Minority Report [2002]

Wertung: 4.5 von 6 Punkten  |   Kritik von Jens Adrian  |   Hinzugefügt am 13. Oktober 2002
Genre: Science Fiction / Action / Thriller

Originaltitel: Minority Report
Laufzeit: 145 min.
Produktionsland: USA
Produktionsjahr: 2002
FSK-Freigabe: ab 12 Jahren

Regie: Steven Spielberg
Musik: John Williams
Darsteller: Tom Cruise, Colin Farrell, Samantha Morton, Max von Sydow, Kathryn Morris


Kurzinhalt:
Im Jahr 2048 verschwindet der Sohn von Polizist John Anderton (Tom Cruise) spurlos – die Ehe zwischen ihm und Lara (Kathryn Morris) zerbricht daran, und der verzweifelte Vater beinahe ebenso.
Kurz darauf startet in Washington D.C. das "Precrime"-Projekt, das unter anderem von Lamar Burgess (Max von Sydow) ins Leben gerufen wurde. "Precrime" verhaftet Mörder, noch bevor diese die Tat begehen können. Die Morde werden dabei von sogenannten "Precogs" vorhergesehen: drei Jugendlichen, die als Kollektiv mit dem Computer verbunden sind, und deren Fähigkeiten Wissenschaftler erst vor kurzem entdeckt haben. "Precrime" ist eine Polizeieinheit, die um die "versklavten" Precogs herum aufgebaut wurde.
John Anderton wird Leiter dieses Departments. Er glaubt an das System und setzt alles daran, dass niemandem mehr so etwas zustößt, wie ihm damals.
2054, also sechs Jahre später, ist die Probezeit von "Precrime" beinahe vorbei und die Entscheidung, ob das System in den gesamten USA eingesetzt werden soll, soll demnächst fallen.
Da sieht Anderton auf dem Schirm einen Mord, den er nicht hätte sehen sollen: Der Täter ist er selbst!
Von dem Moment an ist er auf der Flucht vor den Kollegen, die er selbst geschult hat. Und er begibt sich auf die Suche nach seiner eigenen Zukunft, denn das Opfer ist ihm noch völlig unbekannt. Zudem sitzt ihm Danny Witwer (Colin Farrell), ein Detective der Staatsanwaltschaft, im Nacken, der nach Fehlern im System sucht und nun die Leitung über "Precrime" übernimmt. Andertons Fall ist für ihn ein gefundenes Fressen.


Kritik:
Die Welt im Jahr 2054 wird sich von der Zukunftsvision in Minority Report wahrscheinlich gar nicht so stark unterscheiden: Scanner begleiten den Menschen auf Schritt und Tritt – und identifizieren ihn an jedem Ort. Werbung spricht einen persönlich an und manipuliert den Kunden auf eine Art und Weise, wie sie heute vermutlich nur in den Köpfen und Wünschen der Werbestrategen existiert.

Ansich wäre die Welt in Ordnung, zumindest in der Mittel- und Oberschicht; denn die Slums sind düsterer denn je. Washington D.C. ist der sicherste Ort der Welt, kein Mord ist seit sechs Jahren geschehen, doch zu einem sehr hohen Preis: potentielle Mörder werden eingesperrt, bevor sie etwas getan haben, und ohne die Gewissheit, ob sie es am Ende tatsächlich getan hätten. Weitere Leidtragende dieser "perfekten" Verbrechensbekämpfung sind die Precogs, die in katatonischem Zustand unter Ausschluss der Öffentlichkeit medikamentös in einem Dämmerzustand gehalten werden. Ohne eigenen Willen, ohne eine Wahlmöglichkeit – und ohne innere Ruhe, denn sobald sie die Augen schließen, sehen sie Mord und Totschlag, immer und immer wieder.

Steven Spielberg zerpflückt die frohen Zukunftsvisionen von einst und zeigt den Zuschauern auf subtile Weise, was sie womöglich erwarten könnte – sehr wahrscheinlich nicht die Precogs, aber das Aussehen und Verhalten der Städte und Menschen ist in Minority Report sehr realistisch gelungen, und beängstigend zugleich.

Die Story des Films – basierend auf einer Kurzgeschichte von Philip K. Dick, der bereits die Vorlagen zu Filmen wie Total Recall [1990] und Blade Runner [1982] lieferte – ist großteils straff erzählt , die Kernhandlung mit dem Polizisten, der einen von ihm begangenen Mord sieht und diesen zu verhindern sucht, spannend und überzeugend dargebracht. Der Film versetzt einen von der ersten Minute an mitten ins Geschehen, hinein in das Hauptquartier von Precrime, ohne große Erklärung muss sich der Zuschauer anfangs die Zusammenhänge selbst erarbeiten.

