Philadelphia [1993]
Wertung: |
Kritik von Jens Adrian |
Hinzugefügt am 17. Mai 2021
Genre: DramaOriginaltitel: Philadelphia
Laufzeit: 125 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 1993
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren
Regie: Jonathan Demme
Musik: Howard Shore
Besetzung: Tom Hanks, Denzel Washington, Jason Robards, Mary Steenburgen, Antonio Banderas, Joanne Woodward, Robert W. Castle, Ann Dowd, Lisa Summerour, Charles Napier, Roberta Maxwell, Chandra Wilson, Daniel von Bargen, Karen Finley
Kurzinhalt:
Erst kürzlich war Anwalt Andrew „Andy“ Beckett (Tom Hanks), angestellt bei einer der renommiertesten Kanzleien der Stadt, befördert worden, doch dann wird er von Charles Wheeler (Jason Robards) entlassen. Während sein ehemaliger Arbeitgeber dies mit Andys Arbeitsweise begründet, vermutet Andy, dass es mit seiner AIDS-Erkrankung zusammenhängt, die er zwar für sich behalten hatte, aber auch für andere sichtbar geworden war. Nachdem er ursprünglich abgelehnt hatte, willigt Rechtsanwalt Joe Miller (Denzel Washington) ein, Andy bei einer Klage gegen Wheeler und dessen Kanzlei zu unterstützen, da sie in der Kündigung eine unerlaubte Diskriminierung sehen. Aber nicht nur, dass im Verlauf des langwierigen Prozesses zahlreiche Details ans Licht kommen könnten, die nicht nur Andys Familie, sondern auch seinen Lebensgefährten Miguel (Antonio Banderas) belasten, Joe selbst steht Homosexuellen mehr als ablehnend gegenüber. Je länger der Prozess dauert, umso sichtbarer werden die Auswirkungen der tödlichen Krankheit bei Andy …
Kritik:
Jonathan Demmes preisgekröntes Drama Philadelphia, eine der ersten großen Hollywood-Produktionen, die sich mit dem Thema AIDS beschäftigte, behandelt in seinem Kern zwei gleichermaßen wichtige Themen, die die beiden tragenden Figuren betreffen: Den an AIDS erkrankten Andy Beckett und seinen Anwalt Joe Miller. Von allen Beteiligten, allen voran dem oscarprämierten Tom Hanks, hervorragend gespielt, bleiben hier viele Momente in Erinnerung und inspirieren gleichermaßen. Selbst, wenn die Geschichte an vielen Stellen nicht tiefgründig oder mutig genug erzählt wird.
Passend zu den verschiedenen Themen, verschiebt sich auch der Fokus, den Filmemacher Demme auf seine Figuren legt, im Laufe der Erzählung. Steht im ersten Drittel vor allem Andy im Zentrum, beschäftigt sich der Mittelteil hauptsächlich mit Joe und seiner Entwicklung, während am Ende beide gleichermaßen beleuchtet werden. Andrew Beckett ist ein erfolgreicher Anwalt in einer der renommiertesten Kanzleien Philadelphias. Gerade erst befördert, wird ihm ein wichtiger neuer Fall anvertraut, doch kurz darauf wird Andy gekündigt mit der Begründung, er habe die Klageschrift verlegt. Andrew vermutet, dass ihm gekündigt wurde, weil einer der Partner der Kanzlei eine Hautläsion an seiner Stirn bemerkt hatte und ihre Ursache erkannte: Andy hat AIDS, ein Umstand, den er seinem Arbeitgeber ebenso verschwiegen hat, wie die Tatsache, dass er schwul ist. So sucht Andy einen Anwalt, der ihn bei einer Klage gegen die Anwaltskanzlei wegen unerlaubter Diskriminierung auf Grund seiner Erkrankung vertritt. Fündig wird er bei dem in den Lokalmedien sehr präsenten und auf Personenschäden spezialisierten, afroamerikanischen Rechtsanwalt Joe Miller.
Aber auch wenn der Prozess selbst einen großen Teil von Philadelphia einnimmt, der Film erzählt kein klassisches Gerichtsdrama, in dem mit einem Spruch der Geschworenen am Ende der Gerechtigkeit Genüge getan wird und sich alle Sorgen in Wohlgefallen auflösen. Es gibt auch kaum enthüllende Kreuzverhöre, in denen die Ereignisse aufgerollt werden oder sich Zeuginnen und Zeugen in Widersprüche verstricken. Selbiges erklärt Miller den Geschworenen zu Beginn bereits selbst. Ihnen wird stattdessen präsentiert, weshalb Andy Beckett nach Auffassung der Anklage gekündigt wurde, und wie die verteidigende Anwaltskanzlei ihren Schritt begründet. Dabei dauert es einige Zeit, bis Joe Miller selbst erkennt, dass nicht allein Andys AIDS-Erkrankung ausschlaggebend für die Kündigung gewesen sein kann, sondern auch seine sexuelle Orientierung – etwas, das er selbst zu Beginn nur schwer akzeptieren kann.
