Nerve [2016]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 23. April 2017
Genre: Thriller

Originaltitel: Nerve
Laufzeit: 96 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2016
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Henry Joost, Ariel Schulman
Musik: Rob Simonsen
Darsteller: Emma Roberts, Dave Franco, Emily Meade, Miles Heizer, Juliette Lewis, Kimiko Glenn, Marc John Jefferies, Machine Gun Kelly, Brian 'Sene' Marc, Ed Squires


Kurzinhalt:

Obwohl Vee (Emma Roberts) und Sydney (Emily Meade) auf der High-School beste Freundinnen sind, sie könnten unterschiedlicher kaum sein. Während Vee verschlossen und schüchtern ist, ist Sydney das genaue Gegenteil. Seit einiger Zeit spielt sie das dubiose Onlinespiel "Nerve" und zelebriert ihr Leben beinahe 24 Stunden am Tag für all ihre Zuseher live im Netz. Die dürfen sich Herausforderungen ausdenken, die Sydney bestehen muss, damit sie im Spiel bleibt. Dafür kann sie, sofern sie das Finale schafft, reich und berühmt werden innerhalb der "Nerve"-Community. Nach einem Streit registriert sich auch Vee als Spielerin und gerät innerhalb einer Nacht in einen Strudel aus Herausforderungen, die sie mit dem anderen Spieler Ian (Dave Franco) zusammenbringen. Aber während die Herausforderungen immer gefährlicher werden, kommt Tommy (Miles Heizer), ein Freund von Vee, dahinter, dass sie zusehends manipuliert wird. Sowohl von Ian, als auch vom Spiel selbst ...


Kritik:
In einer Zeit, in der Jugendliche mit Kosmetiktipps auf Videoplattformen im Internet ein Vermögen verdienen, trifft der Techno-Thriller Nerve – mangels eines besseren Ausdrucks – einen Nerv. Die Romanverfilmung präsentiert eine Gesellschaft, in der Zehntausende einem gefährlichen Onlinespiel folgen, dessen Teilnehmer immer gefährlichere Herausforderungen bestehen müssen. Für möglichen Ruhm und Geld geben die Spieler jegliche Privatsphäre auf. Dank der spannenden Umsetzung ist das nicht nur ein treffendes Spiegelbild unserer Zeit, sondern auch durchaus sehenswert.

Im Zentrum steht die schüchterne Venus, genannt Vee. Sie ist dank der Fotos, die sie nicht nur von sportlichen Ereignissen an ihrer High-School schießt angesehen, aber gleichzeitig so verschlossen, dass sie sich nicht einmal traut, den Captain des Football-Teams, in den sie verschossen ist, anzusprechen. Ihre extrovertierte Freundin Sydney ist Spielerin bei dem Online-Spiel "Nerve", bei dem sie Herausforderungen bestehen muss, um die Runden zu meistern und ins Finale zu kommen. Wer gewinnt, dem winkt ein großer Preis, vom Ruhm der vielen Zuseher, Watcher genannt, ganz abgesehen.

Ob nun "Watcher" oder neudeutsch "Follower", die Parallelen, die Nerve zu unserer Zeit, in der Soziale Netzwerke Prominente gemacht haben, sind unverkennbar. Seien es nun so genannte It-Girls, die den Modegeschmack von jungen Menschen beeinflussen, oder allerlei Internetstars, die mit den vielfältigsten Angeboten das Internet fluten, man bekommt heute das Gefühl, dass eine jede und ein jeder im Internet berühmt werden und ein Vermögen verdienen kann. Dass es in der schönen neuen Onlinewelt so ist, wie im richtigen Leben, dass eben nicht jede bzw. jeder zum Schauspieler, Model oder Astronauten geboren ist, geht angesichts der multimedialen Flut gern unter. Ebenso, wie der Preis, den die meist jungen Menschen hierfür zahlen.

Das Filmemacherduo Henry Joost und Ariel Schulman zeigt, wie die Möchtegernstars bei "Nerve" sogar lebensgefährliche Herausforderungen auf sich nehmen, um mehr Watcher zu bekommen. Vee, die überhaupt nur deshalb als Spielerin teilnimmt, weil sie sich selbst und ihren Freunden beweisen will, dass sie nicht nur eine Mitläuferin ist, lässt sich von den verlockenden Annehmlichkeiten des schnellen Ruhms ködern. Dabei reizt sie weniger die Aufmerksamkeit, die sie bekommt, als das Adrenalin, das durch ihre Adern fließt, wenn sie den stets steigenden Schwierigkeitsgrad bei den Herausforderungen meistern soll.
So zeigt Nerve in der ersten Hälfte in schicken Hochglanzbildern, wie das Leben der zurückhaltenden Vee mit dem Spieler Ian innerhalb weniger Stunden eine 180°-Wendung nimmt und aufregender wird, als sie es sich je erträumt hätte.

Wenn die Stimmung kippt, dann tut sie das sehr plötzlich und mehr aus der Sicht von Sydney, die feststellen muss, dass sie von ihrer Freundin übertrumpft wird und die die Kehrseite des Ruhms durchlebt. So sympathisch die von Emma Roberts gespielte Vee dabei ist, außer über sie erfährt man in Nerve über kaum eine Figur etwas. Dave Franco macht seine Sache als Ian gut, bleibt aber dennoch merklich blasser, von den übrigen Charakteren ganz zu schweigen.
Darüber hinaus präsentieren die Macher eine Geschichte, die die Gefährlichkeit der Aufgabe der eigenen Privatsphäre zeigt und auch herausstellt, wie leicht die Personen manipuliert werden können, aber statt dies wirklich zu unterstreichen, bleiben die Folgen für die Beteiligten merklich zu zahm. Handwerklich gibt es daran nichts zu bemängeln und dass das Ende zu versöhnlich ausfällt, mag dem Zielpublikum geschuldet sein. Vielleicht wird der oder die eine oder andere auch aufwachen angesichts dessen, was man gezeigt bekommt. Man kann es zumindest hoffen.


Fazit:
Als ein Film, der so sehr auf die aktuellen sozialen Medien und die Technik setzt, mit der wir tagtäglich auf sie zugreifen, wird es interessant sein zu sehen, wie Nerve in 10 Jahren erscheinen wird und ob die gezeigte Technologie (und die Befürchtungen) nicht hoffnungslos veraltet sind. Als Mahnung, zu überlegen, welche Auswirkungen es hat, wenn man die eigene Privatsphäre aufgibt, funktioniert der Techno-Thriller erstaunlich gut, auch dank der spritzigen Besetzung. Die Regisseure kleiden ihren Film in Bilder, die die farbenfrohe Nacht in New York gut zum Ausdruck bringt und den modernen Aspekt der Story unterstreichen. Die Gesellschaftskritik ist unüberhörbar und richtig – und scheint dennoch gefühlt niemanden darin zum Nachdenken zu bewegen, ehe der ganze Alltag minutiös in mehreren Sozialen Medien geteilt wird, um Follower und Likes zu generieren. Aber gerade deshalb trifft Nerve den Nagel auf den Kopf. Das ist zwar nicht unbedingt neu und in den Auswirkungen zu harmlos, aber nichtsdestoweniger wichtig.