Doch das Drehbuch besitzt auch offensichtliche Schwächen, die sich leider durch den ganzen Film hindurchziehen: Unnötigerweise sind einige "witzige" Szenen eingestreut, die überhaupt nicht zum Rest passen. Plakative, oberflächliche und vor allem klischeehafte Szenen, die wohl makaber wirken sollen, aber schlicht fehlplatziert sind.
Beispielsweise muss Cruise eine Augenoperation über sich ergehen lassen und sucht dazu im Untergrund einen berüchtigten "Optiker" auf, den er allerdings bereits früher einmal verhaftet hatte. Die Idee dieser Szene wäre ja nicht grundsätzlich schlecht; was dieser pseudo-witzige Kurpfuscher mit seiner schwedischen Assistentin, die miteinander nicht viel mehr Worte austauschen als "Quak, Quak" (kein Witz, das sagen sie wirklich mehrmals), im Film aber letztendlich soll, verstehe wer will. Überdies drückt der "Arzt" Anderton am Schluss noch eine Disc mit den Worten "von einem gemeinsamen Freund" in die Hand – im ganzen restlichen Film wird die Disc mit keinem Wort mehr erwähnt. Was sie für eine Bedeutung hat, wissen wohl nur Autoren selbst.
Eine daraus resultierende Szene ist auch, als Cruise in einen Hochsicherheitsbereich eindringen möchte und dafür seine entfernten Augen benötigt. Diese fallen ihm dann allerdings aus der Hand und rollen einen Gang entlang – Cruise hechtet hinterher. Eine solche Art von Humor hat in diesem ernsten Thema eigentlich nichts zu suchen.
Gleiches gilt für eine Sequenz in einem holographischen Vergnügungsetablissement: bunt, überdreht, konfus gestylte Charaktere ... ein krasser und unnötiger, vor allem aber unglaubwürdiger und auf Krampf witzig wirkender Gegensatz zum Rest des Films.
Vor allem wirken diese Szenen in dem Ambiente des Films völlig deplatziert – wie seinerzeit das "Fleischfest" in Spielbergs A.I. - Künstliche Intelligenz [2001], und mich persönlich hat es merklich gestört.

Viel schlimmer als das fand ich jedoch einen Abschnitt, der mich an dem Können des Meisterregisseurs zweifeln ließ: Als Höhepunkt von Andertons erster Flucht prügelt er sich mit Danny Witwer in einer Fabrik, in der die im Film gezeigten Automobile hergestellt werden – leider bekommt der Zuschauer von dem Kampf so gut wie nichts mit. Wackelkamera und übelkeiterregende Schnitte verhindern dies völlig. Aus einem mir unerfindlichen Grund setzt Spielberg hier dieselbe Technik wie Ridley Scott (in Gladiator [2000] und Hannibal [2001]; und auch dort unpassend und überflüssig!) ein: grieseliges Bild, einzelne Frames werden aus den Film-Sekunden herausgenommen und das Ganze mit einem digitalen Wackelfilter überlegt.
Schade, die Szene wäre sonst ein Highlight des Films gewesen, so war sie grausam geschnitten und unterdurchschnittlich gefilmt, etwas, das Spielberg mit seinem genialen Kameramann Janusz Kaminski bisher nicht passiert ist – der Stil wird zwar ähnlich in Der Soldat James Ryan [1998] eingesetzt, doch dort passt er in die Szene.

Leider setzte Kaminski auch bei diesem Film den für ihn bekannten Weichfilter ein, der insbesondere die Stadtszenen mit viel zu überstrahlenden Weißtönen zeigt – auch hier frage ich mich, wieso? Dadurch kann man die beeindruckende Architektur und die tollen Spezialeffekte gar nicht genießen beziehungsweise voll erkennen; es wirkt wie durch eine milchige Brille angesehen – surreal.

Doch vorerst genug von den Schattenseiten des Films, es gibt glücklicherweise viel mehr Positives zu berichten.