Auch wenn Philadelphia keinen Hehl aus Andys Homosexualität macht und es einige Momente zwischen ihm und seinem Lebensgefährten Miguel gibt, gespielt von Antonio Banderas, es scheint beinahe, als wäre der Film darum bemüht, das Publikum nicht mit eindeutigen Bildern zu verprellen. So gibt es nur wenige private Momente zwischen beiden, selten Berührungen und tatsächlich kaum eine Zärtlichkeit zu sehen. Dass solche Momente fehlen, wird umso offensichtlicher, je stärker die Krankheit Andys Erscheinungsbild zeichnet. Joe Miller repräsentiert dabei den Teil des Publikums, der Homosexualität ebenso ablehnt, wie die Leitung der Anwaltskanzlei, die Andy entlassen hat. Nicht nur, dass Joe seine Ablehnung gegenüber seiner Frau zum Ausdruck bringt oder Kollegen gegenüber, wird er von einem schwulen Studenten angesprochen, überzieht er diesen mit gängigen Schimpfworten. Es dauert lange, ehe bei Joe, der Andy anfangs nur vertritt, weil ihm Unrecht getan wurde, ein Wandel einsetzt und er Andy als mehr als nur seinen Mandanten sieht. Regisseur Jonathan Demme kleidet diesen Moment statt in absehbare Dialoge oder klischeebeladene Situationen in eine Szene, in der Andy Joe die Lieblingsarie seiner Oper vorspielt, während er leidenschaftlich erklärt, was darin geschieht und weshalb er sich damit identifiziert. Zu sehen, wie das sprichwörtliche Feuer der Begeisterung, das Andy dabei umschließt, auf Joe übergeht und ihn mit nach Hause begleitet, zu seiner Familie, ist ein fantastischer Weg, aufzuzeigen, wie sich Joes Horizont erweitert und er in diesem Mann einen Menschen erkennt, der ebenso Respekt und Liebe verdient, wie er selbst. Und der an seinem Leben hängt.
So gelungen diese Momente sind, manch schwierige umgehen die Verantwortlichen hier und kommt es schließlich zur Verkündung des Spruchs der Geschworenen, bleibt die Erleichterung, die man im Grunde verspüren sollte, aus. Zum Teil auch, weil es Philadelphia nicht gelingt, begreiflich zu machen, was es für Andy und diejenigen bedeutet, die für ihn vor dem Gerichtsgebäude demonstriert haben, oder für diejenigen, die ihre sexuelle Orientierung für sich behalten aus Furcht, ihnen könnte etwas Ähnliches wie Andy widerfahren. Zu sehen, wie offen Andy hier mit seiner Krankheit und seiner Homosexualität auch im großen Familienkreis umgeht, ist inspirierend. Dass dabei keinerlei Konflikte angeführt werden, klingt aber nur bedingt glaubwürdig und hätte für einen umfassenderen Blick hilfreich sein können. Ebenso, wie Mythen um AIDS nicht nur in einer kurzen Szene mit Joe und seinem Arzt zu entkräften, sondern dies dem Publikum in erinnernswerterer Form mit auf den Weg zu geben.
Fazit:
Zu sehen, wie Tom Hanks in der Rolle des Andy Beckett zunehmend körperlich abbaut, ist erschreckend und spricht er selbst davon, dass er das Ende des Prozesses womöglich nicht erleben wird, gar erschütternd. So erging es dem tatsächlichen Anwalt Geoffrey Bowers, dessen Klage gegen seinen vorigen Arbeitgeber betreffend eine Diskriminierung auf Grund von HIV/AIDS eine der ersten war, die vor amerikanischen Gerichten angehört wurde. Sein Fall inspirierte die Filmemacher um Jonathan Demme. Als eine der ersten, großen Hollywood-Produktionen, die sich des Themas AIDS annahmen, geht Philadelphia durchaus Risiken bei konservativen Zuschauerinnen und Zuschauern ein. Man mag nicht erst aus heutiger Sicht behaupten, dass dabei viele Möglichkeiten einer umfassenderen Darstellung des Zusammenlebens von homosexuellen Menschen oder ihres täglichen Kampfes gegen Vorurteile und Diskriminierung, ebenso wie das Stigma einer HIV-Infektion oder einer AIDS-Erkrankung ungenutzt bleiben. Das ist sicher richtig. Doch es gelingt dem Drama dank einer erstklassigen Besetzung, einer fantastischen Darbietung im Zentrum und eines Aufrufs zur Toleranz, einen ersten Schritt in die richtige Richtung zu gehen. Nicht nur als solches ist das in manchen Momenten herausragende Drama wichtig und sehenswert. Es bringt die Themen auch einem breiteren Publikum nahe. Das ist heute ebenso notwendig wie damals.