Sherlock: "Der Reichenbachfall" [2012]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 22. Juli 2013
Genre: Krimi

Originaltitel: Sherlock: "The Reichenbach Fall"
Laufzeit: 88 min.
Produktionsland: Großbritannien
Produktionsjahr: 2011
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Toby Haynes
Musik: David Arnold, Michael Price
Darsteller: Benedict Cumberbatch, Martin Freeman, Andrew Scott, Rupert Graves, Louise Brealey, Una Stubbs, Mark Gatiss, Katherine Parkinson, Vinette Robinson, Jonathan Aris, Tanya Moodie, Tony Pitts


Kurzinhalt:
Mit seinem neuesten Fall, in dem Sherlock Holmes (Benedict Cumberbatch) gestohlene Gemälde wiedergefunden hat, ist er endgültig zu einer Berühmtheit geworden. Und sein Assistent Dr. Watson (Martin Freeman) mit dazu. Zusammen mit Sherlocks üblicher, herablassender Art gegenüber den Polizeiermittlern, schlägt ihm immer stärker Ablehnung in den Reihen der Gesetzeshüter entgegen. Dass er sich selbst vor Gericht bloßstellt, nachdem er als sachverständiger Zeuge bei einem Prozess gegen den Kriminellen James Moriarty (Andrew Scott) aussagen sollte, kommt denen gerade recht.
Aber verhaftet zu werden gehörte ebenso zu Moriartys Plan, wie sein Freispruch vor Gericht. Er hebt sein Spiel mit Sherlock Holmes auf eine neue Stufe und bringt den Meisterdetektiv damit öffentlich in Verruf. Für die Zeitungen ist der Skandal ein gefundenes Fressen, einzig Watson und die Gerichtsmedizinerin Molly Hooper (Louise Brealey) stehen uneingeschränkt auf seiner Seite. Aber Moriartys Plan geht noch weiter, denn so lange er lebt, könnte Holmes versuchen, seinen Ruf wiederherzustellen ...


Kritik:
Ohne etwas von der Auflösung des Falles vorwegzunehmen, es wird interessant sein zu sehen, wie die Produzenten den Cliffhanger von Der Reichenbachfall in der dritten Staffel auflösen wollen, ohne sich in abstrusen und hanebüchenen Erklärungen zu verheddern. Das Finale des zweiten Ermittlungsjahres des englischen Detektivs endet auf einer auswegloseren Note, als das des ersten. Und hätten sich die Macher über die unsinnige Vorgabe eines eineinhalb Stunden dauernden Krimis hinwegsetzen dürfen, wäre daraus ein durchweg packendes Krimidrama geworden. So ist es ausgerechnet der Showdown, der so lang gerät, dass ihm beinahe die Puste ausgeht.

Nach dem Auffinden wertvoller Gemälde ist der Ruhm Sherlock Holmes kaum mehr zu nehmen. Er löst Entführungen und Verbrechen in einer Geschwindigkeit, die nicht nur die Polizei vor den Kopf stößt. Während Watson seine Privatsphäre vermisst, genießt der Detektiv zwar nicht die Aufmerksamkeit, wohl aber die öffentliche Anerkennung seines überlegenen Genies. Bis er eines Morgens Nachricht erhält, dass James Moriarty in Gewahrsam genommen wurde bei dem Versuch, die Kronjuwelen zu stehlen. Holmes wird als Sachverständiger vorgeladen, kann es aber nicht lassen, selbst Anwälte und Geschworene vorzuführen. Nach dem unerwarteten Freispruch Moriartys beginnt das Image von Sherlock Holmes in der Öffentlichkeit zu bröckeln. Was ist das Schlimmste, das jemandem passieren kann, dem die Meinung der Menschen vollkommen gleichgültig ist mit der einen Ausnahme, dass sie erkennen, dass er immer Recht hat? Als Lügner bloßgestellt, ist es für Holmes die größte Schmach mitanzusehen, wie er sich weiter in Moriartys Spiel verstrickt, ob er nun nichts tut, oder weiter ermittelt. Das ist der packendste Teil des TV-Krimis. Kenner der Vorlage wissen um die Bedeutung des Reichenbachfalls, auch wenn sich die Autoren von den Romanen meist nur grob inspirieren ließen. So unausweichlich das Ende scheint, gerade hier lahmt das Skript, anstatt noch einen Gang zuzulegen.

