Sherlock: "Ein Skandal in Belgravia" [2012]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 17. Juli 2013
Genre: Krimi

Originaltitel: Sherlock: "A Scandal in Belgravia"
Laufzeit: 89 min.
Produktionsland: Großbritannien
Produktionsjahr: 2011
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Paul McGuigan
Musik: David Arnold, Michael Price
Darsteller: Benedict Cumberbatch, Martin Freeman, Una Stubbs, Lara Pulver, Mark Gatiss, Rupert Graves, Andrew Scott, Louise Brealey, Honor Kneafsey, Ilana Kneafsey, Thomasin Rand


Kurzinhalt:
Nachdem das Aufeinandertreffen zwischen Sherlock Holmes (Benedict Cumberbatch) und dem Verbrecher James Moriarty (Andrew Scott) nicht so verläuft, wie es sich der Meisterdetektiv gewünscht hat, fühlt er eine Leere in sich, die auch die ungewöhnlichsten Fälle nicht füllen können. Bis er und sein Assistenten Dr. Watson (Martin Freeman) von Mycroft Holmes (Mark Gatiss) im Namen der Krone engagiert werden. Sherlock soll pikante Fotos wiederbeschaffen, welche die Königsfamilie belasten. Sie befinden sich im Besitz von Irene Adler (Lara Pulver), ihres Zeichens eine bekannte Domina mit Klienten in den höchsten Kreisen.
Doch auch wenn sie von Holmes fasziniert ist, so wie er von ihr, sie ist nicht bereit, aufzugeben. Immerhin sieht sie in den Fotos auch eine Versicherung, dass ihr nichts geschieht. Dabei ist sowohl ein Team ausgebildeter, amerikanischer Spezialisten betroffen, die Adlers Haus stürmen, wie auch die öffentliche Sicherheit. Und egal, wozu sich Sherlock entscheidet, er bringt entweder sich, oder Menschen in seiner Nähe in Gefahr ...


Kritik:
Es ist in gewissem Sinne beruhigend, dass selbst dem Meisterdetektiv Sherlock Holmes die Zusammenhänge verborgen bleiben, die sich in seinem neuen Fall vor ihm und seinem Assistenten Dr. Watson auftun. Ein Skandal in Belgravia löst den Cliffhanger aus Das große Spiel [2010] überraschend explosionsarm auf und beginnt danach eine neue Geschichte, die verworrener kaum sein könnte. Doch hält das Drehbuch den eigentlichen Kern und die Tatsache, dass die Zeit drängt so lange zurück, dass wenn es soweit ist, auch keine rechte Spannung mehr aufkommen will.

Die Idee, mit Irene Adler eine weitere Person einzuführen, von der Sherlock fasziniert ist, ist ebenso unerwartet wie einleuchtend. Nachdem das erste Aufeinandertreffen mit James Moriarty nicht nur zu dessen Gunsten ausgegangen ist, sondern Holmes in ihm jemanden getroffen hat, dessen Motivation er nicht versteht, wird seine Verwirrung mit Irene umso größer. Sie passt in kein Schema, sie zu deuten ist selbst für seinen analytischen Verstand nicht möglich. Dass sie ihre Pläne immer nur in Bruchstücken bekannt gibt, die wichtigsten Informationen aber für sich behält, ist ihm zwar klar, aber ihrer Faszination erliegt er dennoch.
In mancherlei Hinsicht wiederholt der Staffelauftakt Punkte der ersten Episode der Reihe, Ein Fall von Pink [2010]. Wieder sieht man, wie Holmes über jeden Zweifel erhaben seine Schlussfolgerungen zieht und dabei so wenig Einfühlsamkeit beweist, dass er gar nicht bemerkt, was er damit anrichtet. Dies zu unterstreichen scheint auch der einzige Grund für den Auftritt der Gerichtsmedizinerin Molly, die ebenso wie Watson kaum etwas zu tun bekommt. Seine Arroganz macht Holmes blind für die Dinge, die zwar nicht ihn, aber vielleicht alle anderen Menschen interessieren. Darum verrät er auch lange Zeit die Lösung eines Falles nicht, den er für so trivial hält, dass er dafür nicht einmal seine Wohnung verlässt, sondern Watson ihn über eine Webcam durch den Tatort leitet.

