Ruf der Wildnis [2020]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 17. Februar 2020
Genre: Drama / UnterhaltungOriginaltitel: The Call of the Wild
Laufzeit: 100 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2020
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren
Regie: Chris Sanders
Musik: John Powell
Besetzung: Harrison Ford, Omar Sy, Cara Gee, Karen Gillan, Bradley Whitford, Dan Stevens, Colin Woodell, Scott MacDonald
Kurzinhalt:
Buck ist ein prächtiger Hund. Groß und stark, gerät er zur Zeit des Goldrausches ins Visier von skrupellosen Menschen, die ihn seinem Besitzer im Süden stehlen, um ihn als Schlittenhund hoch oben im Norden zu verkaufen. Doch ist dies erst der Beginn von Bucks Reise, die ihn zuerst zu den beiden Postboten Perrault (Omar Sy) und Françoise (Cara Gee) führt und schließlich zu dem selbstgewählten Einsiedler John Thornton (Harrison Ford), der nicht wegen des Goldes hierher gekommen ist. Auf der Suche nach sich selbst und einem Sinn in zurückliegenden Schicksalsschlägen, entwickelt sich zwischen John und Buck eine besondere Freundschaft, die sie schließlich abseits der auf Landkarten erfassten Gebiete führt. Dort, wo es keine Menschen gibt, hört Buck zunehmend den Ruf der Wildnis und entdeckt seine wahre Natur …
Kritik:
Ruf der Wildnis ist eine weitere Leinwandadaption von Jack Londons Abenteuerroman Der Ruf der Wildnis [1903]. In seinem vierten Film erzählt Regisseur Chris Sanders die Geschichte des geradezu riesigen Bernhardiner-Mischlings Buck Ende des 19. Jahrhunderts. Dabei sollte man sich von den Werbematerialien zum Film nicht dazu hinreißen lassen zu glauben, dass dies die Story von Buck und dem von Harrison Ford gespielten John Thornton ist. Der übernimmt wie alle anderen Menschen nur eine untergeordnete Rolle, auch wenn das Zielpublikum das kaum als Kritikpunkt sehen wird.
Ein junges Publikum wird sich vermutlich auch nicht an dem Detail stören, das erwachsenen Zuseherinnen und Zusehern auf den ersten Blick auffallen wird: Buck ist nicht echt. Der eigentliche Star des Films ist wie alle anderen Tiere ebenfalls computergeneriert. Leidlich überzeugend, sei hinzugefügt. So unvorstellbar dies klingen mag, es ist ein Umstand, den man bei Ruf der Wildnis irgendwann schlicht akzeptiert – oder ignoriert. Weit schwerer wiegt, dass auch die Hintergründe und Landschaftsaufnahmen des unberührten Alaskas von vor mehr als 100 Jahren offensichtliche Trickeffekte sind. Es ist in vielen Momenten, als wäre dies ein Animationsfilm, in den sich einige reale Darstellerinnen und Darsteller verirrt haben. Und das führt unweigerlich zu der Frage, ob Jack Londons Abenteuergeschichte womöglich nicht wie zuvor als vollständiger Realfilm überzeugender inszeniert wäre, oder als reiner Animationsfilm junge Menschen eher begeistern könnte.
Die Geschichte wird von Fords Figur erzählt, was rückblickend gerade zu Beginn keinen großen Sinn ergibt, da sich ihre Wege zum ersten Mal erst dann kreuzen, wenn Buck bereits sehr weit von seinem ursprünglichen Zuhause entfernt ist. Der gutmütige, aber verspielte Hund wird während des Klondike-Goldrauschs von seinem Besitzer in Kalifornien gestohlen, um als Schlittenhund weit im Norden in Alaska eingesetzt zu werden. Er wird misshandelt und landet, nachdem er Thornton buchstäblich umgerannt hat, als Schlittenhund bei Perrault und Françoise, die für die kanadische Royal Mail Post in die entlegensten Winkel Nordamerikas verteilen. Eingangs in der Welt der Menschen verwöhnt, muss Buck lernen, was Entbehrungen sind und auch, was es heißt, Teil eines Rudels zu sein. Doch dabei wird er, ebenso wie alle anderen Hunde im Film, so stark vermenschlicht, dass seine Charakterzüge wohl besser in einem Animationsfilm aufgehoben wären.
