Nebenan [2021]

Wertung: 5.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 9. Juni 2021
Genre: Komödie / Drama

Laufzeit: 94 min.
Produktionsland: USA / Deutschland
Produktionsjahr: 2021
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Daniel Brühl
Musik: Moritz Friedrich, Jakob Grunert
Besetzung: Daniel Brühl, Peter Kurth, Rike Eckermann, Aenne Schwarz, Gode Benedix, Vicky Krieps, Mex Schlüpfer, Stefan Scheumann


Kurzinhalt:

Filmstar Daniel (Daniel Brühl) lebt mit seiner Frau Clara (Aenne Schwarz) und den beiden Söhnen in einer mehrstöckigen, luxuriösen Dachgeschosswohnung in Berlin. Auf das Casting, das noch heute in London stattfindet, hat er sich lange vorbereitet, denn die Rolle könnte der internationale Durchbruch für ihn sein. Auf dem Weg zum Flughafen legt er einen Zwischenhalt in der Eckkneipe ein, in die er häufig geht. Mit der Wirtin (Rike Eckermann) ist er per Du. Am Tresen sitzt ein Mann, Bruno (Peter Kurth), der Daniel in ein Gespräch verwickelt. Augenscheinlich charmant, kritisiert er Daniel ganz offen und schafft es dennoch, dass der erfolgsverwöhnte Schauspieler immer eine weitere Frage stellt. Doch das verletzende, aber harmlose Gespräch nimmt schon bald bedeutend persönlichere Züge an und bringt Daniels Welt zusehends ins Wanken …


Kritik:
In seinem Regiedebüt, in dem er gleichzeitig die Hauptrolle übernimmt, erzählt Daniel Brühl von sozialen Ängsten, von der wachsenden Ungleichheit und weiteren aktuellen, politischen Themen. Er tut dies in Form eines sich immer weiter zuspitzenden Gesprächs, angesiedelt in einer Eckkneipe in Berlin und packt in gerade einmal eineinhalb Stunden besser geschliffene Dialoge, als viele Filmreihen in Jahrzehnten zustande gebracht haben. Nebenan ist nicht nur ein überraschendes, sondern ein schlicht fantastisches Kinoerlebnis.

Im Zentrum steht der erfolgreiche Schauspieler Daniel, der in aller Frühe seine Morgenroutine absolviert, bestehend aus Sport, einem klar strukturierten Frühstück und seiner Vorbereitung auf ein wichtiges Casting, das in wenigen Stunden in London stattfinden wird. Der Superheldenfilm, für den er vorsprechen soll und von dem ihm lediglich eine Dialogseite zur Verfügung steht, könnte der internationale Durchbruch werden. Seine riesige Dachgeschoss-Maisonette-Wohnung ist von einem minimalistischen Stil geprägt und hochmodern. Ein eigens errichteter, ebenso moderner Fahrstuhl im Innenhof führt nur zu der Wohnung, die inmitten von Altbauwohnungen steht und dort ebenso fehl am Platz scheint, wie der smarte, edel gekleidete und perfekt gestylte Filmstar, der die Zeit bis zu seinem Flug noch in seiner „Stammkneipe“ an der Ecke verbringen will. Dort telefoniert er lautstark in englischer Sprache, ganz darauf aus, sich weiter auf seinen Karriere verändernden Termin vorzubereiten. Doch dann verwickelt ihn ein Mann am Tresen, Bruno, in ein Gespräch und der Vormittag schlägt eine ganz andere Richtung ein.

Wie sich die Situation entwickelt, sollte das Publikum im Detail selbst entdecken. Es soll genügen zu sagen, dass Bruno bei seiner Meinung über Daniels Filme, Karriere und sein Talent kein Blatt vor den Mund nimmt. Anfangs scheinen die Angriffe augenscheinlich höflich, die wiederkehrenden Spitzen verstecken sich erst im Abgang. Gerade so, dass Daniel die Andeutungen, die sich am Ende von Brunos Kommentaren verstecken, aufgreift und nachfragt. So kritisiert er Daniels vielleicht erfolgreichsten Film, der sich mit der „Stasi“ beschäftigt hat. Allein, dass die Produktion von Westdeutschen umgesetzt wurde, Daniel selbst Westdeutscher ist, und damit die Authentizität fehlte, kreidet Bruno ihm an. Je weiter sich die Unterhaltung über diesen Film dreht, umso sichtbarer schmilzt Daniels Beherrschung ab, doch sind das nur Vorboten dessen, wohin sich Nebenan entwickelt. Stück für Stück wird die Beziehung zwischen den beiden unterschiedlichen Figuren offengelegt. Während Bruno die Zügel des Gesprächs ganz offenbar in der Hand hält, Daniel gewissermaßen vor sich hertreibt, kommt der Moment, da Bruno das Gespräch dreht und sein Gegenüber damit gewissermaßen überrollt.

Zwar kein inhaltlicher Bruch, verändert es die Stimmung der Erzählung nachhaltig und konnte man sich zu Beginn in Anbetracht der unterschiedlichen Werdegänge und der Wortgefechte der beiden Charaktere durchaus amüsieren, werden die höflich dargebrachten, aber angreifenden Floskeln urplötzlich persönlicher und die Auswirkungen verletzender. Dass es dem Drehbuch von Daniel Kehlmann gelingt, gerade dann die Sogwirkung aufrechtzuerhalten, die von Bruno ausgeht, dass man selbst, wäre man an Daniels Stelle, die Kneipe nicht einfach verlassen könnte, macht die Spannung dieses immer intensiver werdenden Kammerspiels aus. Nebenan ist mit so vielen erfrischenden Dialogen gespickt, dass es geradezu eine Freude ist, ihnen zu folgen. Vielschichtig und hochaktuell, widmen sich die zwei so unterschiedlichen Figuren vielen Themen am Rande, die doch mehr den Kern der Geschichte ausmachen, als man auf den ersten Blick erahnen würde. Wer dem folgen möchte, muss aufmerksam bleiben, selbst wenn eine Überraschung zu offensichtlich vorbereitet wird. Doch das schmälert nicht die Wirkung einer der cleversten und sehenswertesten deutschen Produktionen des Jahres.


Fazit:
Handwerklich tadellos, beweist Filmemacher Daniel Brühl bei seinem Regieerstling ein bemerkenswertes Gespür für Rhythmus und Szenenkomposition. Stets die richtige Person ins Zentrum rückend, weiß er die Emotion seiner Figuren gelungen einzufangen. Das wahre Highlight sind dabei zweifellos die ebenso zynischen wie treffenden Dialoge, die sowohl von Brühl selbst als auch von Peter Kurth hervorragend und preiswürdig mit Leben erfüllt werden. Nebenan ist erstklassiges und entblätterndes, deutsches Dialogkino, ein intensiv gespieltes und toll dargebrachtes Kammerspiel, das am Ende auch die Oberflächlichkeit des scheinbaren Glücks der Stars seziert. Teils bitterböse, wartet dieses Wortduell nicht nur mit zahlreichen Wendungen auf, sondern mit den kurzweiligsten, packenden eineinhalb Stunden eines intelligenten Gesprächs, die man seit langem erleben durfte. Klasse!