Den brillanten, aber in gleichem Maße unsympathischen Charakter von Sherlock Holmes einzufangen, gelingt Ein Skandal in Belgravia sehr gut. Aber genau hier liegt das Problem. So sehr er als Figur fasziniert, er ist niemand, mit dem man mitfiebert. Auch Irene Adler ist keine Identifikationsfigur, ebenso wenig wie Holmes' Bruder Mycroft. Einzig das Schicksal der Haushälterin Mrs. Hudson, beziehungsweise das von Dr. Watson interessieren uneingeschränkt. Doch sie verkommen auch hier immer mehr zu Randfiguren.

Die Story um prekäre Fotos, welche die als Domina berühmte Irene in ihrem Besitz hält und die Holmes für die Königsfamilie wiederbeschaffen soll, entpuppt sich nicht als falsche, aber als nebensächliche Fährte. Auch die Beteiligung eines amerikanischen Elite-Kommandos, das unbehelligt auf britischem Boden operiert, wird kaum beleuchtet. Stattdessen verliert sich der Krimi in visuell einfallsreichen Analysen der Tatorte, und gleichermaßen anschaulichen Tricks, um zu verdeutlichen, wie das Genie von Sherlock Holmes arbeitet. Immer wieder sieht man Texte, die das normale Geschehen überlagern und so den vergleichsweise einfachen Plot optisch aufhübschen. Damit gelingt den Produzenten fraglos eine innovative Inszenierung, die aber nicht verbergen kann, dass der Inhalt dem nicht gerecht wird.

So ziehen sich die eineinhalb Stunden im letzten Drittel merklich in die Länge, glaubt man doch die Geschichte eigentlich schon fertig erzählt zu wissen. Gerade dann schlägt das Drehbuch eine notdürftige Brücke zum Anfang, wobei die wirklichen Verstrickungen Moriartys nur angedeutet werden, aber keinen rechten Sinn ergeben.
So ist Ein Skandal in Belgravia ein zwar undurchschaubar erzählter, aber inhaltlich eher einfacher Krimi, der durch die Darstellung der Figuren interessiert. Nur mitreißend ist all das nicht und die eingangs gezeigte Auflösung nach dem spannungsgeladenen Cliffhanger der letzten Staffel beinahe enttäuschend.


Fazit:
Die Modernisierung der Figuren überzeugt nach wie vor, nicht zuletzt dank Benedict Cumberbatch in der Rolle des überlegenen Deduktionsermittlers. Er verleiht dem unnahbaren Sherlock Holmes ein faszinierendes Charisma, ohne ihn aber sympathisch zu machen – und bleibt so nah an der Vorlage. Dass Martin Freeman kaum gefordert ist, ist bedauerlich. Selbst Lara Pulver ist als Irene Adler facettenreicher eingebunden. Die Besetzung trägt den TV-Film selbst dann, wenn die Story sich scheinbar nicht bewegt.
Für Kenner und Fans verbergen sich in der konstruierten Geschichte viele Anspielungen an die Romane und Figuren selbst. Holmes' charakteristische Deerstalker-Mütze ist da noch der offensichtlichste Verweis. Die handwerkliche Umsetzung ist einfallsreich und ansprechend modern, aber nie wirklich packend. Das liegt zum einen daran, dass die Gefahr zu spät erkennbar ist und niemand in ihr schwebt, mit dem man mitfiebert. Ein Skandal in Belgravia ist durchweg unterhaltsam, lässt aber die Brillanz vermissen, die erkennbar in den Beteiligten und Figuren steckt. Bleibt zu hoffen, dass es den Machern in den kommenden beiden Fällen gelingt, sich hier zu übertreffen.