Nicht nur, dass er Wort für Wort versteht, was man ihm sagt, oder dass Perrault seinen Hunden die Reiseroute anhand einer Karte erklärt, als wären sie in der Lage, den Weg allein daraufhin und ohne sein Zutun zu finden, Buck teilt sein Essen mit anderen Hunden im Rudel und setzt sich für die unterdrückten Mitglieder ein. Das Alphatier, der ursprüngliche Anführer, stellt indes dadurch klar, wie böse er ist, dass er einen weißen Hasen vor den Augen der anderen tötet, während die mit dem Fluchttier doch nur spielen wollten. Das einzige, was die Tiere hier nicht können, ist sprechen, wobei Bucks Mimik und Gestik mitunter mehr sagen als tausend Worte und man beinahe eine gesprochene Antwort erwarten würde.
Dabei zeigt gerade Harrison Ford, wie wichtig auch bei einer solchen Geschichte der Faktor Mensch tatsächlich ist. Trotz einer überwiegend routinierten Darbietung, gelingt es ihm, seiner Figur in nur 20 Sekunden, in denen er an einem Brief für seine Frau schreibt, den Schmerz eines ganzen Lebens zum Ausdruck zu bringen. Zu sehen, wie er, wenn er einen Teil des Weges mit Buck gen Norden zieht, aufblüht, verleiht Ruf der Wildnis gerade für ein älteres Publikum einen greifbaren Charme, selbst wenn seiner Entwicklung am Ende ein hoffnungsvolles Element vorenthalten bleibt. Dafür findet der Film in der Mitte unnötigerweise einen menschlichen Widersacher für Buck und John. Dabei hätte es diese Figur, hätte man das Abenteuer tatsächlich um Buck und John in der Wildnis erzählt, gar nicht gebraucht. So beraubt sich der Film der Möglichkeit, leise Beobachtungen von Fords Figur in der abgeschiedenen Natur treffen zu können. Stattdessen bekommt das Publikum zu sehen, wie ein am Computer entstandener Bernhardiner in einer künstlich wirkenden Natur durch ein oftmals unnatürliches Verhalten sein wildes Vermächtnis entdeckt.
Wenn für nichts anderes, dann wird Ruf der Wildnis vielleicht dafür in die Geschichtsbücher eingehen, dass eine Geschichte um Naturverbundenheit hier in keiner Faser natürlich erscheint. Und dass dies der erste Film ist, bei dem der Disney-Konzern nach der Übernahme des renommierten Filmstudios 20th Century Fox das „Fox“ aus dem Namen streichen ließ, so dass der Familienfilm mit dem 20th Century Studios-Logo eröffnet. Für Filmkenner fehlt an diesem Anblick schlichtweg etwas – bei der Verfilmung von Londons Vorlage insgesamt noch deutlich mehr.
Fazit:
Es fällt schwer, dies Chris Sanders’ ersten Realfilm nach Lilo & Stitch [2002], Drachenzähmen leicht gemacht [2010] und Die Croods [2013] zu nennen, in Anbetracht der Tatsache, wie wenig wirklich echt ist. Um über das Ergebnis nicht zu harsch zu urteilen, sollte man sich vor Augen halten, welche Geschichte der Filmemacher hier erzählt. Dies ist kein Abenteuer um einen Mann und einen Hund in der Wildnis Alaskas. Es ist die Geschichte von Buck, der auf einer langen Reise am Ende zu seinen natürlichen Instinkten zurückfindet. Die Menschen sind hier nur Beiwerk, was in Anbetracht von Harrison Ford überaus bedauerlich ist. Ihm gelingt es mit einer tadellosen Darbietung, eine Verbindung sowohl zum Publikum als auch seinem für Kinder zweifellos interessanteren Co-Star Buck aufzubauen. Der steht am Ende für einen gutherzigen Animations-Fantasy-Film um den besten Freund des Menschen, bei dem man keinen Realismus erwarten sollte. Trotz der eher mittelmäßigen Trickeffekte, gibt es bei Ruf der Wildnis teils tolle Einstellungen zu sehen, und selbst wenn es der Story an Herz mangelt, berühren manche Momente. Erwartet man einen unterhaltsamen, nie spürbar zähen Familienfilm, könnte die Wahl sicher besser, aber auch merklich schlechter ausfallen.