Tom Cruise verkörpert den gebrochenen Polizeihelden Anderton mit einer Hingabe, die man bei ihm in den letzten Jahren nicht so häufig gesehen hat. Er bringt dem Zuschauer insbesondere in den ruhigeren Szenen Andertons Dilemma und seine persönliche Situation nahe, ohne auf die bekannte Tränendrüse zu drücken (immerhin hat der Mann seinen Sohn verloren).
Sein Gegenspieler Colin Farrell erweist sich als Überraschung und Glücksgriff zugleich, er ist ein würdiger Gegner, obwohl er keinen allzu groß ausgebauten Hintergrund bekommt. Doch allein seine Mimik und Gestik machen seine Auftritte schon sehenswert. Wenn der gebürtige Ire in den kommenden Monaten mit einer handvoll neuer Filme in die Kinos kommt, werden die Zuschauer sich von seinem offensichtlichen Talent erneut überzeugen können.
Auch alle anderen Darsteller, besonders die junge Samantha Morton, die den begabtesten Precog spielt, sind sehr gut. Max von Sydow scheint seit 20 Jahren nicht mehr zu altern und allein seine Präsenz ist imposant genug. Als Ex-Frau von John Anderton kann Kathryn Morris vollauf überzeugen und der bisher zum Nebendarsteller degradierte Neal McDonough zeigt ebenfalls, dass er zu mehr fähig ist, als er in den letzten Jahren zeigen durfte.

Selbstverständlich lebt ein Film, der in der Zukunft spielt, besonders von den Spezialeffekten, und auch die sind in Minority Report manchmal nur gut, meistens sogar hervorragend. Einzig die Stadtaufnahmen und die Autofahrten wirken deutlich computergeneriert, was auch an dem viel zu übertriebenen "Lensflare" liegt – diese künstliche Sonnenspiegelung, die man bei Fotoapparaten oder Kameras sehen kann, sobald man in die Nähe der Sonne mit dem Objektiv kommt, wird seit einigen Jahren verstärkt eingesetzt, um computergenerierten Bildern "Realismus" einzhauchen. Für mich wirkt der "Lensflare" aber derart künstlich (zumal man ihn im richtigen Leben ja selten wahrnimmt), dass eigentlich das Gegenteil erzielt wird. So durchdacht und eindrucksvoll die Architektur Washingtons ist, man sieht oft eindeutig, was real und was mit dem Computer erstellt ist.
Doch die Jetpacks der fliegenden Polizisten, die Flut an Werbedisplays oder auch die berüchtigten "Spiders" sehen einfach grandios aus. Ebenso die Bedienelemente, die Cruise im Quartier von Precrime mit seinen Gesten steuert – hier ist kein Übergang zwischen CGI und Wirklichkeit mehr zu erkennen.

Kamera und Schnitt sind in der Regel sehr gut.
Der Höhepunkt des Films hinsichtlich Aufbau und Handwerk ist sicher die Szene mit den "Spiders", die ein ganzes Stockwerk nach Anderton absuchen und unter Türen oder Fenstern in die Wohnungen eindringen. Gewürdigt wird das mit einer phänomenalen Kamerafahrt über die einzelnen Apartments hinweg – die Spielberg übrigens ausdrücklich in echt filmen, und nicht per Computer simulieren wollte. Die Spannung ist während dieser Szene kaum mehr zu überbieten, im Kinosaal war es buchstäblich totenstill.
Ähnlich ist dies auch beim Vorfinale im Hochhaus – der Zuschauer wird hier förmlich in den Sitz gepresst, feuchte Handflächen nicht ausgeschlossen.

Ebenfalls in Erinnerung bleiben zwei unerwartete Szenen, die mein Herz für einige Sekunden zum Stehen gebracht haben. So erschrocken bin ich im Kino schon lange nicht mehr. Ob das gut oder schlecht ist, muss jeder für sich selbst ausmachen.

Einen sehr positiven Eindruck hinterlässt auch die Musik von John Williams, der hier nach dem mehr als nur enttäuschenden Star Wars: Episode II – Angriff der Klonkrieger [2002] an seinen kongenialen Score zu A.I. - Künstliche Intelligenz anschließen kann. Minimalistisch, mit einem kleineren Orchester als gewohnt, fährt der Altmeister zur Höchstform auf und unterstreicht die Szenen im Film, ohne je aufdringlich zu wirken, und erinnert bisweilen sogar an Scores von Bernard Herrmann (Psycho [1960]). Mit einem Wort: Grandios.

Die Ausstattung des Films – Gegenstände, Kleidung, Technik – wirkt sehr durchdacht und überaus realistisch, für die Welt in 50 Jahren kann ich mir das durchaus vorstellen – man sieht deutlich, dass Spielberg Experten, Architekten, Forscher und Wissenschaftler zusammengetrommelt hat, um eine wahrscheinliche Zukunftsvision zu erschaffen.
Auch die Waffen, Schallpistolen, Schockstäbe (die Erbrechen bei den Getroffenen auslösen) und die Netzhautscanner erscheinen überaus realistisch, an einigen wird angeblich sogar schon seit Jahren gearbeitet. Ebenso überzeugend ist das Straßennetz von Washington D.C. im Jahr 2054.

