Schimpansen [2012]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 17. November 2013
Genre: Unterhaltung

Originaltitel: Chimpanzee
Laufzeit: 78 min.
Produktionsland: Tansania / USA
Produktionsjahr: 2012
FSK-Freigabe: ohne Altersbeschränkung

Regie: Alastair Fothergill, Mark Linfield
Musik: Nicholas Hooper
Erzähler: Tim Allen (Englische Fassung), Alexander Brem (Deutsche Fassung)


Kurzinhalt:
Für den kleinen Oscar, ein Neuzugang im Clan der Schimpansen um Anführer Freddy, ist jeder Tag ein Abenteuer. Und auch wenn er von seiner Mutter viel beigebracht bekommt, es werden noch Monate und Jahre vergehen, ehe er für sich selbst sorgen kann. Die Gruppe bewohnt ein Revier im Regenwald, das reich ist an Früchten und Insekten. Doch an ihr Territorium angrenzend liegt das Gebiet von Scar, dem Anführer eines rivalisierenden Clans.
Als Oscar bei einem Angriff von Scars Trupp auf Freddys Gruppe von seiner Mutter Isha getrennt wird, bricht für den kleinen Schimpansen eine Welt zusammen. Nachdem er von den anderen Weibchen abgelehnt wurde, die alle selbst Nachwuchs haben, findet er in Freddy einen unerwarteten Ziehvater. Doch je mehr Zeit dieser mit Oscar verbringt, umso mehr entgeht ihm, dass Scar bereits einen weiteren Angriff plant ...


Kritik:
In seinem begleitenden Kommentar sagt es Tim Allen, bekannt aus der TV-Serie Hör' mal, wer da hämmert [1991-1999], sogar selbst: In Schimpansen bekommt man einen Teil des Regenwaldes gezeigt, in den die wenigsten Menschen jemals einen Fuß setzen werden. Die Bilder, welche die Regisseure Alastair Fothergill und Mark Linfield dabei finden, sind schlicht atemberaubend. Man hat mitunter gar das Gefühl, man würde einen Spezialeffekt zu Gesicht bekommen. Doch so beeindruckend das Ganze ist, es verstärkt, was bereits bei Im Reich der Raubkatzen [2011] negativ aufgefallen war. Statt eine Geschichte zu erzählen, die dem Publikum diese außergewöhnlichen Tiere nahebringt, entschließen sich die Filmemacher dazu, sie noch menschlicher zu machen, als sie ohnehin schon sind. Was den Titel gebenden Hauptakteuren dabei nur verloren geht, ist ihre Natürlichkeit.

Das beginnt bereits damit, dass ihnen menschliche Namen gegeben werden. Von dem kleinen Oscar über seine Mutter Isha bis ihn zum Alphamännchen Freddy. Einzig der "Bösewicht" Scar bekommt keinen wirklichen Namen, dafür sein Clan so viel Motivation bei dem Angriff auf Freddys friedliebende Gruppe mit auf den Weg gegeben, dass selbst die jungen Zuschauer anzweifeln werden, ob sich hier wirklich alles so zugetragen hat, wie Schimpansen seinem Publikum weismachen möchte.
Dass die Bilder aus zwei Ländern stammen, die an entgegengesetzten Enden des afrikanischen Kontinents liegen, schmälert nicht den Aufwand der Produktion, verdeutlicht allerdings, wie sehr sich das Bild der klassischen Dokumentation hin zum Docutainment gewandelt hat, bei dem der Schwerpunkt so stark auf dem Unterhaltungsaspekt liegt, dass man über die gezeigten Tiere kaum mehr etwas erfährt.

So gibt Schimpansen zwar Auskunft darüber, wie viele Tiere in Freddys Gruppe sind, aber nicht, wie viele Männchen und wie viele Weibchen. Auch wird kein Wort darüber verloren, wie groß ihr Revier ist, oder wie lange sich ein solcher Anführer wie Freddy überhaupt an der Spitze halten kann.
Über die Ernährungsgewohnheiten von Oscar und seiner Familie sagt Schimpansen zwar mehr, als vielen Zusehern lieb sein mag – nämlich, dass die Tiere andere Affen jagen und fressen –, aber auch hier bleiben Fothergill und Linfield mehr schuldig, als sie mit einem verstohlenen Blick auf eine eng zusammengekauerte Gruppe preisgeben.