Erzählt wird Der Reichenbachfall aus der Sicht von Dr. Watson, der über die Ereignisse der letzten Zeit spricht. Auch wenn man Martin Freeman mehr Zeit vor der Kamera wünschen würde, er glänzt in jedem Moment. Aufmerksame Zuseher werden sogar Watsons militärische Ausbildung in seiner Gestik erkennen, wenn er am Schluss um Fassung bemüht ist. Seine bedingungslose Freundschaft zu Sherlock Holmes, die sich im Verlauf der Serie gebildet hat, trägt den überraschend langen Epilog. Benedict Cumberbatch auf der anderen Seite entlockt trotz der gefassten, gleichgültigen Fassade seiner grundsätzlich überheblichen Figur Schattierungen, die man an ihr bis dahin noch nicht gesehen hat. Wobei der kurze, erste Dialog Sherlocks mit der Medizinerin Molly zu den inhaltlich prägnantesten gehört. Ob die Autoren noch etwas aus James Moriarty machen, muss man abwarten, Andrew Scott hat die Rolle hier aber passend verinnerlicht. In jedem Fall wirkt sein Bösewicht Holmes ebenbürtig.

Auch die Inszenierung, bei Die Hunde von Baskerville [2012] unnötig fahrig, trägt hier enorm zum Spannungsaufbau bei. Sieht man, wie die Schlinge um Holmes' Hals enger gezogen wird, erhöht sich gleichzeitig die Spannung und auch sein letzter Fall, der sich um entführte Kinder dreht, wird von Minute zu Minute packender. Während Moriarty seinen Plan in die Tat umsetzt, sieht man durch einfallsreiche Perspektiven und eine geschickt moderne Bilderauswahl, wie der analytische Verstand des Detektivs arbeitet. All das passt so gut zusammen, dass wenn das Tempo auf dem eigentlichen Höhepunkt herausgenommen wird – sich der Dialog unnötig in die Länge zieht – der Schnitt umso spürbarer ist. Dadurch bringt sich das Staffelfinale um einen hervorragenden Abschluss. Mutiger wäre es noch gewesen, auf die letzte Einstellung zu verzichten und nur die Musik erklingen zu lassen.


Fazit:
Was James Moriarty seinem Erzfeind hier auferlegt, kann zermürbender kaum sein. Sherlock Holmes gibt sich immer unnahbar, doch eine flächendeckende Diskreditierung trifft ihn dort, wo er sich nicht wehren kann. Wie schwer die Situation für den Ermittler zu fassen ist, bringt der charismatische Benedict Cumberbatch erstklassig zum Ausdruck, der die sonst so festgefahrene Mimik des Titelhelden hier subtil aufbrechen darf. Aber auch die übrige Besetzung ist ausgezeichnet, allen voran Martin Freeman und Louise Brealey in kurzen, aber wichtigen Auftritten.
Dass das Drehbuch den Humor beweist, Sherlock als "C.S.I. London" zu bezeichnen, sagt zumindest aus, dass sich die Macher sehr wohl im Klaren sind, an wen die Optik angelehnt ist. Das ist auch bei Der Reichenbachfall erkennbar, lockert den modernen Krimi aber gekonnt auf. Wäre es nicht um den intellektuellen Schlagabtausch am Ende, der zu lang ausfällt, würde das Staffelfinale rundum begeistern. Sehenswert für Kenner ist es dennoch. Und ein interessantes Sprungbrett für die angekündigte dritte Staffel.