Nur ein Problem gibt es eindeutig bei dieser verwendeten Technik: wer sich nicht vorab über den Film informiert hat, beispielsweise durch Artikel, Making Ofs, etc. wird sich mit der Technik nicht ohne weiteres zurecht finden, da kaum ein Gegenstand (weder die angesprochenen Brech-Stäbe, noch die Schallpistolen) vorgestellt oder erklärt wird, sie werden einfach eingesetzt. Und das leider auch nicht sehr konsequent, sowohl die Pistolen, als auch die Stäbe werden in je einer Szene eingesetzt, danach sind sie im gesamten Film nicht mehr zu sehen.

Ganz offensichtlich setzt Regisseur Spielberg in Minority Report auf Action und Unterhaltung, dabei kommen die philosophischen Ansätze der Story aber nicht zu kurz, jeder Zuschauer soll für sich selbst entscheiden, ob der Preis für den Frieden nicht zu hoch wäre: Menschen, die noch nichts getan haben, werden eingesperrt, die Precogs wie Tiere gehalten – und was, wenn man selbst einmal auf dem Display zu sehen ist?
Und: Kann man die Zukunft überhaupt ändern, wo ihr Ausgang doch vorhergesehen wurde? Wie wäre es, immer und überall die Zukunft zu kennen? Fluch oder Segen?
Diese Themen werden angesprochen und auch eindringlich nahe gebracht. Welche Auffassung der Regisseur vertritt, sieht man am Ende des Films.

Doch bis dahin ist es in Minority Report ein recht langer Weg, auch wenn der Film nie langweilig wird. Vier Finales hintereinander waren für meinen Geschmack zwei zu viel.
Zumal das Actionpulver schon in der ersten Hälfte des Films verschossen ist, zum Schluss hin konzentriert sich der Film auf Atmosphäre und Spannung, wogegen auch nichts einzuwenden wäre. Aber die große Actionsequenz in der Mitte des Films geht über mehrere Etappen. Wieso wurde das nicht aufgeteilt? Inhaltlich wäre das ohne weiteres möglich gewesen.
Und eine Straffung des Inhalts zum Schluss hin wäre auch problemlos machbar gewesen.

Minority Report ist trotz der positiven Eindrücke ein zweischneidiges Schwert: das Drehbuch ist zwar gut, wirkt aber nicht völlig durchdacht, vielleicht schaffen hier Deleted Scenes auf der DVD Abhilfe. Die Spezialeffekte können überwiegend mehr als nur überzeugen, aber gerade in den malerisch anmutenden Stadt-Szenen sieht man den Effekt sehr deutlich.
Nicht zuletzt die Inszenierung, die in manchen Szenen absolut hervorragend ist, wird durch andere Sequenzen, die krampfhaft witzig oder MTV-mäßig gestaltet wurden, von makellos auf durchwachsen degradiert.

Aufgrund der tollen Atmosphäre, der erstklassigen Darsteller und der gelungenen Unterhaltung, die der Film bietet, kann man ihn aber guten Gewissens mit Gut bewerten. Allerdings muss sich auch Steven Spielberg bei seinem nächsten Projekt, Catch Me If You Can vorsehen. Weitere handwerkliche Patzer werden mit Sicherheit nicht vergeben – und vor allem lassen sie an dem Können des Regiemagiers zweifeln.


Fazit:
Während Steven Spielbergs letzter Film A.I. - Künstliche Intelligenz einzig und allein an dem zu langen und zähen Drehbuch scheiterte, büßt Spielberg bei Minority Report trotz der offensichtlich guten Vorlage das ein, was ich bei ihm nie erwartet hätte: das Handwerk. Zwar nur in wenigen Szenen, aber noch vor fünf Jahren wäre ihm das nicht passiert.
Abgesehen davon ist der Film ein (teilweise sogar außergewöhnlich) spannender und unterhaltsamer, auf jeden Fall aber intelligenter Thriller in einer sicher fiktiven, aber doch möglichen Zukunft. Aufpassen sollte man als Zuschauer auf jeden Fall, um die letzten Kniffe der Story zu begreifen, auch wenn die letztendliche Auflösung recht früh (auch ohne Precogs!) "vorhergesehen" werden kann.