau verlassen hat, erfährt das Publikum erst später. Anstatt Claire als Figur durch ihren Werdegang zu definieren, geht Filmemacher Safy Nebbou einen anderen anderen Weg und beschreibt sie durch Beobachtungen dessen, wie sie sich in den jeweiligen Situationen verhält und wie sie sich verändert.
Das beginnt bereits mit ihrem Äußeren: Zerbricht die Beziehung zu Ludo, ist sie nicht nur am Boden zerstört, sondern scheint um Jahre gealtert. Entwickelt sie eine virtuelle Beziehung zu Alex und tauscht Nachrichten mit ihm aus, kommen sie sich näher und hört sie am Telefon seine Komplimente, dass ihre Stimme so jung klinge – für eine 24jährige, wohlgemerkt –, dass sie ihn fasziniere, dann sieht man ihr förmlich an, wie ihr diese Aufmerksamkeit, diese Zuneigung körperlich guttut.

Ihre größte Angst ist die Einsamkeit und ihr größter Feind derjenige, den sie selbst erschafft. Denn irgendwann kommt der Punkt, dass Alex die Clara, deren Bild er vor Augen hat, wenn er mit Claire spricht und aus deren Leben er Einblicke im Sozialen Netzwerk beobachten kann, auch tatsächlich sehen und berühren möchte. Wie groß wird seine Enttäuschung sein, wenn er statt Clara Claire erblickt? Wie groß die ihre, wenn sie erneut abgelehnt wird? „Ich will gerne sterben … aber nicht verlassen werden“, entgegnet sie ihrer Therapeutin, die dem Publikum ähnlich kein wirkliches Verständnis für Claires Entscheidungen aufbringen kann und merklich um Neutralität bemüht ist.
Dabei macht es sich So wie du mich willst nicht einfach, Claire als Antagonistin ihrer eigenen Geschichte vorzustellen. Hat nicht ein/e jede/r das Recht darauf, glücklich zu sein? Und wie kann man über Jahrzehnte Idealen entsprechen, die sich nicht nur im ständigen Wandel befinden, sondern heute mehr denn je auf das Äußere, das Visuelle konzentrieren? Sollte man dies überhaupt, selbst wenn es bedeutet, die eigene Persönlichkeit dabei aufzugeben?

So wie du mich willst liefert keine leichten Antworten und genau genommen sogar viel weniger Antworten als Fragen. Vielmehr gibt der Filmemacher die Themen an das Publikum, so dass es sich selbst Gedanken machen kann. Auf eine geschickte Weise präsentiert der Film im letzten Drittel drei Möglichkeiten, wie die Geschichte, in der sich Claire unausweichlich in eine Sackgasse manövriert, aufgelöst werden könnte. Dabei gibt es keine Variante ohne Verlierer, was nicht heißt, dass es nichts zu Lernen gibt.
Dass dies funktioniert, liegt an der unvorstellbar wandlungsfähigen Juliette Binoche, die hier Einblick in eine zutiefst verletzte Seele gibt und in einer geradezu entwaffnend unverfälschten Darbietung Claires Entscheidungen zur Diskussion stellt, ohne das Publikum in eine Richtung zu beeinflussen. Das macht ihre Handlungen nicht richtig, aber nachvollziehbar. Als Drama eignet sich der Film nur für ein ruhiges Publikum, das bereit ist, die Zwischentöne zu hören. Und derer gibt es genug.


Fazit:
„Es gibt keine schlimmere Rivalin als die, die nicht existiert.“ In Claires Fall hat sie sie selbst erschaffen. Die Blaupause, die sie dafür hernimmt, verrät viel über sie selbst und würde eine Ablehnung gleich zweimal so verheerend werden lassen. Von Juliette Binoche sehenswert facettenreich und vielschichtig nuanciert gespielt, widmet sich Regisseur Safy Nebbou Themen, die in der heutigen Zeit, in der die reale Welt und diejenige, in der Illusionen Wirklichkeit ersetzen zu können scheinen, immer mehr verschmelzen, aktueller sind denn je. Das Porträt einer Frau, deren Angst vor dem Älterwerden und der Einsamkeit ihr Handeln bestimmt, ist atmosphärisch eingefangen. Inhaltlich eignet sich So wie du mich willst allerdings eher für ein reifes Publikum, das sich mit den Inhalten auch auseinanderzusetzen vermag. Diese zu ignorieren wäre dabei ebenso fatal, wie eine eigene Illusion zu kreieren. Virtuelle Identitäten mag man sich nach den eigenen Vorstellungen erschaffen können – aber leben kann man nur in der Wirklichkeit.
Ein inhaltlich starkes und bemerkenswertes Drama.