Oskars Kleid [2022]

Wertung: 4 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 16. Dezember 2022
Genre: Komödie

Laufzeit: 102 min.
Produktionsland: Deutschland
Produktionsjahr: 2022
FSK-Freigabe: ab 6 Jahren

Regie: Hüseyin Tabak
Musik: Josef Bach, Arne Schumann
Besetzung: Florian David Fitz, Laurì, Ava Petsch, Kida Khodr Ramadan, Marie Burchard, Juan Lo Sasso, Senta Berger, Burghart Klaußner


Kurzinhalt:

Bens (Florian David Fitz) Ex-Frau und Mutter seiner zwei Kinder Oskar (Laurì) und Erna (Ava Petsch), Mira (Marie Burchard), steht kurz vor der Geburt von Zwillingen, die sie mit ihrem neuen Lebensgefährten Diego (Juan Lo Sasso) bekommt. Für Ben ist das grundsätzlich keine einfache Situation, zumal sich der Polizist eher von Tag zu Tag schleppt, zum Leidwesen seines Kollegen Seyit (Kida Khodr Ramadan). Als Mira Krankenhausruhe verordnet wird, entscheidet Ben, dass die Kinder vorübergehend bei ihm bleiben sollen. Doch dann steht urplötzlich Oskar in einem Kleid vor ihm und teilt ihm mit, dass er nun „Lili“ heiße. Für Ben bricht eine Welt zusammen und er weigert sich, zu akzeptieren, dass sein Sohn ein Mädchen sein will. Schlimmer noch, er kann nicht verstehen, wie Mira und Diego dies sogar noch unterstützen können. Mit der Situation zunehmend überfordert, greift Ben wieder zum Alkohol – bis eine Mitarbeiterin des Jugendamts vor seiner Tür steht …


Kritik:
Oskars Kleid ist ein Film, der auf Nummer sicher spielt, was sich nach einer Unmöglichkeit anhört, wenn man bedenkt, dass die Komödie von einem neunjährigen Jungen handelt, der sich als Mädchen fühlt und dessen Vater damit ein so großes Problem hat, dass er sich erneut dem Alkohol zuwendet. Aber so wichtig das Thema, das die Gemüter in der Gesellschaft so stark erhitzt, und so willkommen es ist, diese wichtige Phase der persönlichen Entwicklung zu beleuchten, der Film gibt ausgerechnet derjenigen Figur keine Stimme, die am meisten von Ausgrenzung und Vorurteilen betroffen ist.

Nach Heimvideoausschnitten einer scheinbar glücklichen Familie, stellt Regisseur Hüseyin Tabak den Polizisten Ben vor, der in seinem leeren Haus aufwacht. Von der hochschwangeren Mira ist er geschieden, sie inzwischen mit Diego glücklich liiert. Bens Kinder Erna und der neunjährige Oskar sind nur jedes zweite Wochenende bei ihm. Als Mira auf Grund von Vorwehen ins Krankenhaus kommt, beschließt Ben, die Kinder zu sich zu holen, auch wenn er das mit dem Dienststellenleiter nicht abgesprochen hat und er eigentlich im Schichtdienst eingesetzt ist. Doch als Ben Oskar erblickt, der ein gelbes Kleid trägt, trifft ihn beinahe der Schlag. Umso mehr, als sein Sohn ihm verkündet, dass er nun Lili heißt. Für Ben wäre es eine Horrorvorstellung, sein Sohn könnte schwul sein. Als ihm ein Kinderpsychologe mitteilt, dass Oskar sich als Mädchen sieht, bricht für ihn eine Welt zusammen. Also spricht Ben viel mit dessen Mutter, laut der Oskar bereits seit einem halben Jahr Kleider trägt. Auch wendet er sich ans Internet, wo es heisst, dass die Identitätskrise seines Kindes durch gendergerechte Sprache verursacht sei und Eltern den Kindern den Kurs vorgeben sollten. Er unterhält sich überdies mit seinem Kollegen und seinen Eltern, zu denen er kein gutes Verhältnis hat. Der einzige, mit dem Ben in der ersten Filmhälfte gar nicht und danach nicht offen spricht, ist Lili.