Oscars Geschichte erzählt davon, wie sein Clan angegriffen und in die Flucht geschlagen wird. Dabei verliert er seine Mutter und wird sogar zur Überraschung der Filmemacher von Freddy adoptiert, etwas das bis dahin noch nie auf Film festgehalten worden war. Mit einer Drehzeit von vier Jahren, ist Schimpansen ein ebenso ambitioniertes, wie aufwändiges Filmprojekt und man kann sich angesichts dessen, was Oscar widerfährt vorstellen, was in der Crew vorgegangen sein muss, die hilflos mitansehen musste, wie der Kleine nach dem Verlust seiner Mutter stark an Gewicht verlor. Doch von alledem bleibt in Allens Off-Kommentar nicht viel übrig.
Umso störender sind die verniedlichenden Bemerkungen zu den Verhaltensweisen der gezeigten Wesen und wer aufmerksam zuhört, erhascht sogar das für seine Serienfigur Tim Taylor bekannte Männergrunzen. Es bringt auf den Punkt, was die Musik mit ihren düsteren Vorahnungen oder dem lockeren Song noch unterstreicht: Das Schicksal der stark dezimierten Spezies im Herzen Afrikas interessiert nicht so sehr, wie ihre Geschichte, die um jeden Preis unterhaltsam sein muss. Das geht sogar soweit, dass beim Abspann Texttafeln mit wichtigen Informationen zum Bestand der in freier Wildbahn verbliebenen Tiere eingeblendet werden. Für solche "Nebensächlichkeiten" ist bis dahin keine Zeit – es könnte das geneigte Publikum vielleicht sogar ablenken.

Es mag nicht gerecht sein, Schimpansen dafür zu kritisieren, dass die Regisseure jede Möglichkeit suchen, das Thema einem so breiten Publikum wie möglich nahezubringen. Selbst wenn das bedeutet, dass man hierfür inhaltliche Aspekte opfern muss.
Aber so beeindruckend die unvergleichlichen Bilder sind und so tragisch es ist, dass man diese zu Recht scheuen Geschöpfe vermutlich eines Tages gar nicht mehr in ihrer natürlichen Umgebung wird bewundern können, ist es gerade dann nicht unverzeihlich, diese Eindrücke ohne einen Kommentar und Informationen zu versehen, die sie auch rechtfertigen würden? Mit ihrem Film vergeben die Macher eine einmalige Gelegenheit. Und angesichts der Bedrohung der Schimpansen durch den Menschen ist das umso schlimmer.


Fazit:
Sieht man Oscar von den anderen Mitgliedern seiner Gruppe lernen, wie er eine Nuss knacken kann, oder spiegelt sich die Traurigkeit nach dem Verlust seiner Mutter in seinem Gesicht wider, ist man versucht, menschliche Maßstäbe bei den Schimpansen anzulegen. Dass sie uns so ähnlich sind, macht es umso schwieriger, Distanz zu wahren. Doch in Wirklichkeit sind sie uns nicht gleichgestellt, sondern vielmehr durch die Menschen bedroht. Aber Alastair Fothergill und Mark Linfield gehen noch einen Schritt weiter. Statt die Tiere zu dokumentieren, porträtieren sie Oscars Erlebnisse und schildern seine Adoption im Rahmen eines Dramas um Macht und Revierstreitigkeiten, so dass in jedem Moment klar ist, wer die Guten und wer die Bösen sind.
Das Ergebnis hat nichts mit einer ernsthaften Dokumentation gemein, so dass sogar die verblüffende Adoption, die bis dahin noch nie auf Film festgehalten worden war, darin fast untergeht. Vielmehr ist es eine Unterhaltungsgeschichte, für deren Hauptfiguren der Kommentator immer einen lustigen Spruch findet, selbst wenn dies gar nicht notwendig wäre. Die Bilder sind umwerfend und so plastisch, dass man den feinen Nebel des Regenwaldes beinahe spüren kann. Auch wird man selbst den Tieren vermutlich nie so nahe kommen. Doch bleibt am Ende das Gefühl, dass Schimpansen weder den Bildern, noch den Tieren wirklich gerecht wird. Selbst wenn das junge Zielpublikum das kaum bemerken wird.