Überhaupt gibt es in Oskars Kleid bis auf Mira und Diego niemanden, der Lili unterstützt. Nicht einmal, wie Schwester Erna zur Wandlung ihres Bruders steht, wird thematisiert. So folgt das Drehbuch von Hauptdarsteller Florian David Fitz denselben Mustern wie die öffentliche Diskussion zum Thema, in der ständig über, aber nicht mit den Betroffenen gesprochen wird. Gleichzeitig greift die Komödie altbekannte Klischees auf, wiederholt Vorurteile und Halbwahrheiten, ohne sie aber richtiggehend zu widerlegen. Zwar entwickelt sich Ben im Lauf der Geschichte, aber die absurden Behauptungen der „Ursachen“ der vermeintlichen Änderungen von Geschlechteridentitäten bleiben im Raum stehen. Das ist eine ebenso verpasste Chance wie der Umstand, dass die Erzählung zwar humorvolle Momente findet, die Ernsthaftigkeit des Inhalts und die Traumata, die damit verbunden sein können, jedoch großteils ausblendet. Anstatt Oskar eine Stimme zu verleihen und damit Menschen, denen es im Publikum womöglich ähnlich geht, Informationen und Einblicke an die Hand zu geben, erfährt man überhaupt rein gar nicht, was in Oskar bzw. Lili vorgeht. Stattdessen beschäftigt sich die Erzählung mit Ben, thematisiert, wie Außenstehende mit lebensverändernden Wandlungen von Menschen in ihrer Umgebung umgehen – die sie im Grunde ja gar nicht betreffen.

Das heißt nicht, dass es nicht Vieles gäbe, das in Oskars Kleid nicht gelungen wäre. Ganz im Gegenteil. Aufzuzeigen, dass Bens Eltern bereits konservative Haltungen besitzen, ist eine gute Idee, aber auch hier positioniert sich die Erzählung nicht, ob sie Oskar / Lili unterstützen, oder nicht. Zwar steht Bens Vater dem ablehnend gegenüber, aber das passt nicht mit seinem letzten Auftritt und seiner Ansprache zusammen. Wie Ben überhaupt zu Homosexualität steht, ob er ein offener Mensch oder stockkonservativ ist, wird überhaupt nicht angesprochen. Dabei wäre es eine gute Möglichkeit gewesen, mögliche Scheinheiligkeiten aufzudecken, wenn er diesbezüglich bei anderen „tolerant“ wäre, beim eigenen Kind aber nicht. So bleibt die Geschichte trotz der Ansätze und der guten Absichten oberflächlich und gleichzeitig absehbar, selbst in den Konflikten, die sich hier lange ankündigen. Details wie Bens angedeutete Alkoholsucht haben weder eine wirkliche Auswirkung, noch führen sie irgendwo hin und Nebencharaktere wie Diego werden leider kaum vertieft.

Dies klingt alles negativer, als es gemeint ist, denn im Kern hat Oskars Kleid das Herz am rechten Fleck und auch die Aussage ist so sehenswert wie wichtig. Die gelungene Besetzung bringt das überdies gelungen zur Geltung und die Präsentation ist so eingängig wie makellos. Aber es wirkt in Anbetracht der Bedeutung der Geschehnisse für die Figuren alles unbeschwert und im Humor mit vielen Szenen überspitzt, die es nur im Film, nicht aber in wirklichen Familien gibt. Das steuert zur öffentlichen Diskussion über ein so entscheidendes Thema letztlich nur wenig bei und im Fokus auf Ben und was die Wandlung seines Sohnes für ihn bedeutet, spiegelt das Drehbuch die viel zu oft wiedergegebene Diskursverschiebung wider, während man an sich an der Seite der Betroffenen stehen und sie auf ihrem Weg unterstützend begleiten sollte.


Fazit:
Dass die Geschichte auf ein versöhnliches Happy End zusteuert, muss nichts Schlechtes bedeuten, zumal die Entwicklung von Hauptfigur Ben durchaus nachvollziehbar ist. Doch bei der unterstrichenen Leichtfüßigkeit der Geschichte, die nur selten ernstere Momente findet, fällt auf, dass keine kritische Auseinandersetzung mit irgendeinem Aspekt der Thematik gesucht wird. Was genau geht in Lili vor? Wie steht ihre Schwester zu der Verwandlung? Ist Ben eher um die Außenwirkung der Geschlechteridentität seines Kindes bemüht, oder darum, dass es glücklich ist? Dieses Glück ist bei Hüseyin Tabaks Erzählung kaum spürbar. Oskar / Lili scheint immer angespannt und traurig, ob dies an der fehlenden Akzeptanz des Vaters liegt, wird dabei kaum deutlich. So ist schwer zu überhören, dass gerade diese Figur nicht zu Wort kommt, was Oskars Kleid oberflächlicher erscheinen lässt, als er beabsichtigt ist. Die Intention ist nicht nur sichtbar, es ist förmlich zu spüren, wie wichtig den Beteiligten das Thema ist. Auch dank der gelungenen Besetzung, bei der eine tolle Senta Berger hervorsteht, überträgt sich dieses Gefühl auf das Publikum, so dass man über die Oberflächlichkeit gern hinwegsieht. Wenn sich auf Grund dieser leichten Zugänglichkeit ein größeres Publikum mit der wichtigen Thematik beschäftigt und sie Aufmerksamkeit gewinnt, wäre das mehr als zu begrüßen.